Rätsel um Waffen aus Afrika Marokko liefert der Ukraine Panzer - oder doch nicht?
13.02.2023, 10:54 Uhr (aktualisiert)
Eine Panzerhaubitze der Amerikaner bei einer Militärübung in Marokko 2021. Die USA sind ein enger Verbündeter des nordafrikanischen Landes.
(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)
Angeblich liefert Marokko alte sowjetische Panzer an die Ukraine. Doch für diese Meldung gibt es weder Dementi noch Bestätigung. Des Rätsels Lösung könnten die USA sein - und ein Konflikt in der Westsahara.
In Afrika spielt Russlands Krieg gegen die Ukraine keine große Rolle. Viele Länder verurteilen Moskau nicht für den Angriff, sondern verhalten sich neutral, um es sich weder mit dem Westen noch mit Russland zu verscherzen. So hat das bislang auch Marokko gemacht: Bei den UN-Resolutionen zur symbolischen Verurteilung des Angriffskriegs nahm das Land gar nicht erst teil, sondern stellte die eigene Neutralität zur Schau.
Doch angeblich hat Marokko seine Meinung mittlerweile geändert - und liefert als erste afrikanische Nation überhaupt Panzer an die Ukraine. Diese verwunderliche Nachricht macht seit ein paar Wochen die Runde. "Ich kann diese Darstellung immer noch nicht ganz glauben. Es gibt viele Fragezeichen", wundern sich allerdings Beobachter wie Steffen Krüger von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Marokko. "Die Meldung kam von einer algerischen Nachrichtenseite, die sich vor allem mit Militärthemen befasst. Das muss aus Sicht von Marokko stutzig machen", sagt er im ntv-Podcast "Wieder was gelernt".
Marokkanische Panzer schon an der Front?
Als Erstes hat das algerische Onlinemagazin Menadefense über den Waffendeal berichtet. Demnach wurde er bereits im April vergangenen Jahres vereinbart. Damals hatte sich die sogenannte Ukraine-Kontaktgruppe das erste Mal auf dem US-amerikanischen Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz getroffen. Bei dem Treffen waren aus Nordafrika nur Marokko und Tunesien vertreten. Tunis steuerte logistische Hilfe bei und schickte zwei Frachtflugzeuge nach Polen. Marokko soll humanitäre Hilfe - und anscheinend auch eine Lieferung von Waffen zugesagt haben: Die USA hätten das Land überredet, eine unbekannte Anzahl Kampfpanzer vom Typ T-72 in die Ukraine zu schicken, heißt es.
Marokko hatte die alten gebrauchten Sowjetpanzer um die Jahrtausendwende herum aus Belarus gekauft. Dem Bericht zufolge verfügt die marokkanische Armee über fast 300 dieser T-72.
Andere Medien berichten, dass Marokkos König Mohammed VI. insgesamt 90 dieser Kampfpanzer an die Ukraine liefern will - für umgerechnet nur 95 Millionen Euro. Angeblich sollen die ersten 20 Modelle bereits im Dezember in Tschechien von der Militärfirma Excalibur Army ertüchtigt und von dort aus Mitte Januar in die Ukraine gebracht worden sein. Sie würden bereits an der Front eingesetzt, heißt es in dem Bericht. Einen Beleg aus der Ukraine gibt es jedoch nicht.
Russische Gräueltaten werden verschwiegen
Bewahrheitet sich diese Meldung, wäre das eine spektakuläre Entwicklung. Denn Russlands Angriff wird in Rabat, Casablanca und Marrakesch deutlich weniger feindlich gesehen als in der EU, berichtet Steffen Krüger im "Wieder was gelernt"-Podcast. "Man hat hier ein anderes Bild von dem Konflikt. Es wird durchaus Verständnis für die russische Seite gezeigt. Es heißt, die NATO oder die Ukraine hätten den Konflikt provoziert." Auffällig sei, dass in Marokko vor allem die Gräueltaten des Krieges kaum Erwähnung fänden, so Krüger. "Die Bilder aus Butscha zum Beispiel, die wurden hier gar nicht gezeigt in den Medien. Die wurden bewusst ausgelassen, um den Krieg nicht so weit ins Negative zu ziehen."
Genauso lässt die Regierung in Rabat ihre Bevölkerung in der Panzerfrage im Unklaren. Die Lieferung an die Ukraine wird nicht dementiert, eine Bestätigung gibt es genauso wenig. Womöglich, um Marokkos Neutralität und die Beziehungen zu Russland nicht zu gefährden, denn Außenminister Sergej Lawrow will das nordafrikanische Land noch in diesem Monat im Rahmen seiner Afrika-Reise besuchen: Moskau ist ein wichtiger Handelspartner.
