Politik

Afghanistan-Debatte Merkel: Ich verbitte mir das

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Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die rasche Kritik von NATO-Verbündeten an dem tödlichen Luftangriff in Afghanistan scharf zurückgewiesen. "Ich verbitte mir das, und zwar von wem auch immer im In- und im Ausland", sagte Merkel in ihrer Regierungserklärung zur Lage in Afghanistan.

Ihren Ärger über die Vorverurteilungen habe sie auch NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen mitgeteilt. "Und zwar sehr unmissverständlich", erklärte sie. Deutschland werde bei der Aufklärung des Vorfalls nichts beschönigen, aber auch keine Vorverurteilungen akzeptieren. Auch Bundespräsident Horst Köhler warnte vor übereilter Kritik an der Bundeswehr.

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(Foto: dpa)

Außenminister Frank-Walter Steinmeier rief ebenfalls dazu auf, den Vorfall erst nach abgeschlossener Untersuchung zu beurteilen. Der Außenminister wies zudem Forderungen nach einem sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan zurück. Deutschland sei in sein Engagement nicht "kopflos hineingestolpert" und dürfe das Land auch nicht kopflos wieder verlassen.

Merkel bedauert zivile Opfer

Ohne konkret auf die Toten des Bombardements von Kundus einzugehen, bedauerte Merkel zivile Opfer bei dem Einsatz am Hindukusch. "Jeder in Afghanistan unschuldig zu Tode gekommene Mensch ist einer zu viel. Wir trauern um jeden Einzelnen", bekräftigte die Kanzlerin. Die NATO bestätigte unterdessen, dass bei dem von der Bundeswehr angeordneten Luftangriff auf zwei entführte Tanklaster nahe Kundus auch Zivilisten getötet wurden. Untersuchungen hätten ergeben, dass nicht nur Aufständische, sondern auch Unbeteiligte unter den Toten und Verletzten seien.

Die Regierung geht von gut 50 getöteten Taliban aus, schließt aber zivile Opfer nicht mehr aus. Afghanische Menschenrechtler schätzen die Zahl der getöteten Zivilisten auf 60 bis 70. Die Bundeswehr begründet den Angriff damit, dass die Tanklaster als rollende Bomben in den Händen der Taliban eine tödliche Bedrohung dargestellt hätten. Für einen Angriff mit Bodentruppen seien nicht ausreichend Soldaten vor Ort gewesen, erklärte das Verteidigungsministerium bei der Unterrichtung der Obleute des Wehr-Ausschusses laut Teilnehmerangaben.

"Auch Nichthandeln hat Folgen"

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(Foto: dpa)

Der Partei- und Fraktionschef der Linken, Oskar Lafontaine, sprach sich für ein rasches Ende des deutschen Einsatzes aus: "Wir fordern den Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan, weil wir der festen Überzeugung sind, dass der Einsatz der Bundeswehr nicht der internationalen Sicherheit dient, nicht dem Frieden und auch nicht geeignet ist, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen."

Merkel warb in ihrer Rede dafür, die Weichen für einen schrittweisen Abzug der Truppen aus Afghanistan zu stellen. In den nächsten fünf Jahren müssten substanzielle Fortschritte erzielt werden, die einen schrittweisen Rückzug der Soldaten erlaubten. Die Afghanistan-Konferenz Ende des Jahres solle Zielvorgaben zum Aufbau des Landes, zur angestrebten Stärke der Sicherheitskräfte sowie für den Kampf gegen Kriminalität, Korruption und Drogenhandel machen.

Einem raschen Abzug erteilte die Kanzlerin eine Absage. "Niemand täusche sich: Die Folgen von Nichthandeln werden uns genauso zugerechnet wie die Folgen von Handeln." Auch Deutschland sei im Visier des Terrorismus. "Der Afghanistan-Einsatz ist unsere Reaktion auf den Terror. Er ist von dort gekommen, nicht umgekehrt", sagte Merkel.

Jung in der Kritik

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(Foto: dpa)

Die Opposition übte scharfe Kritik an Verteidigungsminister Franz Josef Jung. Die Unterrichtung der Öffentlichkeit sei ein Desaster, Jung sei zur Belastung für die Afghanistan-Politik geworden, bemängelte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. Merkel warf er einen verdrucksten und beschämenden Umgang mit dem Einsatz in Afghanistan vor. Die Kanzlerin betreibe eine Politik des "Durchwursteln und bloß nicht auffallen, weil Sie wissen, wie unpopulär das Thema ist". Dies werde am Ende jedoch zu einem kopflosen Abzug und ins Chaos führen, warnte Trittin.

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(Foto: AP)

Rückendeckung bekam Merkel von FDP-Chef Guido Westerwelle. "Hier haben Sie für Deutschland gesprochen", lobte er. Zugleich warb er um Verständnis für die Entscheidung zum Luftangriff. "Was wäre in Deutschland losgewesen, wenn diese Tanklaster...für einen Anschlag tatsächlich zum Einsatz gebracht worden wären?", fragte er. Linken-Chef Oskar Lafontaine forderte dagegen erneut den Abzug der Bundeswehr.

Auch Köhler gegen "Vorverurteilungen"

Köhler sagte bei der Einweihung des Ehrenmals für getötete Soldaten am Abend: "So sehr wir erwarten, dass die Ereignisse der vergangenen Woche aufgeklärt werden, so sehr wenden wir uns auch gegen Vorverurteilungen." Die Bundeswehr stehe in Afghanistan vor einer gefährlichen Aufgabe, die dem Einzelnen schwere Entscheidungen abverlange.Zugleich bedauerte Köhler jegliche zivile Opfer. "Wir trauern um jeden Menschen, der in Afghanistan unschuldig zu Tode kommt", sagte er.

Mit Blick auf die Auslandseinsätze der Bundeswehr warb er für eine verstärkte öffentliche Auseinandersetzung darüber. "Ich wünsche mir darüber eine öffentliche Debatte, die aber zugleich geprägt ist von Anteilnahme und Respekt, von Sorge und Anerkennung für die Bundeswehr und ihren Dienst." An einer Demonstration der Linkspartei gegen den Afghanistan-Krieg beteiligten sich am Nachmittag in Berlin nur wenige Hundert Menschen.

Quelle: ntv.de, rts/AFP

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