Politik

Das vorerst letzte Kanzler-Duell Merkel lässt die Flanke offen

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Mit wem spricht Kanzlerin Merkel denn da? Ihre Regierungserklärung vor dem Bundestag wendet sich vor allem an ihre Kollegen in Südeuropa. Ihr Herausforderer Steinbrück nutzt den schwachen Auftritt als Vorlage für seine Attacken: "Wenn Sie in der Wüste regieren, wird der Sand knapp." Der Kandidat scheint sich in seiner Rolle wieder wohlzufühlen.

Bundestagspräsident Norbert Lammert genießt die Momente, in denen sein Haus voll ist und die Stimmung etwas aufgekratzt. "Ich freue mich über die erkennbar gute Laune und frage mich, wie lange sie anhält", eröffnet er die Marathon-Sitzung des Parlaments. Zu Beginn werden zum letzten Mal für die kommenden Monate Angela Merkel und Peer Steinbrück aufeinandertreffen. Am Ende, das wird weit nach Mitternacht sein, werden einige Dutzend Abgeordnete Reden zu Protokoll geben und ein Gesetz nach dem anderen abfertigen.

Den großen Auftritt nutzen die Kontrahenten ganz unterschiedlich: Merkel richtet sich vor allem an die Schuldenstaaten in der EU. Vor dem Gipfel, der noch am selben Tag beginnt, hält sie den Druck hoch. Steinbrück scheint sich wieder wohlzufühlen am Rednerpult und landet einige gezielte Attacken.

Angela Merkel versuchte, keine Reaktion auf die Angriffe Peer Steinbrücks zu zeigen.

Angela Merkel versuchte, keine Reaktion auf die Angriffe Peer Steinbrücks zu zeigen.

(Foto: dpa)

Das Bemerkenswerte an der Rede der Kanzlerin ist, dass sie ihren Ton gegenüber den Ländern Südeuropas deutlich verschärft. Sie empfiehlt ihnen, sich an der deutschen Politik ein Beispiel zu nehmen. Das ist inhaltlich nicht neu. Ihr Credo "Wachstum und Haushaltskonsolidierung sind keine Gegensätze" wiederholt sie in verschiedenen Variationen. Doch rhetorisch klopft sie sich auf die Brust: "Wir haben gezeigt, wir können das." So redete Merkel bislang vor allem vor CDU-Anhängern. Ihre Botschaft an den Süden: "Nicht nachlässig werden." Man dürfe jetzt "nicht nur über neue Finanzquellen sprechen", sondern müsse "die Probleme an der Wurzel packen". Ihr Rezept: solide Finanzen, Strukturreformen und Bildung. Von den Wachstumsimpulsen, um die es beim EU-Gipfel gehen soll, ist kaum die Rede. Merkel und ihre Regierung versuchen nur noch halbherzig den Eindruck zu widerlegen, dass sie sich nicht für die Jugendarbeitslosigkeit in Europa verantwortlich fühlen.

Überhaupt wirkt die Kanzlerin etwas lustlos und unkonzentriert. Am Ende der Sätze verschluckt sie halbe Wörter. Dass aus "EFSF" bei ihr immer "ESF" wird, daran hat man sich schon gewöhnt. Als sie zum Thema Steueroasen redet, verspricht sie sich: "Wir haben ein kleines …", dann korrigiert sie: "ein klares Zeichen gegen Steuervermeidung gesetzt."

Steinbrück greift druckvoll an

Ganz anders Steinbrück, der gut gelaunt in die Mitte des Plenarsaals schreitet und die staatstragende Stimmung, die Merkel dort hinterlassen hat, mit ein paar Gags zerschlägt. "Reziplikativ" sei Merkels Rede gewesen. Was das heißt? "Gar nichts, es spricht sich nur so gut." Bei der Kanzlerin habe man den Eindruck, dass man ihre Regierungserklärung schon drei oder vier Mal gehört habe. Die Opposition sei überwältigt, sagt Steinbrück – von einem Schlafbedürfnis. Womit er die Kollegen gleichzeitig aufweckt.

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Hat Steinbrück noch eine Chance gegen Merkel?

Nach dem Vorgeplänkel greift Steinbrück an: Die Aussagen der Kanzlerin stünden im Widerspruch zu den Fakten in Europa. Er spricht die enorm gestiegene Jugendarbeitslosigkeit an – darum sollte es ja auch eigentlich gehen – und spricht von den enormen zusätzlichen Schulden, die Italien, Griechenland, Spanien und Portugal in den vergangenen Jahren aufnehmen mussten. "Darauf verwenden Sie keinen einzigen Satz in Ihrer Regierungserklärung", wirft er der Kanzlerin vor.

Steinbrück redet schnell und druckvoll. Oft wirft er mit so vielen Zahlen um sich, dass der Zuhörer durcheinanderkommt. Ein Wort wie "Zahlungsbilanzdefizite" geht im Redeschwall unter. Manchmal brauchen die Sozialdemokraten ein paar Sekunden, bis sie applaudieren. Auf Anhieb scheinen auch sie nicht immer zu verstehen, was ihr Kandidat da gerade gesagt hat. Doch die Botschaft kommt durch: In Südeuropa müsse hart gespart werden, in Deutschland habe Merkel "die Spendierhosen an". "Welches Bild geben wir da ab?"

Leere Schachteln mit viel Luft

Weil seine Fraktion so guter Laune ist, schaltet der Kandidat noch einen Gang höher: "Der Punkt ist einfach: Sie können nicht mit Geld umgehen. Wenn Sie in der Wüste regieren, wird der Sand knapp." Am Tag zuvor hatte die Bundesregierung noch stolz darauf hingewiesen, dass es ab kommendem Jahr einen ausgeglichenen Haushalt geben soll. Die SPD kümmert das wenig, sie goutiert die Attacke mit lautem Gejohle. Steinbrück dreht auf: "Was Sie unseren Nachbarn zumuten, würde in Deutschland die Menschen auf die Straße treiben."

Als dann die Zwischenrufe des Unions-Fraktionschefs Volker Kauder lauter werden, fühlt sich Steinbrück erst so richtig wohl und geht zur Generalabrechnung über: Die schwarz-gelbe Regierung habe nichts Bleibendes zustande gebracht. "Nennen Sie mir ein Projekt, das Bestand hat." Pflegereform, Bundeswehrreform – das seien alles "leere Schachteln". "Wenn man sie aufmacht, sieht man: Da ist nur Luft drin." Die angegriffene Kanzlerin muss sich Mühe geben, ihre Mundwinkel im Zaum zu halten. Der größte Angriff kommt da erst noch: "Ihnen fehlt – und das mache ich Ihnen zum Vorwurf – das historische Bewusstsein für die Situation in Europa", schmettert Steinbrück der Kanzlerin entgegen.

Steinbrück wirkt aufgeräumter und lustvoller in seiner Rede. Rhetorisch geschickt, angriffslustig und faktensicher zeigt er seine Redner-Qualitäten wie in alten Zeiten. Kann die SPD daraus einen Nutzen ziehen? Gut zwölf Wochen vor der Wahl ist das die Frage, die sich an jeden Auftritt des Kandidaten anschließt. Während er spricht, kommt eine Eilmeldung über die Ticker: Die Arbeitslosenzahlen sind "robust". Das wird am Ende eine größere Rolle spielen.

Quelle: ntv.de

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