Karlsruhe verpasst Politik Denkzettel Mehr Geld für Asylbewerber
18.07.2012, 13:28 Uhr
225 Euro sind zu wenig, um ein menschenwürdiges Leben zu führen.
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Mit 224 Euro im Monat müssen Asylbewerber in Deutschland derzeit auskommen. Das ist viel zu wenig, entscheidet jetzt das Bundesverfassungsgericht und verlangt, dass die Sätze neu berechnet werden. Die Politik will das Urteil zügig umsetzen. Doch die Anhebung der Leistungen kommt die öffentlichen Kassen teuer zu stehen.
Die Sozialleistungen für Asylbewerber und Flüchtlinge in Deutschland sind verfassungswidrig und müssen neu berechnet werden. Das entschied das Bundesverfassungsgericht. Die Höhe der Geldleistungen von 224 Euro sei unzureichend, weil sie seit 1993 trotz erheblicher Preissteigerungen in Deutschland nicht verändert worden sei, urteilte der Erste Senat. Die entsprechenden Regelungen seien daher mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums unvereinbar.

Das Landessozialgericht NRW gab den Fall weiter an die Karlsruher Verfassungsrichter.
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Die Verfassungshüter begründeten ihr Urteil damit, dass das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum nicht nur Deutschen, sondern "gleichermaßen" auch allen Ausländern zustehe, die sich in der Bundesrepublik aufhalten. Dieses Grundrecht umfasst neben der "physischen Existenz des Menschen" auch die "Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen" und ein "Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben".
Asylbewerber erhalten laut Urteil nun übergangsweise etwa ein Drittel mehr, bis die Sätze neu vom Gesetzgeber berechnet und festgelegt worden sind. Demnach betragen die Leistungen ab sofort 336 Euro monatlich. Davon müssen 130 Euro "für die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens" in bar ausbezahlt werden, entschied das Bundesverfassungsgericht. Bislang lag dieser Betrag bei 40 Euro. Die Übergangsregelung gilt rückwirkend ab 2011 für alle noch nicht rechtskräftig ergangenen Bescheide.
Ursprünglich galten die im Asylbewerberleistungsgesetz festgeschriebenen Leistungen nur für Flüchtlinge während des Asylverfahrens. Die Regelung wurde aber auf andere Menschen ohne dauerhaftes Aufenthaltsrecht ausgeweitet - nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren es zum Jahresende 2010 insgesamt 130.300 Menschen.
Mehrkosten von 130 Millionen Euro
Die Bundesregierung will das Urteil des Bundesverfassungsgerichts schnell umsetzen. Man werde eine verfassungskonforme, transparente und realitätsgerechte Neuregelung erarbeiten, heißt es in einer Stellungnahme vom Mittwoch aus dem Haus von Arbeits- und Sozialministerin Ursula von der Leyen. "Dabei werden wir auch den Anspruch auf Bildung und Teilhabe für Kinder und Jugendliche umsetzen", heißt es in der Erklärung weiter. Für die Kinder von bedürftigen Langzeitarbeitslosen hatten Bund und Länder sich bereits vor einem Jahr auf ein "Bildungspaket" verständigt.
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, und die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth begrüßen das Urteil. "Jeder Mensch in Deutschland hat unabhängig von seinem Rechtsstatus einen Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum", sagte Staatsministerin Böhmer. "Der seit 1993 unveränderte Regelsatz reichte dafür schon lange nicht mehr aus." Es sei dringend notwendig, ein schlüssiges Verfahren zur Berechnung der künftigen Leistungen zu entwickeln. Die Grünen-Vorsitzende Roth bezeichnete das Urteil als "wichtiges und starkes Signal". Die Bundesregierung sei nun gefordert, "schnellstmöglich die Sätze für Asylbewerber deutlich anzuheben und ihnen so ein Leben in Würde zu ermöglichen".
Die Anhebung der Leistungen für Asylbewerber kommt die öffentlichen Kassen teuer zu stehen. "Die Mehrkosten belaufen sich auf bis zu 130 Millionen Euro jährlich", erklärte der Deutsche Landkreistag. Schon bisher trügen die Landkreise und kreisfreien Städte 489 Millionen Euro und damit 60 Prozent der jährlichen Kosten allein, weil die Kostenerstattung durch die Länder nicht ausreiche. "Dies darf sich nicht weiter verschärfen", forderte der Präsident des Landkreistages, Hans Jörg Duppré.
Viele der Betroffenen leben schon seit längerer Zeit in Deutschland - wie auch die beiden Kläger in den Ausgangsverfahren: Einer von ihnen, ein Kurde, war 2003 aus dem Irak geflohen. Er wird seither in Deutschland geduldet. Die Klägerin des zweiten Verfahrens, ein elfjähriges Mädchen, wurde sogar in Deutschland geboren. Ihre Mutter war aus Nigeria geflohen. Inzwischen hat das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit. Der Kurde hatte vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen geklagt, das den Fall dann Karlsruhe vorlegte.
Quelle: ntv.de, rts/dpa