Aber eine Panzerlieferung könnte für die marokkanische Regierung selbst dann Sinn ergeben, wenn man Russland als wichtigen Partner verliert. Der Schlüssel liegt womöglich in der ungelösten Westsahara-Frage. Die sei in der marokkanischen Außenpolitik entscheidend, betont Krüger. "Marokko verfolgt eine sehr dynamische Außenpolitik. Es gibt immer das klare Freund-Feind-Schema. Der marokkanische König hat es zuletzt in einer Rede selbst gesagt, dass die Beziehungen zu anderen Staaten immer durch das Prisma der Haltung gegenüber der Westsahara bewertet werden. Deshalb ist die marokkanische Außenpolitik einer gewissen Dynamik unterworfen."
Konflikt um Westsahara
Die Westsahara ist ein Gebiet an der Atlantikküste. Es ist dreimal so groß wie Portugal, liegt südwestlich von Marokko und grenzt auch an Mauretanien und Algerien. Ein riesiges Gebiet in der Wüste mit nur 600.000 Einwohnern. Bis 1975 war es eine spanische Kolonie. Seitdem beansprucht Marokko die Westsahara für sich. Gleichzeitig kämpft die Frente Polisario, eine linksgerichtete "Befreiungsfront", die in der Kolonialzeit entstanden ist, für einen unabhängigen Staat. 16 Jahre lang herrschte Krieg zwischen Marokko und der Polisario.
Seit dem Waffenstillstand von 1991 kontrolliert Marokko den Westen des Gebiets, etwa zwei Drittel des Landes. Der Rest der Westsahara, indem nur etwa ein Zehntel der Einwohner leben, steht unter Kontrolle der Polisario.
Die Vereinten Nationen fordern ein Referendum, um die Westsahara-Frage zu klären. Dagegen sperrt sich Marokko. Die Polisario kündigte den Waffenstillstand im November 2020 nach fast 30 Jahren einseitig auf. Seitdem sind die Kämpfe zwischen der Unabhängigkeitsbewegung und Marokko wieder aufgeflammt.
Im Dezember 2020 erhielt der Konflikt neue Nahrung, weil den Marokkanern ein enger Verbündeter zur Seite sprang. Die USA erkannten die Westsahara als Teil von Marokko an. Im Gegenzug unterschrieb Rabat als eines von vier muslimischen Ländern den sogenannten "Abraham-Akkord", der alte Feindschaften in der Arabischen Welt beilegen und die Beziehungen mit Israel befrieden soll.
Das war ein großer diplomatischer Erfolg, sowohl für die Amerikaner als auch für Marokko. "Man darf nicht vergessen, dass es die Regierung von Trump war, die die marokkanische Unabhängigkeit über die Westsahara anerkannt hat. Marokko hatte Angst, dass die Biden-Regierung dies vielleicht sogar zurücknehmen würde", analysiert Krüger bei "Wieder was gelernt". Ein solcher Tiefschlag blieb allerdings aus und die USA machen mit Blick auf Marokko unter Biden "da weiter, wo Trump aufgehört hat".
Marokkos historische USA-Freundschaft
Die USA pflegen seit langer Zeit gute Beziehungen nach Marokko. Das Band ist deutlich stärker als das mit Russland - gewissermaßen sogar historisch, denn Marokko war das erste Land, das die USA im Jahre 1777 offiziell anerkannten. Der marokkanisch-amerikanische Freundschaftsvertrag ist der längste ungebrochene Freundschaftsvertrag der Vereinigten Staaten mit einer anderen Nation.
Es gibt auch ein gemeinsames Militärabkommen. Marokko erhält auf diesem Weg Waffen aus Washington. Die braucht Marokko in der Westsahara, aber auch für sein Wettrüsten mit dem mehr als dreimal so großen Nachbarland und Intimfeind Algerien, der in der Westsahara die marokkanischen Gegner unterstützt.
Gab es die marokkanische Panzerlieferung an die Ukraine tatsächlich, muss diese deshalb im Kontext der Situation in Nordwestafrika betrachtet werden. Die Panzer für die Ukraine sind unter diesen Gesichtspunkten eher kein Statement zum russischen Angriffskrieg, sondern ein Werkzeug für eigene Interessen. Zumal die USA den Marokkanern die Lieferung sehr schmackhaft gemacht haben sollen: Laut Menadefense könnten die alten Sowjetpanzer durch neue amerikanische ersetzt und die Bestände der marokkanischen Armee somit modernisiert werden.
"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.
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(Dieser Artikel wurde am Samstag, 11. Februar 2023 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de