Untersuchungsausschuss zu Kundus Merkel übernimmt Verantwortung
01.12.2009, 18:25 UhrBundeskanzlerin Angela Merkel übernimmt im Namen Deutschlands die Verantwortung für die zivilen Opfer des umstrittenen Luftangriffs bei Kundus. Sie lässt aber offen, ob zivile Opfer und Angehörige entschädigt werden.

Bei dem umstrittenen Angriff auf zwei Tanklaster nahe Kundus kamen auch Zivilisten ums Leben.
(Foto: dpa)
Sie bedauere, dass als Folge deutschen Handelns zivile Opfer zu beklagen seien, sagte die CDU-Chefin in Berlin. Deutschland übernehme dafür die Verantwortung. Die Vorgänge müssten nun lückenlos aufgeklärt werden. Das Kanzleramt, das Verteidigungs- und das Außenministerium bewerteten den Fall derzeit neu. Falls die Bundeswehr die Regeln der NATO-Truppe ISAF bei der Anordnung des Luftangriffs mit bis zu 142 Toten nicht eingehalten haben sollte, werde die Bundesregierung daraus Konsequenzen ziehen.
Das Verteidigungsministerium prüft offenbar auch eine Entschädigung von Opfern und Angehörigen. "Dass man Verantwortung übernimmt für Dinge, die geschehen sind und wo man dann auch Kenntnis hat, wo tatsächlich zivile Opfer zu sehen sind, das ist etwas, was ich grundsätzlich unterstreiche und was wir natürlich auch in dem Sinne vom Ministerium ganz intensiv überprüfen", kündigte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg an (CSU).
Deutliche Stellungnahme der Kanzlerin
Merkel bekannte sich mit ihrer Aussage so deutlich wie nie zuvor zur deutschen Verantwortung für die zivilen Opfer des Bombardements Anfang September in der Endphase des Bundestagswahlkampfes. In ihrer Regierungserklärung am 8. September hatte Merkel zivile Opfer zwar bedauert, dafür aber nicht die Verantwortung übernommen. "Jeder in Afghanistan unschuldig zu Tode gekommene Mensch ist einer zu viel. Wir trauern um jeden Einzelnen", sagte sie vier Tage nach dem Luftangriff, ohne konkret auf die Toten des Bombardements von Kundus einzugehen. Stattdessen griff sie die NATO-Verbündeten scharf an, die Deutschland wegen des Angriffs rasch an den Pranger gestellt hatten.
Es sei richtig gewesen, dass sie sich in ihrer Regierungserklärung solche Vorverurteilungen verbeten habe, betonte Merkel jetzt. Damals sei noch nicht völlig klar gewesen, ob zivile Opfer zu beklagen seien.
Der frühere Verteidigungsminister Franz Josef Jung war am Freitag zurückgetreten, weil sein Haus im Wahlkampf Informationen über die Folgen des Angriffs verheimlicht hatte. Umstritten ist, wie viele Zivilisten bei der Bombardierung zweier von den Taliban entführter Tanklaster zu Schaden kamen und wie früh die Spitze des Verteidigungsministeriums darüber informiert war. Jung hatte zivile Opfer auch dann noch als unwahrscheinlich bezeichnet, als die Militärs längst Hinweise darauf nach Deutschland gemeldet hatten.
Verteidigungsausschuss wird Untersuchungsausschuss
Mit dem Fall wird sich nun auch ein Untersuchungsausschuss befassen, den die Opposition fordert. Schon am Mittwoch wollen die Koalitionsfraktionen im Verteidigungsausschuss die Umwandlung des Gremiums in einen Untersuchungsausschuss beantragen. Dabei rückt immer mehr in den Vordergrund, welche Informationen die Kanzlerin hatte. Merkel selbst sagte: "Es muss lückenlos alles aufgeklärt werden." Sie fügte hinzu: "Es ist mir ganz wichtig, dass das, was infolge unseres Handelns geschehen ist, auch von uns verantwortet wird."
Sie ließ aber offen, was damit genau gemeint ist. So ist die Frage nach der Entschädigung der Angehörigen der zivilen Opfer noch ungeklärt. In der Vergangenheit war dies allerdings stets geschehen - etwa, wenn deutsche Soldaten afghanische Zivilisten erschossen, weil sie sich angegriffen fühlten.
Opposition will "echte" Untersuchung
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast plädierte dagegen für einen "echten Untersuchungsausschuss" des ganzen Bundestags, weil sonst die Aufarbeitung auf den militärischen Komplex beschränkt würde und Belange des Kanzleramts unberücksichtigt blieben. Ähnlich äußerte sich Linksfraktionschef Gregor Gysi. Er forderte Merkel zu einer Regierungserklärung auf. Sein Stellvertreter Jan van Aken sagte: "Wir wollen wissen, was die Kanzlerin wusste und wann sie es wusste."
Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold kritisierte Guttenberg für seine Bewertung von Anfang November, der Luftschlag sei militärisch angemessen gewesen. Der Minister hatte dies nach seiner Lektüre eines geheim gehaltenen NATO-Untersuchungsberichts geäußert. An dieser Fehleinschätzung ändere auch der Bericht deutscher Feldjäger von Anfang September nichts, der erst Ende voriger Woche öffentlich wurde und Guttenberg zunächst nicht vorgelegen haben soll, sagte Arnold der "Berliner Zeitung". "Damals wollte Guttenberg die Anerkennung der Soldaten." Heute stehe er vor einem Dilemma: "Ändert er seine Position, hat er in der Bundeswehr ein Problem. Ändert er sie nicht, hat er ein politisches Problem."
CDU: SPD ist mit im Boot
Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Ernst- Reinhard Beck (CDU), sagte wiederum im WDR-Hörfunk, ein Untersuchungsausschuss müsse auch die Informationskanäle innerhalb der Bundesregierung prüfen. Denn "die eigentliche Federführung" für den Auslandseinsatz liege beim Auswärtigen Amt - Außenminister war zu der Zeit der heutige SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. "Da ist die SPD auch im Boot", meinte Beck.
Einer Untersuchung der afghanischen Regierung zufolge kamen bei dem durch die Bundeswehr angeordneten Angriff am 4. September neben 69 Taliban auch 30 Zivilisten ums Leben, die Benzin aus den Tanklastern zapften. Einem geheimen Untersuchungsbericht der NATO zufolge gab es insgesamt bis zu 142 Tote.
Quelle: ntv.de, rts/dpa/AFP