Politik

US-Wahl schon gelaufen? McCain unter Beschuss

Viel zu lachen hat John McCain, Präsidentenkandidat der US-Republikaner, derzeit nicht gerade. Sein Wahlkampf ist ohne Schwung und Fortüne, interne Konflikte dringen nach außen, die Stimmung in den Medien bläst ihm ins Gesicht. Jüngstes Beispiel: Die "New York Times" widmete McCain eine Geschichte auf der Titelseite, in dem sie sich lang und breit mit nichts Anderem beschäftigt, als mit seinen sprachlichen Schnitzern und rhetorischen Unzulänglichkeiten. Die wenig schmeichlerische Überschrift: "McCain kämpft mit seinem Widersacher, dem Teleprompter."

Wahlkampf in den USA ist hart, unerbittlich richten die Medien ihren Scharfblick auf die Schwächen der Kandidaten. Sehr viel erbarmungsloser als in Deutschland werden auch ganz persönliche Defizite an die Öffentlichkeit gezerrt. Penibel, bis ins kleinste Detail berichtet die "New York Times", wann und wo und bei welchem Wort McCain ins Stottern geraten war. Genüsslich mokiert sich das Blatt über die streckenweise geradezu einschläfernde Wirkung der McCain-Rhetorik, seine näselnde Tonlage, seinen Hang zu hilflosem Sarkasmus, sein allzu häufige kumpelhafte Anrede "my friend".

Gegen jugendlichen Charme

Kein Zweifel: Sonderlich telegen wirkt McCain wirklich nicht. Steif und ungelenk sind seine Bewegungen, die 71 Jahre sind dem einstigen Bomberpiloten deutlich anzusehen. Jahrelange Kriegsgefangenschaft in Nordvietnam samt Folter haben ihn zusätzlich gezeichnet. Zudem ist sein Gesicht von Narben nach Krebsoperationen zerfurcht. McCains ist gewiss kein "jugendlicher 70-Jähriger", eher im Gegenteil.

Schon heute wird klar: Das Duell gegen Barack Obama, den 46 Jahre jungen Mann, der in Wahlkampfpausen Basketball spielt, wird auch zu einer Auseinandersetzung alt gegen jung werden. Schon wird Obama mit dem jungen John F. Kennedy verglichen, der 1960 als strahlender 43- Jähriger die Präsidentenwahlen gewann - keine gute Aussicht für McCain.

Auch sonst hat McCain Probleme: Bislang hat der ehemalige Offizier, der aus einer traditionsreichen "Militärfamilie" stammt, ganz darauf gesetzt, sich als "sicherheitspolitischer Garant" zu präsentieren, als Hardliner, der die Truppen im Irak und Afghanistan zum Sieg führen wird. Doch die Wirtschaftskrise macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Nicht der Irak bewegt die Amerikaner an erster Stelle, sondern die steigenden Benzinpreise, nicht Afghanistan interessiert, sondern das Fiasko auf dem Immobilienmarkt.

"Dritte Amtszeit Bushs"

Hier hat es McCain schwer: Ohne Gnade erinnern ihn die Medien daran, dass er noch vor kurzem die Wirtschaftspolitik von Präsident George W. Bush gepriesen hat. McCain hat sich darauf festgelegt, dass die von Bush durchgesetzten Steuererleichterungen für Reiche festgeschrieben werden, tritt trotz weit verbreiteter Ängste vor Billigexporten ohne Wenn und Aber für Freihandel ein. Obama hat es leicht, von einer "dritten Amtszeit Bushs" zu sprechen, falls McCain die Präsidentenwahl am 4. November gewinnen sollte.

Schon fühlen sich Beobachter an die Wahlen von 1992 erinnert, als Bill Clinton ebenfalls inmitten wirtschaftlicher Krisenstimmung den außenpolitisch so erfolgreichen Amtsinhaber George H. W. Bush Senior besiegte - Clinton war damals 46 Jahre alt, Bush 68. Clintons Schlagwort lautete damals: "It's the economy, stupid." Zu Deutsch etwa: "Alles dreht sich um die Wirtschaft, Dummkopf."

Nichts ist entschieden

Ist die Wahl für McCain schon verloren? Mitnichten, antworten die Auguren in Washington. Zwar sehen die meisten Umfragen Obama im Vorteil, manche sogar mit über fünf Prozentpunkten. Doch Experten warnen: Was in Deutschland als beachtlicher Vorsprung erscheinen mag, kann im überaus schnelllebigen US-Wahlkampf dahinschmelzen wie der Schnee in der Frühlingssonne. Einigkeit herrscht darüber, dass etwa eine Verschärfung der Lage in Afghanistan oder dem Irak, eine Zuspitzung des Konflikts mit dem Iran oder gar ein Terrorangriff auf US-Ziele die Stimmung über Nacht völlig verändern würde - dann wäre plötzlich McCain der Mann der Stunde.

Peer Meinert, dpa

Quelle: ntv.de

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