Dritte Wahl zur Bundeskanzlerin Merkels Makel
17.12.2013, 09:50 Uhr
Angela Merkel beim Festakt zur Unterzeichnung des Koalitionsvertrags.
(Foto: dpa)
Auch zur dritten Wahl Merkels zur Kanzlerin stehen Parteifreunde, Konkurrenten und Beobachter wieder vor einem Rätsel: Wie konnte die so unscheinbar wirkende Politikerin so mächtig werden? Eigentlich waren ihre Startbedingungen denkbar schlecht. Fünf Erklärungsansätze.
Als Angela Merkel am Sonntag ihre zukünftigen Kollegen in der Regierung vorstellt, wirkt sie matt und wenig kraftvoll. Sie betet die Namen der neuen Minister herunter, professionell findet sie für jeden lobende Worte, eine unterschwellige Botschaft kommt nicht rüber. Eine Genugtuung über die erfolgreichen Verhandlungen ist ihr nicht anzumerken. Sollen Sigmar Gabriel und Horst Seehofer ihren Stolz zur Schau tragen oder Seitenhiebe auf die am Boden liegende FDP austeilen. Die Bundeskanzlerin trägt die Namen ihrer Minister in alphabetischer Reihenfolge vor.
Angela Merkel ist in Bierzelten noch immer ein Fremdkörper. Sie ist in der Öffentlichkeit nicht witzig oder schlagfertig. Würde sie als Bürgermeisterin einer mittelgroßen Stadt kandidieren, es wäre den Lokaljournalisten nicht übelzunehmen, wenn sie Merkel als zu hölzern für den Job bezeichnen würden. Und doch gewinnt Merkel seit über zehn Jahren alles, was es für Politiker zu gewinnen gibt. Sie einte die zerrissene CDU. Sie trat hinter Edmund Stoiber zurück und schaute ihm beim Scheitern zu. Sie führte die Union zuerst in die Regierung, verschaffte ihr vier Jahre später genug Stimmen, um mit dem Wunschpartner FDP zu regieren und landete weitere vier Jahre später nur knapp unter der absoluten Mehrheit. Während Politikwissenschaftler von einer Zersplitterung des Parteiensystems und dem Ende der Volksparteien sprachen, baute Merkel die CDU zur alles bestimmenden Kraft in Deutschland aus.
Als ihr Berlin zu klein wurde, zeigte sich Merkel immer häufiger in Brüssel. Wie ihre Koalitionspartner oder die Karriere-Männer in der CDU meinten auch dort gestandene Politiker, der Frau aus Ostdeutschland etwas entgegensetzen zu können. Berlusconi, Zapatero, Kaczyński, Sarkozy und Juncker sind Geschichte. Als nächstes werden Barroso und Cameron gehen. Hollande und Rajoy sind schwach, der Italiener Letta treu ergeben. Angela Merkel wird auf Magazinen als Terminator dargestellt. Früher hieß es: Wenn der US-Präsident wissen will, was Europa denkt, weiß er nicht, wen er anrufen soll. Heute ruft er Merkel an - wenn er sie nicht schon abgehört hat.
Fünf Stärken, die eigentlich Schwächen sind
Es scheint, als müsse Angela Merkel nie kämpfen; als sei ihr die ganze Macht, die sie besitzt, nur so zugeflogen; als hätte sie das Spiel der Politik neu erfunden. Wie hat es gerade Angela Merkel geschafft, so erfolgreich zu werden? Fünf Erklärungsansätze gibt es unter ihren Beobachtern, alle sehen erst einmal so aus, als würden sie einen Nachteil, keinen Vorteil eines Politikers beschreiben.
Erklärung eins: Merkel ist eine Wissenschaftlerin. Schon oft wurde die Kanzlerin als "Physikerin der Macht" beschrieben, die das Spiel der politischen Kräfte wie eine Naturwissenschaft betrachtet. Ihre Energie setzt sie genau dort ein, wo sie am wirksamsten ist. Während die Besetzung der SPD-Posten im Kabinett wie eine Reihe von unvermeidbaren Entscheidungen wirkt, überrascht Merkel mit Zügen, die keiner erwartet hatte - die aber im Nachhinein erstaunlich logisch erscheinen. Dabei arbeitet sie durchaus auch experimentell: Immer wieder setzt sie Themen und beobachtet die Reaktionen, die über Medien und Umfrageinstitute zurückkommen. Nur was Erfolg hat, wird fortgesetzt. Was nicht funktioniert, wird schnell begraben.
