Streit um Jugendkriminalität Mehr Bildung gefordert
03.01.2008, 08:20 UhrBei der Bekämpfung von Jugendkriminalität helfen nach Ansicht des Kriminologen Christian Pfeiffer nicht schärfere Strafen, sondern vor allem bessere Bildungschancen. Dazu komme ein hoher Fahndungsdruck und schnelle Bestrafungen. Das belegten "extreme regionale Unterschiede" in der Entwicklung der Jugendkriminalität, sagte der Leiter des Kriminologischen Instituts Niedersachsen und frühere Hannoveraner SPD-Justizminister. So würden junge Türken in München deutlich mehr Gewalttaten als früher verüben, in Hannover weniger. Zugleich hätten sich deren Bildungschancen in Hannover deutlich verbessert, in München seien sie nach wie vor schlecht.
Angesichts der Debatte über gewalttätige Jugendliche will die Bundesregierung eine Verschärfung des Jugendstrafrechts prüfen. Anlass für die Debatte ist der brutale Überfall zweier ausländischer Jugendlicher auf einen Rentner kurz vor Weihnachten in der Münchner U-Bahn.
Pfeiffer verwies auf Befragungen seines Instituts unter tausenden Neuntklässlern 1998 und 2005/2006. In Hannover sei die Zahl der türkischen Schüler, die eingeräumt hätten, im zurückliegenden Jahr mindestens eine Gewalttat verübt zu haben, von 32 auf 22 Prozent gesunken. In München sei sie von 27 auf 31 Prozent gestiegen. Die Zahl der Mehrfachtäter mit mindestens fünf Gewalttaten habe sich in Hannover von 15 auf 7 Prozent halbiert, in München von 6 auf 12 Prozent verdoppelt.
"Das Strafrecht ist in beiden Städten dasselbe, und die Polizei arbeitet vorzüglich", sagte Pfeiffer. Aber in Niedersachsen habe man sich von der Hauptschule abgewandt, die Realschule sei die zentrale Schule geworden, und die Zahl türkischstämmiger Gymnasiasten habe sich verdoppelt. In München dagegen besuchten mehr als die Hälfte der Türken die Hauptschule.
Der Fraktionsvize der Grünen im Bundestag, Hans-Christian Ströbele, forderte bei n-tv mehr Bildung und Stellen für Migranten. "Auf jeden Fall würde es helfen, wenn man auch den Jugendlichen aus Migranten-Familien mehr Zukunftsperspektiven geben würde", so Ströbele. Wenn jemand überhaupt nicht weiß, was er im Leben erreichen kann, wenn er keine Perspektive hat, wenn er keinen Arbeitsplatz, keinen Ausbildungsplatz – nicht mal in Aussicht – hat, dann wird er verwahrlosen, dann wird er trinken und dann wird er möglicherweise auch in solche Gewaltspiralen hineinkommen."
Als "reinen Populismus" hat der Deutsche Anwaltsverein (DAV) Forderungen bezeichnet, das Jugendstrafrecht zu verschärfen. Die Vorsitzende der Arbeitsgruppe Familienrecht im DAV, Ingeborg Rakete-Dombek, sagte der "Frankfurter Rundschau": "Diese Reaktion auf den Vorfall in München ist unangemessen."
Der Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld, Wilhelm Heitmeyer, kritisierte die aktuelle Debatte. Strafjustiz könne keine Prävention gegen Jugendkriminalität leisten, sagte Heitmeyer im Deutschlandradio Kultur.
Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz sprach sich gegen Veränderungen im Jugendstrafrecht aus. "Unser rechtliches Instrumentarium ist völlig ausreichend", sagte er den in Dortmind erscheinenden "Ruhr Nachrichten". Es handele sich um eine "Scheindebatte, die nach den Landtagswahlen schnell wieder beendet sein wird".
Quelle: ntv.de