Politik

Staatsbesuch in London Merkel lässt Cameron hängen

Auch als Besuch von David Cameron lässt sich Angela Merkel keine Zusagen entlocken.

Auch als Besuch von David Cameron lässt sich Angela Merkel keine Zusagen entlocken.

(Foto: REUTERS)

Große Erwartungen hatte David Cameron, als er die deutsche Bundeskanzlerin nach London einlud. Merkel bekam die ganz große Bühne geboten – und enttäuschte den britischen Premier auf voller Linie.

Der Sprecher des britischen Unterhauses ist es gewohnt, auf einem goldenen Fußboden zwischen goldenen Wänden und goldenen Statuen hindurch zu laufen. In der prächtig verzierten "Royal Hall" des "Westminster Palace" scherzt er locker über die Doktorarbeit der deutschen Bundeskanzlerin. Die Zuhörer lachen, als John Bercow versucht, den kompletten Titel aufzusagen, ohne ein Mal Luft zu holen. Auf Deutsch klinge das bestimmt ganz knackig, witzelt Bercow, vielleicht sei es nur ein einziges Wort. (In Wirklichkeit sind es 19.) Angela Merkel dagegen wirkt hinter dem geschnitzten Rednerpult auf dem roten Samtteppich etwas deplatziert. Die Halle raubt ihr die letzte Lockerheit und Selbstironie, von der sie schon im Bundeskanzleramt selten etwas durchscheinen lässt.

Merkel spricht in London vor den Abgeordneten beider Kammern des britischen Parlaments. Sie ist erst die dritte Deutsche, die das darf. Dabei wägt sie jedes ihrer Worte sorgsam ab. Der Grund dafür ist nicht nur die klassische Architektur des Parlamentsgebäudes. Merkel ist hier, weil die Briten sich etwas von ihr versprechen, das sie partout nicht einlösen möchte.

Besonders Premier David Cameron braucht Merkels Unterstützung, denn er steckt in einer misslichen Lage. Er würde sein Land gerne in der EU halten, hat aber viele seiner Landsleute gegen sich. Auch darum ist seine Wiederwahl 2015 gefährdet. Cameron machte darum schon vor Monaten ein Wahlversprechen: Wenn er die Wahl gewinnt, wird er mit anderen EU-Staaten über das Staatenbündnis verhandeln. Dabei sollen Kompetenzen aus der EU zurück an die Mitgliedstaaten gehen und außerdem soll speziell Großbritannien mehr Beinfreiheit bekommen. Der "Briten-Rabatt", der das Land bei der Finanzierung der EU entlastet, reicht ihnen nicht. Nach den Verhandlungen will Cameron die Wähler über den Verbleib in der EU abstimmen lassen.

Merkel vermeidet eine klare Aussage

Um sich die Chance auf eine neue Amtszeit zu erhalten, braucht Cameron Signale, dass sein Plan aufgehen könnte. Und ein solches Signal könnte vor allem Merkel geben. An der deutschen Regierungschefin kommt derzeit niemand vorbei, der auf EU-Ebene etwas Substantielles verändern möchte.

In den Plan der Bundeskanzlerin passt das alles gar nicht. Ihre CDU versteht sich als die treibende Kraft der Europäischen Idee. Die Europa-skeptischen Töne in Deutschland hat sie durchaus vernommen. Darum will sie die EU nun schlanker und unbürokratischer aufstellen. Dabei könnten die Mitgliedstaaten auch einige Kompetenzen zurückbekommen. Nach außen soll die EU aber immer wichtiger und schlagkräftiger werden. Für Cameron und die selbstbewussten Briten wirkt das wie eine Bedrohung.

Angeblich hatten viele Briten von Merkel eine Grundsatzrede dazu erwartet, wie sie die EU umkrempeln und dabei die britischen Wünsche erfüllen möchte. "Ich fürchte, das muss scheitern", sagte Merkel geradeheraus. Das war dann allerdings auch schon die deutlichste Aussage in Merkels Rede. Auf seine Kosten kam nur, wer an einem Vortrag über die europäische Einigung interessiert war. Merkel sprach von den großen Staatsmännern, die Europa nach den Weltkriegen erfolgreich vereint hatten, von Presse-, Religions- und Meinungsfreiheit und von der friedensstiftenden Rolle, die die EU zum Beispiel auf dem Balkan spielt.

Keine Quantensprünge

Einen Zerfall der EU, also auch einen Austritt Großbritanniens, will Merkel wenn möglich verhindern. Auch in London brachte sie ihre bekannte Argumentation vor: Die Europäer sind zusammen nur 7 Prozent der Weltbevölkerung, das weltweite Wirtschaftswachstum der kommenden fünf Jahre wird zu 90 Prozent nicht in Europa stattfinden. Die EU muss zusammenhalten, so die Botschaft. Anstatt sich zu zerstreiten, müsse die Freihandelszone eher auf Nordamerika ausgedehnt werden. Wie Merkel die EU aber für die Zukunft aufstellen möchte, blieb ein weiteres Mal im Dunkeln. Eine große Vision für Europa hat sie wohl einfach nicht. Wenn es nach ihr geht, verändert sich die EU höchstens in Trippelschritten.

Dabei sind es nicht nur die Briten, die sich von Merkel deutlichere Töne wünschen. Die Euro- und Bankenkrise, die wachsende Weltbevölkerung und die europaweit zunehmende Unzufriedenheit mit der EU verlangen nach neuen Antworten – und nicht nach denen von vor 30 Jahren. Merkel hätte die Macht, Antworten zu geben und durchzusetzen.

Einen staatstragenden Ton verlieh Merkel ihrer Rede dadurch, dass sie am Anfang und am Ende auf Englisch sprach, was bei den Parlamentariern, die ihr zuhörten, sichtlich gut ankam. Außerdem zitierte sie mehrfach Richard von Weizsäcker, der vor 30 Jahren am selben Ort gesprochen hatte. Der hatte schon gesagt: "Europa wird sich nicht in Quantensprüngen voranbewegen, sondern nur Schritt für Schritt." Und Merkel fügte hinzu: "Was vor fast 30 Jahren galt, das gilt auch heute." Die Briten mussten sich damit zufrieden geben.

Quelle: ntv.de

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