Politik

Eine Nachricht von Snowden "Meine Angst war unberechtigt"

Edward Snowden fürchtet ein Jahr nach seinen ersten Enthüllungen, dass die Debatte um Überwachung zu früh abbricht.

Edward Snowden fürchtet ein Jahr nach seinen ersten Enthüllungen, dass die Debatte um Überwachung zu früh abbricht.

(Foto: picture alliance / dpa)

Ein Jahr nach seinen ersten Enthüllungen ist Edward Snowden bewegt davon, was er und andere erreicht haben. Doch nun fürchtet er, dass die Debatte steckenbleibt. n-tv.de hat seinen Brief übersetzt.

Im Original steht dieser Brief seit Sonntag auf freenowden.is. Er wurde zuvor bereits von der Menschenrechtsorganisation ACLU veröffentlicht.

Eine Nachricht von Edward Snowden, ein Jahr danach

Es ist nun ein Jahr her.

Technik war eine befreiende Kraft in unserem Leben. Sie erlaubte uns, menschliche Erfahrungen zu machen und sie mühelos miteinander zu teilen. Aber heimlich hat unsere eigene Regierung – obwohl sie an die Verfassung und die Erklärung der Menschenrechte gebunden ist – diese schöne Sache zu einem Werkzeug der Massenüberwachung und der Unterdrückung umgebaut. Die Regierung kann in diesem Moment ganz leicht überwachen, wen du anrufst, mit wem du dich zusammentust, was du liest, was du einkaufst, wo du online gehst und wieder offline. Sie tun das mit allen von uns, die ganze Zeit.

Heutzutage werden unsere intimsten Aufzeichnungen heimlich und wahllos beschlagnahmt. Es spielt keine Rolle, ob wir überhaupt verdächtigt werden, etwas Falsches getan zu haben. Wenn diese Fähigkeiten in die falschen Hände geraten, können sie unsere Freiheiten zerstören. Technik sollte diese Freiheiten ausbauen, nicht auslöschen. Überwachung ohne Beachtung von Gesetzen und der Menschenwürde führt zu Gesellschaften, die sich vor freier Meinungsäußerung und Widerspruch fürchten – den Werten, die Amerika stark gemacht haben.

Im langen, dunklen Schatten des Überwachungsstaates kann keine freie Gesellschaft gedeihen.

Aus diesem Grund habe ich vor einem Jahr Belege für diese unverantwortlichen Taten öffentlich gemacht. Ich wollte eine wichtige Diskussion entfachen, von der die US-Regierung das amerikanische Volk fernhalten wollte. Mit jeder Enthüllung fiel nach und nach Licht auf die National Security Agency, die es bis dahin zu bequem hatte. Sie war gewachsen und operierte im Dunkeln, ohne demokratische Zustimmung. Ein Bundesrichter bezeichnete eines der NSA-Überwachungsprogramme vor Gericht als "wahrscheinlich verfassungswidrig" und bescheinigte ihm "fast Orwellsche Ausmaße". Der Kongress und auch Präsident Obama haben dazu aufgerufen, die Rasterfahndung nach intimen Details unseres Lebens zu beenden. Nach Jahrzehnten in der Sackgasse bewegt sich der Kongress nun. Er beginnt, den Überwachungsstaat zurückzufahren.

Ich bin bewegt davon, wie viel wir schon gemeinsam erreicht haben. Die NSA arbeitet daran, Privatsphäre zu einer Sache der Vergangenheit zu machen. Der Öffentlichkeit stehen diese Informationen zu. Doch als im "Guardian" und der "Washington Post" die ersten Berichte dazu erschienen, fürchtete ich, auf kollektive Gleichgültigkeit zu stoßen.

Ein Jahr später stelle ich fest, dass meine Angst unberechtigt war.

Amerikaner wie ihr glauben noch immer daran, dass die Verfassung das höchste Gesetz dieses Landes ist und nicht im Namen falscher Sicherheit heimlich verletzt werden darf. Manche sagen, ich sei ein Mann ohne Land, aber das ist nicht wahr. Amerika war immer ein Vorbild. Auch wenn ich weit weg bin, fühlte ich mich ihm nie verbundener als jetzt, wo ich sehe, dass sich die notwendige Debatte so entfaltet, wie ich gehofft hatte. Durch die Kraft des Internets ist mir Amerika immer zum Greifen nahe.

Aber jetzt ist es Zeit, den Schwung für ernsthafte Reformen beizubehalten, damit die Debatte nicht zu früh stirbt.

Nur dann werden Gesetzesänderungen die NSA wirklich zügeln und die Regierung an den Platz zurückbringen, den die Verfassung für sie vorsieht. Nur dann werden wir sichere Technik bekommen, die wir zum Kommunizieren brauchen. Nur dann werden wir keine Angst davor haben müssen, dass unsere eigene Regierung die Daten sammelt, sortiert und aufbricht, ungewählte Bürokraten in unsere privatesten Bereiche eindringen und unsere Hoffnungen und Ängste analysieren. Bis dahin muss jeder Amerikaner, dem seine Rechte wichtig sind, sein Bestes tun. Er muss sich um digitale Selbstverteidigung kümmern, aktiv seine elektronischen Geräte und seine Kommunikation schützen. Die Regierung respektiert unsere Privatsphäre nicht mehr. Jeder Schritt, mit dem wir uns vor ihr schützen, ist ein Akt des Patriotismus.

Wir haben einen langen Weg hinter uns. Aber es gibt noch viel zu tun.

Aus dem Englischen von Christoph Herwartz

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen