Politik

Suche nach Wulffs Nachfolger beginnt Merkel sucht die große Lösung

Familie Wulff erreicht nach dem Abschied aus Bellevue Großburgwedel.

Familie Wulff erreicht nach dem Abschied aus Bellevue Großburgwedel.

(Foto: dpa)

Das Ende der Ära Wulff ist der Auftakt für die Suche nach einem neuen Staatsoberhaupt. Dabei drückt die Kanzlerin aufs Tempo. Weil die Mehrheiten knapp sind, will Merkel SPD und Grüne bei der Suche einbinden. Die FDP fühlt sich düpiert und pocht auf eine schwarz-gelbe Lösung innerhalb der Bundesversammlung. SPD und Grüne stellen umgehend klar, dass sie kein Mitglied der schwarz-gelben Bundesregierung akzeptieren werden.

Die bisherigen Bundespräsidenten (l-r) Heuss (1949-1959), Lübke (1959-1969), Heinemann (1969-1974), Scheel (1974-1979), Carstens (1979-1984), von Weizsäcker (1984-1994), Herzog (1994-1999), Rau (1999-2004), Köhler (2004-2010), Wulff (2010-2012)

Die bisherigen Bundespräsidenten (l-r) Heuss (1949-1959), Lübke (1959-1969), Heinemann (1969-1974), Scheel (1974-1979), Carstens (1979-1984), von Weizsäcker (1984-1994), Herzog (1994-1999), Rau (1999-2004), Köhler (2004-2010), Wulff (2010-2012)

(Foto: dpa)

Nach dem Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff will Bundeskanzlerin Angela Merkel keine Zeit verlieren. Zur Stunde berät die CDU-Chefin gemeinsam mit dem FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler und CSU-Chef Horst Seehofer über die Nachfolge. Stellungnahmen werden nach dem Treffen nicht erwartet – die Parteichefs vereinbarten Stillschweigen. Ein weiteres Gespräch ist für Samstagvormittag geplant. Merkel will auch auf SPD und Grüne zugehen. Ziel sei "in dieser Situation, einen gemeinsamen Kandidaten für die Wahl des nächsten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland vorschlagen zu können", hatte die Kanzlerin betont.

SPD und Grüne stellten umgehend klar, dass sie als Nachfolger kein Mitglied der schwarz-gelben Bundesregierung akzeptieren werden. Das sagten die Fraktionschefs Frank-Walter Steinmeier und Jürgen Trittin. Steinmeier begrüßte dennoch das Vorgehen der Kanzlerin, aber: "Wenn wir uns verständigen wollen, (…) müssen wir uns ein bisschen mehr Mühe geben und auch etwas breiter gucken bei dem Personal, das möglicherweise zur Verfügung steht." Ähnlich äußerte sich Trittin, für den eine Parteimitgliedschaft kein Hinderungsgrund für einen Kandidaten sei.

FDP fühlt sich düpiert

Aus der FDP hieß es, die schwarz-gelbe Koalition wolle Handlungsfähigkeit beweisen. Ziel sei es, einen eigenen Kandidaten zu benennen. Mit diesem Vorschlag wollten Union und FDP dann auf die Opposition zugehen. Im FDP-Präsidium wurde bei einer Schaltkonferenz nach Angaben aus den Kreisen beanstandet, Merkel habe die Arme für die Opposition ein Stück zu weit aufgemacht. Die Kanzlerin hatte zuvor erklärt, Union und FDP wollten mit der Opposition über einen gemeinsamen Kandidaten sprechen.

Nach Angaben aus der FDP wollten die drei Parteichefs eine Namensliste durchgehen. Die Mitglieder des FDP-Präsidiums ebenso wie die Fraktionschefs der Länder und die stellvertretenden Ministerpräsidenten stünden das gesamte Wochenende in Rufbereitschaft. Ziel sei es, in die Suche nach einem Kandidaten möglichst viele einzubeziehen.       

Deutliche Ablehnung wurde in der FDP-Führung gegen den früheren Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) laut. Eine Nominierung Töpfers werde als "Wink mit dem grünen Zaunpfahl" und somit als Signal für eine schwarz-grüne Koalition auf Bundesebene gewertet. Darüber hinaus wurde an einen Streit zwischen Wirtschaftsminister Rösler und Töpfer über die Solarförderung erinnert. Töpfer genießt allerdings hohe Sympathien bei Union, Grünen und SPD.

Ermittlungen beginnen bereits um Mitternacht

Wulff hatte nach wochenlanger Kritik wegen zinsgünstiger Kredite und zweifelhafter Kontakte zu Unternehmerfreunden am Vormittag seinen sofortigen Rücktritt erklärt. Die Staatsanwaltschaft Hannover kann bereits um Mitternacht das förmliche Ermittlungsverfahren gegen Wulff aufnehmen. Mit Wulffs Rücktritt war automatisch seine Immunität erloschen. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Hannover, Hans-Jürgen Lendeckel, hielt sich mit weiteren Äußerungen zurück und wollte zum weiteren Fortgang des Verfahrens nichts sagen.

Im Fokus des Verfahrens steht das dienstlich-private Verhältnis zwischen Wulff und dem Filmfondsmanager David Groenewold. Auch gegen ihn soll ermittelt werden. Bisher hatte die Staatsanwaltschaft nicht die Möglichkeit, dazu selber Zeugen zu befragen, Dokumente sicherzustellen oder Akten einzusehen. Die Justiz in Hannover stützt ihren Anfangsverdacht, Wulff habe eventuell Vorteile von Groenewold angenommen, bisher allein auf die Darstellung der Vorgänge in den Medien.

SPD und Grüne stehen bereit

SPD und Grüne begrüßten Merkels Angebot. Das Amt brauche einen "Neuanfang", sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier betonte, Merkel müsse "ohne jede eigene Vorfestlegungen" das Gespräch mit der Opposition suchen. Grünen-Chef Cem Özdemir sagte, die Gespräche müssten "so schnell wie möglich stattfinden". Ziel sei ein Präsident, der sowohl im Bundestag als auch in der Gesellschaft breite Unterstützung findet. Özdemir riet davon ab, öffentlich bereits Namen zu nennen.

Die Linke fühlt sich allerdings übergangen, weil sie bei Merkels Einladung an SPD und Grüne keine Erwähnung fand. "Sie hat uns wahrscheinlich versehentlich vergessen. Das kann sie aber noch korrigieren", sagte Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi in Kiel. "Ein Parteigezänk um die Person wäre höchst unangebracht."

Gauck oder Frau?

Gauck braucht noch etwas Bedenkzeit.

Gauck braucht noch etwas Bedenkzeit.

(Foto: dpa)

Offen ist, wer ein solcher parteiübergreifender Kandidat sein könnte. Der schleswig-holsteinische FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Kubicki machte sich für den früheren DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck stark. Schon bei der letzten Präsidentenwahl seien dem rot-grünen Kandidaten Gauck bis ins Koalitionslager hinein große Sympathien entgegen gebracht worden, sagte Kubicki. Ähnlich äußerten sich die Freien Wähler, die mit zehn Wahlleuten in der Bundesversammlung vertreten sind. Die Linke lehnt Gauck hingegen nach wie vor ab.

Gauck selbst hat sich noch nicht entschieden, ob er erneut zu einer Kandidatur bereit ist. "Geben Sie mir einfach noch ein wenig Zeit", sagte Gauck in Passau wo er eine Lesung veranstalten wollte.

Der ebenfalls immer wieder genannte Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière nannte Spekulationen darüber, er könne für Wulff ins Schloss Bellevue einziehen, abwegig. "Und das in jeder Hinsicht", sagte der CDU-Politiker in Washington während seiner USA-Reise.

Mehrfach wurde auch der Ruf nach einem weiblichen Staatsoberhaupt laut. "Die Zeit ist reif für eine Frau! Überreif!", schrieb CSU-Vize-Generalsekretärin Dorothee Bär bei Twitter. Die Linken-Vorsitzende Gesine Lötzsch sagte, auch in den anderen Parteien gebe es den Wunsch nach einer überparteilichen - "ich sage jetzt mal bewusst: Kandidatin". Gehandelt - wenn auch nicht von den Linken - wird in diesem Zusammenhang der Name der früheren Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann.

Ein neues Staatsoberhaupt muss innerhalb von 30 Tagen gewählt werden. Als wahrscheinlicher Wahltermin wurde der 18. März genannt.

Wulff kritisiert die Medien

Wulff erklärte am Morgen in Schloss Bellevue, die Entwicklung der vergangenen Tage und Wochen habe gezeigt, dass das nötige breite Vertrauen in ihn nicht mehr gegeben sei und daher seine "Wirkungsmöglichkeiten nachhaltig beeinträchtigt sind." Deshalb könne er das Amt nicht mehr so wahrnehmen, "wie es notwendig ist". Die Kanzlerin bedauerte den Rücktritt Wulffs, die Opposition sprach von einem überfälligen Schritt. Mit Wulff trat bereits das zweite Mal binnen knapp zwei Jahren ein deutsches Staatsoberhaupt vorzeitig zurück.

Wulff zeigte sich in seiner Rücktrittserklärung überzeugt, dass die anstehende rechtliche Klärung der Vorwürfe "zu einer vollständigen Entlastung führen wird". Er habe sich in seinen Ämtern "stets rechtlich korrekt verhalten", versicherte er. "Ich habe Fehler gemacht, aber ich war aufrichtig." Kritik übte Wulff an den Medien: "Die Berichterstattungen, die wir in den vergangenen Monaten erlebt haben, haben meine Frau und mich verletzt."

Nach Wulffs Rücktritt übernahm Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) in seiner Eigenschaft als Präsident des Bundesrats die Amtsbefugnisse des Bundespräsidenten. Die im Grundgesetz vorgesehene Vertretungsregelung gilt so lange, bis ein neuer Präsident sein Amt angetreten hat. Um diesen zu wählen, muss binnen 30 Tagen die Bundesversammlung zusammentreten. Nach Angaben von Wulff wird Merkel an seiner Stelle die Rede auf der Gedenkveranstaltung für die Opfer rechtsextremer Gewalt am kommenden Donnerstag halten.

Wulff ist innerhalb von zwei Jahren bereits der zweite Bundespräsident, der vorzeitig das Amt verlässt. Vorgänger Horst Köhler hatte im Mai 2010 überraschend seinen Rücktritt erklärt, nachdem er mit Äußerungen zum Afghanistan-Einsatz eine Diskussion ausgelöst hatte. Strittig ist nun, ob Wulff wie die vier anderen lebenden Ex-Präsidenten künftig einen "Ehrensold" in Höhe von annähernd 200.000 Euro pro Jahr bekommt.

Die Familie Wulff hatte am Nachmittag bereits Schloss Bellevue verlassen. Am Abend kehrten sie in ihr Eigenheim in Großburgwedel bei Hannover zurück. Bis zu seiner Wahl zum Bundespräsidenten hatte das Ehepaar dort seinen ersten Wohnsitz.

Quelle: ntv.de, ppo/dpa/AFP/rts

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