"Aus der Kälte zurück" Medwedew bei Merkel
05.06.2008, 19:48 UhrRussland und Deutschland wollen bei der Energie-Versorgung Europas an einem Strang ziehen: Der neue russische Präsident Dmitri Medwedew und Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigten in Berlin an, die geplante Gaspipeline durch die Ostsee voranzutreiben und Widerstände der Anrainer-Staaten auszuräumen.
Merkel sagte, sie wolle politische Vorbehalte in anderen Ostsee-Staaten ausräumen. Genehmigungsverfahren dürften nicht politisch in die Länge gezogen werden. Merkel und Medwedew beteuerten erneut, auch andere Länder könnten von der Pipeline profitieren. Russland ist der wichtigste Gaslieferant Deutschlands und der EU. Polen fürchtet, durch die Ostsee-Pipeline von der Gasversorgung aus Russland abgeschnitten zu werden.
Auch in Schweden sind die Widerstände gegen die Ostsee-Pipeline groß. Die noch ausstehenden Genehmigungen schwedischer Behörden gelten als gewichtige Probleme bei der Realisierung des riesigen Bauvorhabens. Die knapp 1200 Kilometer lange Pipeline soll Gas durch die Ostsee vom russischen Wyborg bis Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern pumpen.
"Internationales Konsortium"
Medwedew schlug die Bildung eines "internationalen Konsortiums" für die Gas- und Ölpipelines in Europa vor. An diesem sollten sowohl die russischen Gesellschaften als auch die der Europäischen Union und der Transitländer beteiligt sein.
Merkel versuchte, vor allem von Gazprom geäußerte Bedenken zu zerstreuen, die EU wolle den Energiemarkt vor russischen Investitionen abschotten. Gazprom will sich an europäischen Versorgern beteiligen, um nicht nur an Förderung und Transport von Gas und Öl, sondern auch am lukrativen Endkundengeschäft zu verdienen. Dass Medwedew Deutschland als Ziel seiner ersten Auslandsreise in Europa gewählt habe, sei Ausdruck der engen freundschaftlichen Beziehungen, sagte Merkel nach einem rund zweistündigen Gespräch. Medwedews erste Auslandsreise hatte ihn über Kasachstan nach China geführt.
"Rechtsstaat hat höchste Priorität"
In Berlin sagte Medwedew die Fortentwicklung des russischen Rechts- und Gerichtssystems zu und betonte, diese Frage habe höchste Priorität. An dieser Aufgabe werde er arbeiten. Merkel mahnte bei dem Treffen im Kanzleramt mehr Transparenz an. Die Menschen müssten sich auf das Rechtssystem verlassen können. Zu diesem Zeitpunkt sei es noch zu früh, eine Bewertung der Fortschritte abzugeben, weil Medwedew erst seit kurzem im Amt sei.
Merkel und Medwedew besprachen auch den Fall des ehemaligen russischen Ölmagnaten Michail Chodorkowski, der 2005 in einem international kritisierten Prozess zu neun Jahren Haft verurteilt und dessen Strafe später um ein Jahr reduziert worden war. Medwedew betonte, der Fall dürfe kein Gegenstand zwischenstaatlicher Verhandlungen sein. Er sicherte umfassende Aufklärung der Morde an Journalisten in seinem Land zu. Einer der bekanntesten Fälle ist der unaufgeklärte Mord an der regierungskritischen Journalistin Anna Politkowskaja im Oktober 2006. Merkel machte deutlich, dass die Bundesregierung weitere Liberalisierungen in Russland begrüßen würde. Dies bezog sich besonders auf die Bedingungen für Nicht-Regierungsorganisationen. In ihrem Gespräch hatten beide zuvor vereinbart, einen "offenen und ehrlichen Austausch zu führen", sagte Merkel.
"Man muss Medwedew eine große Chance geben"
Nur drei Tage vor seiner Deutschlandreise hatte Medwedew sich gegen ein neues Gesetz zur Verschärfung des Presserechts ausgesprochen. Er forderte das Parlament auf, die Vorlage zu kippen, da sie "nur Hindernisse für das normale Funktionieren der Massenmedien schaffen könnte". Auch dieser Schritt wurde im Westen als Anzeichen für einen neuen Kurs gewertet.
Die deutsche Wirtschaft setzt darauf, dass Medwedew für mehr Rechtstaatlichkeit sorgen wird. "Man muss dem neuen russischen Präsidenten mit einem hohen Maß an Grund-Optimismus begegnen und man muss ihm eine große Chance geben", sagte Klaus Mangold, der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, bei n-tv. "Ich bin auch sicher, dass er diese Chance wahrnehmen wird." Es werde "darauf ankommen, dass der Präsident ein paar Signale setzt, die darauf hinauslaufen, dass wir eine Sicherheit der Energieversorgung haben - was ja für Deutschland ein wichtiger Punkt ist", so Mangold weiter.
"Russland ist aus der Kälte zurückgekommen"
In einer außenpolitischen Grundsatzrede vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) forderte Medwedew eine engere Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen. Da "niemand einen Krieg in Europa" wolle, hätte ein Europäisches Sicherheitsabkommen "alle Aussichten auf Erfolg", sagte er. Auf einem Gipfel könne mit der Ausarbeitung begonnen werden. Gleichzeitig warnte Medwedew die NATO davor, ihre Ost-Erweiterung fortzusetzen. Medwedew warb um Vertrauen für Russland. "Russland ist aus der Kälte zurückgekommen."
"Tendenzen, die das gegenseitige Verständnis aufweichen, beunruhigen uns", sagte Medwedew mit Blick auf den von den USA geplanten Raketenschild. Eine Ost-Erweiterung der NATO würde die Beziehungen zwischen Russland und anderen europäischen Ländern "auf radikale Weise für lange Zeit untergraben", sagte er. "Es würde keine Konfrontation geben, aber der Preis wäre zu hoch", warnte Medwedew. Vor allem die Annäherung der Nachbarländer Ukraine und Georgien an die Allianz betrachtet Russland mit Argwohn, da sich die NATO im Falle ihrer Mitgliedschaft bis an die russische Grenze ausdehnen würde.
Zum Abschluss seines Besuchs legte Medwedew einen Kranz am Sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Treptow nieder. Das Mahnmal erinnert an die Sowjetsoldaten, die 1945 im Kampf um Berlin gefallen waren.
Quelle: ntv.de