Politik

Europa wählt - und keiner geht hin? Merkel erwartet Verluste

Bei der Europawahl wird in fast allen Staaten mit einer niedrigen Wahlbeteiligung gerechnet. Kanzlerin Merkel macht dafür die Politik mitverantwortlich, die zu weit vom Bürger entfernt sei. Zudem erwartet Merkel Verluste für die Union. Das Ergebnis von 2004 könne nicht wiederholt werden.

CDU und SPD kämpfen auch einen Tag vor der Europawahl noch um Wählerstimmen. Bundeskanzlerin Angela Merkel beendet den Wahlkampf der CDU mit einer Rede auf dem Universitätsplatz in Heidelberg. Die Beteiligung an der Wahl sei wichtig, weil es um die Weichenstellungen für die Arbeit der Europäischen Union gehe, sagte die CDU-Vorsitzende bereits am Freitag.

Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering wird bei einem Europafest in Hannover reden. Am Nachmittag tritt er dann noch einmal mit dem SPD-Spitzenkandidaten Martin Schulz in Dortmund auf. Am Sonntag können in Deutschland 64,3 Millionen Bürger ihre Stimme abgeben, darunter 2,1 Millionen aus anderen EU-Staaten.

Die CDU setzte auch auf Provokation: Auf einem Europawahlkampfplakat ist zu lesen: "Die Mehrheit der Deutschen denkt: Europawahl ist scheißegal!" - dies wurde jedoch durch die Aufschrift "Falsch!" ergänzt.

Die CDU setzte auch auf Provokation: Auf einem Europawahlkampfplakat ist zu lesen: "Die Mehrheit der Deutschen denkt: Europawahl ist scheißegal!" - dies wurde jedoch durch die Aufschrift "Falsch!" ergänzt.

(Foto: dpa)

In vier weiteren Ländern der Europäischen Union haben unterdessen die Wahlen zur neuen EU-Vertretung begonnen. Es ist der dritte Tag der EU-Wahlen. Auf Zypern öffneten die Wahllokale bereits um 5.00 Uhr. Außerdem sind seit heute morgen die Wähler in Lettland, Malta und der Slowakei zur Stimmabgabe aufgerufen. In Tschechien wurde inzwischen der zweite Wahltag abgeschlossen. Örtliche Medien berichteten von einer Wahlbeteiligung um die 30 Prozent, die Wahlkommission gab in Prag zunächst keine offiziellen Zahlen bekannt. Bei den Europawahlen 2004 hatten lediglich 28 Prozent der gut acht Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben.

14 Prozent Wahlbeteiligung?

Bis Sonntag sind in den 27 EU-Staaten mehr als 375 Millionen Menschen wahlberechtigt. Allerdings wird europaweit mit einer relativ geringen Beteiligung gerechnet. In Großbritannien, den Niederlanden, Irland und Tschechien wurde bereits gewählt. Offizielle Ergebnisse dürfen erst nach Schließung des EU-weit letzten Wahllokals am Sonntag um 22.00 Uhr bekanntgegeben werden.

Wahlwerbung vor dem EU-Gebäude in Brüssel.

Wahlwerbung vor dem EU-Gebäude in Brüssel.

(Foto: dpa)

In der Slowakei ist die Europawahl von der Befürchtung begleitet gewesen, bei dem Urnengang könne ein neuer Tiefststand bei der Wahlbeteiligung erreicht werden. Nachdem 2004 nur 17 Prozent der Stimmberechtigten zur Wahl des Europaparlaments gegangen waren, sagte die jüngste Umfrage für die anstehende Abstimmung eine Beteiligung von gerade einmal 14 Prozent voraus. Beobachter erklären dies damit, dass die Slowaken nach bereits zwei Präsidentschaftswahlgängen in diesem Jahr wahlmüde seien und außerdem den EU-Parlamentariern eine zu große Distanz zu nationalen Belangen vorhielten.

Merkel erwartet Verluste

Merkel äußerte sich allerdings zurückhaltend zu den Erfolgsaussichten der Union. In der "Bild am Sonntag" bekräftigte sie: "Wir wollen deutlich stärkste Partei vor der SPD werden." Zugleich wies sie aber darauf hin, dass es bei der Wahl 2004, als die Union mit 44,5 Prozent mit weitem Abstand vorne lag, eine "außergewöhnliche Situation" gegeben habe.

Damals sei die rot-grüne Bundesregierung massiv in der Kritik gestanden und habe daher ein außergewöhnlich schlechtes Ergebnis erzielt. "Von der Schwäche der SPD konnte die Union als damals größte Oppositionspartei überdurchschnittlich profitieren."

