Absurdes Finanzkrisentreffen McCain bleibt tatenlos
26.09.2008, 16:40 UhrEs war in der Tat ein historisches Treffen - nur ganz anders als gedacht. Hitzige Wortgefechte, der Kniefall eines Finanzministers, Teilnehmer, die den Schauplatz durch eine Seitentür verließen, massive gegenseitige Schuldzuweisungen in TV-Interviews. Das war er, der Krisengipfel bei Präsident George W. Bush im Weißen Haus: Kein Durchbruch im Ringen um einen Rettungsplan für die bedrängte Finanzbranche, nicht einmal ein Mini-Fortschritt, Rebellion einer konservativen Kongress-Gruppe, Wahlkampf pur inmitten der schwersten Krise seit der Großen Depression - und ein republikanischer Präsidentschaftskandidat, der sich anscheinend selbst ausgetrickst hat.
Die Welt schaue auf die USA, hatte George W. Bush noch vor wenigen Tagen angesichts des Ringens um den 700 Milliarden Dollar schweren Plan gesagt, mit dem die Regierung die Wall Street aus ihrer Misere holen will. Und die Welt kam auf ihre Kosten: Sie erlebte ein Schauspiel, das in seiner Absurdität schon fast amüsieren könnte, ginge es nicht um den drohenden Absturz der gesamten US-Wirtschaft. Da fiel auch dem engen Mitarbeiter eines Teilnehmers, der namentlich nicht genannt werden wollte, nur noch eines dazu ein: "Was für eine Schweinerei."
McCain als Drehbuchautor
Das Drehbuch für das Schauspiel hatte - wenn auch sicher so nicht gewollt - der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain selbst geliefert. Seinen Wahlkampf hatte er am 24. September ausgesetzt, just einen Tag, nachdem ihn Meinungsumfragen im Abwärtssog der Finanzkrise zeigten, seine Teilnahme am ersten TV-Duell mit dem Demokraten Barack Obama infrage gestellt und bei Bush einen Krisengipfel mit ihm selbst, seinem Rivalen und führenden Kongressmitgliedern angeregt. Das alles, so McCain, aus noblen Gründen: In derartigen Krisenzeiten müssten halt politische Eigeninteressen zurückstehen.
So jettete McCain am 25. September nach Washington - und erfuhr, dass sich Republikaner und Demokraten in den zuständigen Ausschüssen bereits auf einen Kompromissplan geeinigt hatten, fertig zur Vorlage beim Krisengipfel, alles ganz ohne ihn. Dann gingen konservative Abgeordnete auf die Barrikaden, brachten den Kompromissplan beim Treffen im Weißen Haus zu Fall. Danach flogen die Fetzen: Republikaner und Demokraten hätten sich zum Teil angeschrien, schilderten Teilnehmer später in den US-Medien, "Verrat" hätten die Demokraten gerufen und die republikanischen Rebellen sich dieses verbeten, ein Konservativer stürmte noch vor Ende der Sitzung ins Freie und ließ wartende Journalisten wissen: "Diese Vereinbarung ist keine Vereinbarung."
Finanzminister fällt auf die Knie
Finanzminister Henry Paulson, so schilderte am 26. September die "New York Times", sei so verzweifelt gewesen, dass er nach dem Treffen buchstäblich vor der demokratischen Präsidentin des Abgeordnetenhauses, Nancy Pelosi, auf die Knie gefallen sei und sie gebeten habe, ihre Unterstützung für den Kompromissplan nicht aufgrund des Eklats zurückzuziehen. "Ich wusste nicht, dass Sie katholisch sind", antworte Pelosi trocken. "Ich bin es nicht, die das Ganze zu Fall bringt. Es sind die Republikaner." Paulson seufzte: "Ich weiß, ich weiß."
Einer, und das brachte die Demokraten am meisten auf die Palme, schwieg während des Treffens bei Bush fast durchgehend: der eigens zur Krisenlösung eingeflogene McCain. Nichts habe er bei den Beratungen beigetragen, um ein "Implodieren" der Gespräche zu verhindern, schäumte der Abgeordnete Barney Frank in einem CNN-Interview. Senator Christopher Dodd war ebenso fassungslos: Fast nichts habe McCain in der Sitzung gesagt, "ich weiß überhaupt nicht, wo er überhaupt steht". Der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Harry Reid, war in seinem Urteil noch vernichtender: Er habe in dem Gespräch von McCain nichts gehört, "was Substanz gehabt hätte".
McCain in der Zwickmühle
Unabhängige Kommentatoren hatten eine Erklärung für das Verhalten des Republikaners. Sein Problem, so sagten viele von ihnen in den Fernseh-Morgenshows: Er steckt in einer Zwickmühle. McCain wolle die sehr konservative Basis, die jeden staatlichen Eingriff in die Privatwirtschaft ablehne, nicht verprellen und den im Land so ungeliebten Bush nicht mit der Unterstützung eines Konzepts aus der Patsche helfen, das auch ihm selbst zu weit geht. Auf der anderen Seite drohe ihm der Makel eines schwachen Führers und "Verhinderers", sollte er die eigenen Reihen nicht zusammenschweißen und einen Kompromiss herbeizaubern. "Er weiß schlicht nicht, was er tun soll", sagte ein Kommentator des Senders MSNBC. "Ein klassisches Beispiel dafür, wie man sich selbst ins Knie schießt."
Gabriele Chwallek, dpa
Quelle: ntv.de