Interview zur CDU-Wahlschlappe "Merkel lässt Richtlinienkompetenz vermissen"
29.10.2019, 16:11 Uhr
Nach der Wahlniederlage der CDU in Thüringen stehen vor allem Kanzlerin Angela Merkel und Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer unter Beschuss. Die Partei stehe vor einer "zentralen Richtungsentscheidung", sagt Politikwissenschaftler von Lucke im Interview mit n-tv - und Merz fahre dabei eine "geschickte Doppelstrategie".
n-tv: Die Landtagswahl in Thüringen hat auch die Fliehkräfte in der CDU beschleunigt. Herr von Lucke, gerade die Parteivorsitzende, die bekommt das auch zu spüren. Wie sehr ist Annegret Kramp-Karrenbauer unter Druck?
Albrecht von Lucke: Der Gegenwind, den Annegret Kramp-Karrenbauer jetzt spürt, ist extrem gefährlich. Der Unmut mit ihr nach vier großen Wahlschlappen, die sie selber auf ihre eigene Kappe nehmen muss als Parteivorsitzende, ist immens. Das ist ein bescheidenes Zeugnis ihrer Vorsitzendenzeit - und trotzdem geht es um etwas Entscheidenderes: Es geht darum, dass die Kräfte in der Union, die von Anfang an mit ihr nicht einverstanden waren - die Konservativen, die Werteunion, die Anhänger des wirtschaftsliberalen Flügels um Friedrich Merz - die Kanzlerkandidaturfrage klären wollen. Und das geht natürlich ans Eingemachte, denn eine Vorsitzende ohne die Chance, die Kanzlerkandidatur entscheidend zu bestimmen, ist eine Vorsitzende ohne Land.
Die große Frage ist nur, ob das gelingt, was zum Teil einige im Schilde führen: Sie wirklich so zu schwächen, dass die Kanzlerkandidatur quasi aufgibt und als Parteivorsitzende damit massiv angeschlagen ist. Sie wird sich aller Voraussicht nach ins nächste Jahr retten können und da stehen keine großen Wahlen an, außer einer kleineren Landtagswahl in Hamburg.
Andererseits hat Kramp-Karrenbauer gesagt: Wer gerne Kanzlerkandidat werden möchte oder nicht möchte, dass sie das wird, soll aus der Deckung kommen. Glauben Sie, es wird richtig zum Showdown kommen auf dem CDU-Parteitag?
Das glaube ich in der Tat nicht. Sie hat zu Recht ihre alte Devise wiedergewählt: Vorwärtsverteidigung ist die beste Verteidigung. Also immer auf Angriff setzen. Das könnte hier wieder fruchten. Denn der Parteitag wird darüber zu entscheiden haben - wenn denn die Junge Union wirklich ihren Vorschlag macht - ob die Parteibasis über die Kanzlerkandidatur entscheidet. Es wird hochspannend zu sehen, ob dieser Antrag zugelassen wird. Man hat gestern bereits den Junge-Union-Chef Tilman Kuban, der ja einer der politischen Rädelsführer dieses Pütschchens war, in den "Tagesthemen" sehr, sehr zurückhaltend erlebt.
Denn natürlich ist eines klar: Dieser Putsch, wenn es denn einer werden soll, kommt zur Unzeit. Wir haben fast ein politisches Vakuum an beiden Parteispitzen und das der SPD ist weit größer. Der CDU-Parteitag ist aber vor dem SPD-Parteitag - wenn also die CDU sich entscheiden sollte, AKK möglicherweise sogar zu einem Rücktritt zu zwingen, dann würde sie natürlich der SPD eine Steilvorlage bieten. Die SPD könnte möglicherweise mit Olaf Scholz nach vorne gehen und sagen: Das ist dann unser Kandidat. Dann hätten wir eine richtig neue Wahlkonstellation, denn die SPD müsste sich fragen: Können wir eine Koalition unter dem Vorsitzenden Merz mit einem neoliberalen, wirtschaftsliberalen Ausschlag wirklich fortsetzen, zumal die SPD eher nach links dringt? Also, die CDU hat große Schwierigkeiten, ohne AKK die Geschlossenheit aufrechtzuhalten.
Einer, der immer wieder stichelt, ist Friedrich Merz. Er hatte sich ein bisschen zurückgehalten und gesagt, mit ihr zusammenarbeiten zu wollen, aber er scheint es noch nicht so verkraftet zu haben, dass sie ihm den Parteivorsitz weggeschnappt hat mit so einer knappen Mehrheit. Jetzt stichelt er gegen Kramp-Karrenbauer, aber auch gegen die Große Koalition, gegen die Bundesregierung, gegen die Bundeskanzlerin. Was bezweckt er damit?
Friedrich Merz hat seine Frustration über sein eigenes Scheitern vor einem Jahr bei der Vorsitzendenwahl nicht überwunden. Er will weiter Kanzlerkandidat werden, vielleicht sogar Parteivorsitzender. Und er fährt dabei eine geschickte Doppelstrategie: Er umarmt Annegret Kramp-Karrenbauer, propagiert seine Solidarität mit ihr und sagt, er stehe gewissermaßen in ihrem Dienst. Aber gleichzeitig drängt er auf ein Ende der Großen Koalition. Weil er genau weiß: Wenn es jetzt zum Ende kommt - ob durch SPD oder CDU - dann wird AKK nicht die Kanzlerkandidatin sein. Dafür ist sie zu schwach, hat viele Fehler gemacht und hat in der Bevölkerung nicht die Anerkennung, das könnte dann die Chance für Friedrich Merz sein.
Will Merz so möglicherweise auch Armin Laschet ausbremsen?
In der CDU geht es momentan um eine ganz zentrale Richtungsentscheidung. Nämlich die Entscheidung: Geht es weiter mit einem sicher modifizierten Merkel-Kurs, der die Mitte hält? Dafür steht vor allem Armin Laschet. Oder geht es deutlich nach rechts ins Konservative, auch wirtschafts- und neoliberal? Dafür steht Friedrich Merz. Und diese Entscheidung steht aus und natürlich spielt in gewisser Weise die Zeit eher für Armin Laschet. Denn er hat als starker Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens die Möglichkeit, sich im Amt immer stärker zu machen, er kann mit dieser Rolle wachsen und er kann vor allem - wenn es nicht bald zum Schwur kommt - behaupten, dass er den Kurs, der die CDU in den letzten Jahren als einzige starke Partei der Mitte stark gehalten hat, fortsetzen kann. Ich glaube, die Fraktion um Merz macht sich momentan stärker als sie ist. Die größten Bataillone, auch der Ministerpräsident, stehen momentan noch hinter dem Mitte-Kurs. Deswegen spricht, wenn es jetzt oder auch später zur Neuwahl kommt, vieles für Armin Laschet.
Was bringen die Angriffe auf die Bundeskanzlerin?
Wenn Friedrich Merz die Bundeskanzlerin attackiert, steckt dahinter natürlich auch ein alter Streit. Aber an einem Punkt muss man ihm meines Erachtens Recht geben: Er erkennt, dass sich die Kanzlerin, indem sie den Parteivorsitz abgegeben hat, entschlossen hat, förmlich über der Partei zu stehen. Sie regiert gewissermaßen präsidial. Das Problem von Merkel besteht aber darin, dass sie auch in ihrem Regierungsamt eigentlich letztlich ihre Richtlinienkompetenz in vielen Feldern wie der Klimafrage oder Grundrente mit der Bedürftigkeitsprüfung vermissen lässt. Und das ist sicherlich mitverantwortlich dafür, dass diese Regierung momentan keine klare Kontur hat.
Quelle: ntv.de