Entscheidungen zu weit entfernt

Merkel erwartet Verluste für die Union.

Merkel erwartet Verluste für die Union.

(Foto: AP)

Sie sieht in einer Entfremdung zwischen den Bürgern und der EU den Grund für das geringe Interesse an der Europawahl. "Die europäischen Institutionen scheinen vielen Bürgern etwas zu weit entfernt, Entscheidungen, die dort getroffen werden, erfahren sie oft erst, wenn wir sie im Bundestag in nationale Gesetze umsetzen", so die Kanzlerin.

Für die sich abzeichnende niedrige Wahlbeteiligung machte Merkel die Politik mitverantwortlich. "Wir Politiker müssen aber noch deutlicher machen, dass jeder einzelne auch dafür etwas tun kann, zum Beispiel zur Wahl gehen." Eine Europamüdigkeit sieht die Kanzlerin bei den Bundesbürgern aber nicht: "Ich glaube, dass die große Mehrheit der Deutschen Europa für wichtig und für ein großes Geschenk hält."

Nicht Kanzler werden, sondern Präsident

Müntefering auf der Abschlusskundgebung der SPD im Berliner Tempodrom.

Müntefering auf der Abschlusskundgebung der SPD im Berliner Tempodrom.

(Foto: dpa)

Müntefering rief insbesondere junge Leute dazu auf, sich intensiver um Europa zu kümmern. "Den jungen Leuten sage ich, all denen die Kanzler werden wollen oder Kanzlerin: Lasst das, geht nach Europa und sorgt dafür, dass ihr da Präsident werdet", sagte er dem NDR. Der SPD-Chef rechnet damit, dass seine Partei bei der Europawahl deutlich zulegen wird. "Der rote Balken wird nach oben gehen, der schwarze nach unten." Das Ergebnis werde zwar keine unmittelbare Auswirkung auf die Bundestagswahl haben, aber es werde ein Zeichen sein, "dass für den September die Sache unentschieden ist". Bei der Wahl vor fünf Jahren kam die SPD auf 21,5 Prozent der Stimmen und verbuchte damit ein Rekordtief.

FDP-Generalsekretär Dirk Niebel sieht keine besondere bundespolitische Bedeutung der Europawahl. Im Sender NDR Info sagte er, die Bürger könnten sehr genau zwischen Bundestags- und Europawahl unterscheiden. Zudem sei das Wahlsystem verschieden. "Deswegen ist es zwar ein Fingerzeig, wie sich das Ganze in diesem Jahr weiter entwickeln kann, aber noch längst keine Vorentscheidung."

"Bulgarien und Rumänien zu früh Mitglieder geworden"

Der CDU-Spitzenkandidat und derzeitige Präsident des Europaparlaments, Hans-Gert Pöttering, warnte davor, die EU zu schnell zu erweitern. "Aus Bulgarien und Rumänien muss man lernen, die beiden Länder sind zu früh Mitglieder geworden", sagte Pöttering der in Hannover erscheinenden "Neuen Presse". Langfristig müsse die EU zwar weiteren Kandidaten Perspektiven geben, aber jetzt sei nicht die Zeit für Erweiterungen. "Europa muss erst handlungsfähiger werden, dafür brauchen wir den Vertrag von Lissabon." Für die Türkei schloss Pöttering eine Mitgliedschaft aus.

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt warnte vor einer Verschwendung von Steuergeldern für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen innerhalb der Europäischen Union. Stattdessen verlangte er in der "Rheinpfalz am Sonntag" von Brüssel, angesichts der gegenwärtigen schweren Krise keine neuen Belastungen für Wirtschaft und Arbeit zuzulassen. Er appellierte an die EU, die bürokratischen und kostenträchtigen Richtlinienvorhaben zu Antidiskriminierung und Mutterschutz aufzugeben.

Rechtsruck in den Niederlanden

Erster (noch inoffizieller) Wahlgewinner: Geert Wilders in den Niederlanden.

Erster (noch inoffizieller) Wahlgewinner: Geert Wilders in den Niederlanden.

(Foto: dpa)

In den Niederlanden, wo erste Auszählungsergebnisse entgegen der EU-Richtlinien bereits veröffentlicht wurden, hat es einen Rechtsruck gegeben. Wahlgewinner und zweitstärkste Kraft nach den regierenden Christdemokraten wurde die extrem europakritische PVV des Rechtspopulisten Geert Wilders. In Großbritannien wird ein Debakel für den angeschlagenen Premierminister Gordon Brown und seine Labour-Partei erwartet.

Quelle: ntv.de, AFP/dpa

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