Politik

"Lackmustest" der USA Merkel zeigt Ellenbogen

In der Klimadebatte gerät Deutschland international wegen des geplanten Atomausstiegs immer stärker unter Druck. Auf dem G8-Gipfel der führenden Industrienationen in Toyako forderten die USA die intensive Nutzung der Atomkraft aus Gründen des Klimaschutzes. Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnte einen massiven Ausbau der Kernenergie ab, sprach sich aber erneut für längere Laufzeiten der bestehenden Reaktoren in Deutschland aus. Allerdings will Merkel dafür die große Koalition mit der SPD nicht aufs Spiel setzen.

Eine Änderung des Atomausstiegs werde es vor Ende der laufenden Wahlperiode im Herbst 2009 nicht geben, sagte Regierungssprecher Thomas Steg in Berlin. Merkel setze aber angesichts "einer neuen Dynamik" in der Atomenergie-Diskussion im eigenen Land auf einen Stimmungsumschwung. Die SPD wies dagegen den Vorschlag ihres früheren Spitzenpolitikers Erhard Eppler über längere Laufzeiten für die jüngeren Reaktoren nachzudenken, scharf zurück.

Deutschland Vorreiter bei alternativen Energien

Auf dem G8-Gipfel der sieben führenden Industrieländer und Russlands ist Deutschland bei der Atomenergie inzwischen isoliert, seit auch Italien nach dem Regierungswechsel vor wenigen Monaten umgeschwenkt ist. Im Koalitionsvertrag mit der Union hatte die SPD vor drei Jahren den zuvor mit den Grünen gegenüber der Wirtschaft durchgesetzten Atomausstieg festgeschrieben.

Der Umweltberater von US-Präsident George W. Bush, Jim Connaughton, bezeichnete in Toyako die Nutzung der Atomkraft als "Lackmustest für die Ernsthaftigkeit" beim Kampf gegen die Klimaerwärmung. Wer wirklich Treibhausgase verringern wolle, komme an der Atomkraft nicht vorbei. Diese Position geht aber auch Merkel offenbar zu weit. "Ich bin bekanntermaßen jemand, der sagt, man sollte die Kernkraftwerke in Deutschland nicht frühzeitig abschalten", sagte sie zu Beginn des dreitägigen G8-Gipfels, bei dem die Klima- und Energiepolitik eines der zentralen Themen ist. Allerdings werde sich an der Kernkraft auch nicht die Zukunft des Klimaschutzes entscheiden, schränkte sie ein und plädierte für Investitionen in erneuerbare Energien, mehr Energieeffizienz oder neue Antriebstechnologien. Hier könnten andere Staaten bereits viel vom deutschen Vorsprung profitieren.

Die Kernenergie wird in vielen Ländern trotz der ungelösten Entsorgung des radioaktiven Atommülls als klimafreundliche, CO2-freie Energie betrachtet. So planen Länder wie die USA und Großbritannien den Bau neuer Reaktoren.

Merkel auch innenpolitisch unter Druck

CDU und CSU sehen sich aber spätestens seit der Preisexplosion beim Öl in der Forderung nach längeren Laufzeiten der 17 deutschen Reaktoren bestätigt. Die Energiekonzerne sollen die zusätzlichen Gewinne dann zum Teil zur Senkung der Strompreise einsetzen.

SPD-Generalsekretär Hubertus Heil warf der Union vor, sie lasse sich vor den Karren der Stromkonzerne spannen. Der Anstieg der Energiepreise habe nichts zu tun mit dem Atomausstieg. Die Union müsse klarstellen, ob sie neue Reaktoren wolle. Der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates, Kurt Lauk, forderte in der "Bild-Zeitung", die Entwicklung neuer Kernkraftwerke dürfe kein Tabuthema sein.

SPD zeigt sich beweglich

Das Umweltministerium erklärte, Ressortchef Sigmar Gabriel (SPD) habe bereits vor einem Jahr vorgeschlagen, modernere Reaktoren länger als bis zum jetzigen Enddatum 2021 laufen zu lassen, wenn im Gegenzug ältere früher vom Netz genommen werden. Die Energiekonzerne hätten dies bisher abgelehnt.

Kritiker dementieren positive CO2-Bilanz

Kritiker der Atomkraft bemängeln unter anderem, dass die CO2-Bilanz der Atomkraft keineswegs so positiv ist, wie sie häufig dargestellt wird. Viel zu wenig würden Uran-Gewinnung und spätere Lagerung des Atommülls aus der Bilanz herausgerechnet. Nicht zu vernachlässigen ist auch die Verteilung der so genannten Verschmutzungszertifikate. Der Wunsch nach noch mehr Atomstrom würde unterm Strich mehr Raum für den Neubau von CO2-intensiven Kohlekraftwerken bedeuten. Dadurch würden die Klimaziele nur kurzfristig durch die größere Menge CO2-armen Atomstroms erreicht, mittelfristige und langfristige Klimaschutzziele jedoch verfehlt.

Die Atomenergie wird weltweit in 31 Staaten genutzt. Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums arbeiten insgesamt 444 Kernkraftwerksblöcke, 23 sind im Bau. Der Anteil der Atomkraft an der Stromerzeugung liegt weltweit bei 17 Prozent.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen