Alle an einen Tisch, bitte! Merkel und Steinmeier müssen nach Kiew
19.02.2014, 16:48 Uhr
Nutzen Merkel und Steinmeier die Auseinandersetzungen in der Ukraine für eine neue deutsche Außenpolitik?
(Foto: REUTERS)
Frank-Walter Steinmeier ist gegen eine "Kultur des Heraushaltens" und fordert eine neue Außenpolitik. Wenn es ihm ernst ist, sollte Deutschland seinem Führungsanspruch jetzt gerecht werden - in der Ukraine.
Es sind Bilder wie aus einer anderen Zeit. Soweit das Auge reicht, lodern Flammen, steigen Rauchsäulen empor. Sicherheitskräfte richten Feuerlöscher auf die Brände, immer wieder gibt es Explosionen. Kiew befindet sich im Ausnahmezustand. Die Hauptstadt der Ukraine gleicht einem Schlachtfeld, das man auf dem europäischen Kontinent lange nicht gesehen hat.
Im Westen begutachten die europäischen Staatschefs den Konflikt mit einer Mischung aus betonter Sorge und gebührendem Abstand. Aber ist die Zurückhaltung nach der Eskalation wirklich angemessen? Nein. Für die Politiker der EU-Staaten sollte sich inzwischen eine andere Frage stellen: Was muss eigentlich noch passieren, bis man die Passivität aufgibt und in den drohenden Bürgerkrieg eingreift? Viel mehr Eskalation als jetzt geht doch gar nicht.
Mit den Konflikten im Iran, Nordkorea oder Syrien ist die Situation in der Ukraine nicht vergleichbar. Sie stellt für das Ausland keinerlei Bedrohung dar. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es die EU nicht angeht. Es ist gerade der Ausgangspunkt des ukrainischen Konfliktes, der die Union verpflichtet: Auslöser der innenpolitischen Unruhen war der Streit um das Assoziierungsabkommen. Ein europäisches Land streitet über sein künftiges Verhältnis zu Europa und die EU hält sich raus - was für ein fatales Signal!
Es geht nur mit Putin
Am Tag nach der brutalen Nacht von Kiew fordern EU-Politiker Sanktionen für die Ukraine, im Gespräch ist das Einfrieren der Konten von Präsident Viktor Janukowitsch und seinen Oligarchen. Es sind die üblichen Reflexe, angemessen sind sie nicht. Denn die Gräben zwischen Janukowitsch und Russlands Präsident Wladimir Putin auf der einen und der ukrainischen Opposition und dem Westen auf der anderen Seite würden dadurch nur verstärkt. In der ukrainischen Krise sind andere Wege gefragt. Die EU muss sich langsam des Eindrucks erwehren, dem Treiben in Kiew tatenlos zuzuschauen und das Land sich selbst zu überlassen. Tatsache ist: Zwischen Janukowitsch und Oppositionsführer Vitali Klitschko gibt es keine Verhandlungsbasis mehr. Deswegen scheint eine Einigung ohne Einmischung von außen unmöglich.
Der runde Tisch muss deshalb aber nicht aufgegeben werden. Man sollte ihn sogar erweitern und zwar so schnell wie möglich. Und zwar nicht um irgendwelche Diplomaten oder EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier, die wichtigsten deutschen Außenpolitiker, sollten die Ukraine zur Chefsache machen und eine neue Runde initiieren. Dieser muss auch Wladimir Putin angehören. So streitbar der russische Präsident auch ist: An ihm führt kein Weg vorbei. Sollte man ihn nicht einbinden, ist ein Ende der Konfrontation nicht in Sicht.
Die Herausforderung zur richtigen Zeit
Wenn die EU-Mitgliedsstaaten eines eint, dann die Erinnerung an das blutige 20. Jahrhundert. Das Fundament der Union ist der Frieden. Das Ziel eines runden Tisches sollte es sein, sowohl die Ukraine als auch Russland in die europäische Integration einzubinden. Dabei könnten die deutschen Vertreter darauf hinwirken, die ukrainische Politik durch vorgezogene Neuwahlen mit einer größeren Legitimation auszustatten. Wichtig ist jedoch die Erkenntnis: Die Ukrainer stehen vielleicht vor einer Wahl über ihre Zukunft, aber nicht vor der Entscheidung zwischen Ost oder West.
Deutschland kommt dabei eine besondere Rolle zu. Nicht nur verpflichtet die eigene Vergangenheit zu einer Vermittlerrolle. Die Krise in Kiew ist eine Herausforderung, die zur rechten Zeit kommt. Denn außenpolitisch strotzt die neue Bundesregierung zurzeit vor Tatendrang. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will sich stärker in Afrika engagieren. Auch Steinmeier und Bundespräsident Joachim Gauck verkündeten zuletzt neue Leitlinien der Außenpolitik. Die Rede war von mehr Verantwortung, von einem Ende der "Kultur des Heraushaltens", man müsse den treffenden Ton zur rechten Zeit finden. Jetzt gilt es, den Ankündigungen Taten folgen lassen. Man kann keinen neuen Kurs ausrufen und gleichzeitig die Tradition fortsetzen, sich hinter diplomatischen Floskeln zu verstecken, sobald es ernst wird. Die Ukraine liegt in Europa und weniger als 700 Kilometer entfernt - es betrifft die Bundesrepublik also unmittelbar.
Tatsächlich befindet sich die Bundesrepublik fast 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs in einer gravierenden Schieflage. In Fragen der Wirtschaftspolitik oder Währungsunion führt man gern, aber ansonsten hält man sich lieber raus. Für Deutschland gilt es nun, den eigenen Ansprüchen als Führungsmacht gerecht zu werden. Dazu gehört es, in schwierigen Situationen Verantwortung zu übernehmen. Es geht um weit mehr als um neue Leitlinien oder die Ukraine - nämlich um die Zukunft der EU.
Quelle: ntv.de