Politik

Mehrere Kopf- und Brustschüsse Menschenrechtlerin ermordet

Wenige Stunden nach ihrer Entführung ist die prominente Menschenrechtsaktivistin Natalja Estemirowa tot aufgefunden worden. Russlands Präsident Medwedew reagierte empört auf die Ermordung und verspricht eine unverzügliche Untersuchung.

Natalja Estemirowa: Die Menschenrechtsaktivistin wurde am 15. Juli 2009 in Grosny verschleppt und später ermordet.

Natalja Estemirowa: Die Menschenrechtsaktivistin wurde am 15. Juli 2009 in Grosny verschleppt und später ermordet.

(Foto: AP)

Die Leiche der Mitarbeiterin der Organisation Memorial wurde in der Teilrepublik Inguschetien gefunden, wie die Polizei mitteilte. Estemirowa sei mit mehreren Kopf- und Brustschüssen getötet worden. Die 50-jährige Aktivistin galt ähnlich wie die 2006 getötete regierungskritische Tschetschenien-Reporterin Anna Politkowskaja als Kämpferin für die Menschenrechte im Nordkaukasus.

Anna Politkowskaja: Die kremlkritische Journalistin wurde am 7. Oktober 2006 vor ihrer Wohnung in Moskau erschossen.

Anna Politkowskaja: Die kremlkritische Journalistin wurde am 7. Oktober 2006 vor ihrer Wohnung in Moskau erschossen.

Eine Kreml-Sprecherin äußerte die Vermutung, dass Estemirowa wegen ihrer Menschenrechtsarbeit sterben musste. Die Aktivistin hatte sich mit kritischen Berichten über das Verschwinden von Zivilisten in Tschetschenien wiederholt den Zorn der moskautreuen Machthaber zugezogen. Wie Politkowskaja schrieb sie regelmäßig Beiträge für die oppositionsnahe Zeitung "Nowaja Gaseta". Bürgerrechtler reagierten mit Bestürzung. Derartige Verbrechen bewiesen, dass die Realität im Kaukasus weit entfernt sei von der offiziellen Darstellung, sagte der Vorsitzende der Bewegung "Für Menschenrechte", Lew Ponomarjow.

Vor ihrem Haus entführt

Nach Memorial-Schätzungen sind in Tschetschenien seit den Kriegen gegen islamistische Rebellen in den 1990er Jahre mehrere tausend Menschen spurlos verschwunden. Die meisten von ihnen wurden vermutlich ermordet. Estemirowas Organisation Memorial hatte 2004 den Alternativen Nobelpreis verliehen bekommen. Die Stiftung bemüht sich um eine Aufarbeitung des Stalinismus und setzt sich für die Einhaltung der Menschenrechte unter anderem in Tschetschenien ein.

Natalja Estemirowa wurde erst verschleppt und wenig später erschossen.

Natalja Estemirowa wurde erst verschleppt und wenig später erschossen.

(Foto: REUTERS)

Estemirowa sei am Mittwochmorgen nach Verlassen ihres Hauses von Unbekannten in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny entführt worden, sagte ein Memorial-Sprecher in Moskau. Ihr Leichnam wurde später am Rand einer Fernstraße gefunden.

Die Historikerin hatte die Öffentlichkeit nicht nur während des Tschetschenien-Krieges über die oft mit staatlicher Duldung begangenen Verbrechen an Zivilisten informiert. Dabei gab es immer wieder Berichte über grobe Menschenrechtsverstöße wie Entführungen und Folter vor allem durch die Miliz des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow. Sie half auch in den vergangenen Jahren Familien bei der Suche nach Angehörigen.

Unmut über Estemirowa

"Mehr als einmal" hätten die moskautreuen tschetschenischen Behörden ihren Unmut über die Arbeit Estemirowas geäußert, teilte die Organisation mit. Ein Kollege sagte, dass Estemirowa kürzlich den Zorn der Behörden auf sich gezogen habe, weil sie Sicherheitskräften vorgeworfen hatte, einen mutmaßlichen Rebellen Anfang Juli vorsätzlich getötet zu haben. Für ihre Arbeit wurde sie 2007 mit dem Anna-Politkowskaja-Preis bedacht. Mit der 2006 ermordeten Journalistin war sie selbst befreundet.

Präsident Medwedew habe mit Empörung auf die Tat reagiert, sagte Kreml-Sprecherin Natalja Timakowa laut russischen Nachrichtenagenturen. Er habe unverzüglich eine Untersuchung eingeleitet. Tschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow bezeichnete den Mord als "unmenschlich", wie die Nachrichtenagentur RIA Nowosti berichtete.

"Schreckliche Tragödie"

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) äußerte sich bestürzt über die Ermordung Estemirowas. Er verurteile diese "feige Tat auf das Schärfste", erklärte Steinmeier. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) sprach von einer "schrecklichen Tragödie."

Die mehrheitlich von Muslimen bewohnten Kaukasusrepubliken im Südwesten Russlands sind immer wieder Schauplatz von Anschlägen und Entführungen. Ein Großteil der Gewalttaten wird mit dem Tschetschenien-Konflikt in Verbindung gebracht. Dort kämpfen Rebellen seit Jahren für die Unabhängigkeit von Moskau. Die russische Regierung erklärte im April seinen Anti-Terror-Einsatz in Tschetschenien für beendet, der mit dem zweiten Tschetschenien-Krieg im Jahr 1999 begonnen hatte.

 

Quelle: ntv.de, dpa/AFP

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