Panzer für die Ukraine "Putin unterschätzt die Ukrainer"
22.09.2022, 12:48 Uhr (aktualisiert)
Wieder aufbereitete "Marder"-Schützenpanzer auf dem Gelände des Rheinmetall-Werks Unterlüß. Der FDP-Verteidigungspolitiker Marcus Faber fordert, der Ukraine "Marder" und Transportpanzer vom Typ "Fuchs" zu geben.
(Foto: picture alliance/dpa)
Der FDP-Verteidigungspolitiker Marcus Faber fordert "Marder"-Schützenpanzer und "Fuchs"-Transportpanzer für die Ukraine. Die Linie der Koalition kritisiert er nicht direkt, sagt aber, die Bundesregierung habe "sich darauf verständigt, dass sie unsere Kampfpanzer westlicher Bauart nur nach Rückkopplung mit den Bündnispartnern liefern will". Das nehme er "zur Kenntnis".
ntv.de: Sollte Deutschland der Ukraine aus Ihrer Sicht "Leopard"-Kampfpanzer und "Marder"-Schützenpanzer liefern?
Marcus Faber: Deutschland hat der Ukraine glücklicherweise schon Panzer geliefert, nämlich Luftabwehrpanzer "Gepard" und, wesentlich wichtiger, auch die Panzerhaubitze 2000. Das waren wichtige Schritte, auch auf Grundlage des Bundestagsbeschlusses vom April. Wir müssen jetzt natürlich weitergehen. Die Ukraine hat bewiesen, dass sie mit dem Material sehr sinnvoll umgeht und in der Lage ist, besetzte Gebiete zu befreien. Deswegen sind aus meiner Perspektive gerade "Marder", aber auch Transportpanzer vom Typ "Fuchs" das Thema. Wir haben diese Panzer in Deutschland in größerer Zahl zur Verfügung und können sie auch abgeben, weil sie bei der Industrie verfügbar sind und bei der Bundeswehr ohnehin ersetzt werden.
Christian Lindner hat am Montag bekräftigt, "dass keine Kampfpanzer westlicher Produktion und Bauart geliefert werden sollen". Diese Linie sei im FDP-Präsidium bestätigt worden, sagte er.
Die Ukraine hat bereits Kampfpanzer bekommen, zum Beispiel von Polen und Tschechien. Aber die Bundesregierung hat sich darauf verständigt, dass sie unsere Kampfpanzer westlicher Bauart nur nach Rückkopplung mit den Bündnispartnern liefern will. Das nehme ich natürlich zur Kenntnis. Ich freue mich dann aber, wenn die US-Botschaft deutlich macht, dass es die Entscheidung eines jeden Landes ist, ob es diesen Schritt geht. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagt zudem, dass es für die Sicherheit der NATO-Bündnispartner wichtiger ist, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt. Das ist wichtiger als der Füllstand der Waffenlager in der NATO.
Warum liefern die USA der Ukraine keine Kampfpanzer?
Ich glaube, die amerikanische Einschätzung ist, dass die Lieferung von Artilleriesystemen, von Raketenwerfern und entsprechender Munition Vorrang hatte, weil man mit diesen Artilleriesystemen die russischen Invasionstruppen stoppen wollte. Dieser Stopp war erfolgreich. Vor diesem Hintergrund muss nun der nächste Schritt gegangen werden.
Nach Darstellung der "New York Times" geht man in der US-Regierung davon aus, dass es Putin weniger provoziert, wenn die Unterstützung der Ukraine graduell hochgefahren wird. Ist das eine Linie, die die Bundesregierung auch verfolgt?
Das müssen Sie die Bundesregierung fragen. Meine Wahrnehmung ist, dass die Panzerhaubitze 40 Kilometer weit schießt, mit einem Kaliber von 155, und dass der "Gepard" auch in der Boden-Boden-Wirkung sehr gut ist und über 40 Tonnen wiegt. Warum man nun das eine und das andere liefert, aber das dritte und das vierte nicht, das ist sicher erklärungsbedürftig. Vom Völkerrecht her ist es irrelevant, ob man einem Land zu seiner Verteidigung Panzerfäuste oder Panzer zur Verfügung stellt - beides ist vom Völkerrecht klar gedeckt.
Gerade beginnen an mehreren Orten in Deutschland wieder Montagsdemonstrationen, vor allem im Osten. Sie kommen aus Sachsen-Anhalt. Was sagen Sie zu dem Argument, dass der Krieg zwar schlimm sei, aber dass Deutschland zuerst an sich selbst denken müsse?
Ich finde es absolut richtig, dass die Menschen sich aufregen und angesichts der hohen Energiepreise ein Störgefühl haben. Das kann, glaube ich, jeder nachvollziehen, insbesondere in Regionen, in denen die Durchschnittsgehälter niedrig sind. Die hohen Energiepreise werden aber nicht von der deutschen Regierung gemacht, sondern von Putin. Wir haben ausreichend Leitungskapazitäten und es gibt am anderen Ende der Leitung auch ausreichend Gas, das durchgeleitet werden könnte. Was fehlt, ist der Wille, dieses Gas zu liefern. Den Frust gibt es zu Recht. Aber der Adressat ist der Diktator im Kreml.
Sollten Deutschland oder Europa eine Verhandlungsoffensive starten, um den Krieg möglichst rasch zu beenden - mit dem Ziel, dass wieder Gas geliefert wird?
Es gibt in diesem Krieg zwei Kriegsparteien: das Land, das angegriffen hat, Russland, und das Land, das sich verteidigt, die Ukraine. Die sind beide erwachsen und brauchen keine Erziehungsberechtigten, die für sie Verhandlungen führen. Wir sind allerdings gut beraten, wenn wir der Ukraine helfen, in eine Position zu kommen, in der sie solche Verhandlungen aus einer Position der Stärke führen kann. Den Frieden beendet hat Wladimir Putin, und ich sehe derzeit nicht, dass er Interesse daran hat, ihn wiederherzustellen. Jeder Tag, an dem die Ukrainer Geländegewinne machen, zeigt dem Diktator, dass er auf dem Gefechtsfeld keine Gewinne mehr machen kann. Das muss ihn zu dem Schluss bringen, eine Lösung am Verhandlungstisch zu suchen.
Deutschland hat schon mehrfach Waffen geliefert, deren Lieferung die Bundesregierung vorher ausgeschlossen hatte. Haben Sie eine Prognose, wie lange es dauert, bis die Ukraine doch noch "Leopard", "Marder" oder "Fuchs" bekommt?
Wir brauchen ein schlüssigeres Konzept, bei dem wir uns systematisch überlegen, wie wir der Ukraine am besten helfen können, was sinnvoll ist, was wir haben und was wir aus welchen Gründen liefern oder nicht liefern können. Das Beispiel des Mannschaftstransporters Dingo, der in der vergangenen Woche zugesagt wurde, obwohl eine Lieferung vorher ausgeschlossen worden war, macht das, glaube ich, sehr, sehr deutlich. Hier gibt es noch Optimierungsbedarf.
Befürchten Sie, dass es im Herbst und im Winter eine neue Flüchtlingswelle gibt, ausgelöst durch die gezielten Angriffe der Russen auf zivile Infrastruktur?
In der Tat wird jetzt, wo die Invasionstruppen sich im Rückwärtsgang befinden, verstärkt die zivile Infrastruktur angegriffen. Aber wirklich neu ist das nicht, schon in den letzten Monaten haben wir gesehen, dass von 2000 Krankenhäusern in der Ukraine mehr als 700 bombardiert wurden. Wenn infolge solcher Angriffe die Strom- und Gasversorgung ausfällt, könnte es vermehrt Binnenflüchtlinge geben, und auch das gilt es natürlich zu vermeiden. Auch deshalb wären Waffenlieferungen hilfreich.
Könnte es sein, dass Putin versucht, eine Flüchtlingswelle zu provozieren, um den Westen zu destabilisieren?
Sein Kalkül ist nach meiner Einschätzung eher, die Ukrainer zu verängstigen, um sie zu bewegen, den Widerstand gegen die Invasion aufzugeben. Sein zentrales Ziel ist, diesen Krieg zu gewinnen. Allerdings unterschätzt er die Ukrainer. Ich habe mit vielen Menschen gesprochen, in Kiew, in Charkiw, auch in Kramatorsk und Slowjansk. Der Terror, den Russland dort täglich verbreitet, macht sie noch viel entschlossener, nicht unter diesem Regime leben zu wollen.
Mit Marcus Faber sprach Hubertus Volmer
(Dieser Artikel wurde am Mittwoch, 21. September 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de