Erklärung zwei: Merkel kommt aus dem Osten. Bis 1989 wusste sie nur aus den beschränkt zugänglichen Medien, was Politik in einer Demokratie bedeutet. Ihre Biografen schreiben, dass sie danach als CDU-Mitglied genau beobachtet habe, wie man sich in einer Partei durchsetzt. Im Gegensatz zu ihren Parteifreunden ging sie dabei nie nach Gefühl vor, sondern vor allem nach einer Berechnung, deren grundlegende Formeln sie sich selbst aneignete. Eine Rolle mag auch spielen, dass Merkel schon in der DDR lernen musste, sich an das sozialistische System anzupassen - das half ihr später, sich an das System Partei, das System Regierung und das System Europäischer Rat anzupassen.
Erklärung drei: Merkel ist eine Frau. Gemeinhin gilt die von Testosteron gesteuerte Machtpolitik als überlegen. Nur wer sich auch selbst in den Vordergrund spielt, hat gute Chancen. Bescheidenheit bremst die Karriere. Doch Merkel beweist, dass es auch anders geht: Sie nutzt die vielen Bühnen, auf denen sie steht, nicht zur Selbstdarstellung. Sie übergibt nicht nur unangenehme Aufgaben wie die Auseinandersetzung mit der NSA-Affäre an ihre Untergebenen, sie lässt diese auch Erfolge auskosten. Manchmal hat sie wochenlang keinen öffentlichen Termine. Merkels Bescheidenheit wirkt oft zunächst wie Schwäche, etwa als sie Edmund Stoiber die Kanzlerkandidatur 2002 überließ. Im Nachhinein wirkt die Entscheidung wie kühne Berechnung, als wäre Merkel gedanklich allen anderen voraus gewesen.
Erklärung vier: Merkel lebt von den Erfolgen ihres Vorgängers. Selbst die größten Fans der Kanzlerin müssen sich sehr winden, um die gute Lage Deutschlands nicht Gerhard Schröder zuzuschreiben. Merkel übernahm das Kanzleramt, kurz bevor die hohe Arbeitslosigkeit deutlich zu sinken begann. Von dieser Marke hängt viel ab: Eine niedrige Arbeitslosigkeit bedeutet mehr Steuereinnahmen, geringere Verschuldung und mehr Investitionen. Der Effekt verstetigt sich von selbst und so sind sich auch in der CDU die Wirtschaftspolitiker einig, dass die hervorgehobene Rolle, die Deutschland nun in Europa spielt, zu großen Teilen der SPD zu verdanken ist.
Erklärung fünf: Merkel hat keine Vision. Warum sollte man überhaupt Politik machen, wenn man nichts verändern will? Seit acht Jahren lernt Deutschland seine Bundeskanzlerin nun kennen und noch immer wagt niemand zu sagen, was sie eigentlich langfristig erreichen will. Höchstens zwei funktionale Ziele lassen sich ausmachen. Zum einen: Sie will handwerklich solide arbeiten. In aller Regel kennt sie die relevanten Akten und Zahlen. Sie bringt in Verhandlungen große Disziplin und Standfestigkeit auf. Und sie überlässt wenig dem Zufall. Zum anderen: Sie will breite Mehrheiten. So reichte es ihr nicht, CDU-Vorsitzende zu sein, sie wollte ein Ergebnis oberhalb von 90 Prozent. Zuletzt reichte es ihr nicht, eine stabile schwarz-gelbe Regierung zu führen, sie wollte ein noch besseres Wahlergebnis. Unter ihr ist die CDU so breit aufgestellt wie nie zuvor. Sogar einen aktiven Lesben- und Schwulenverband gibt es in der Union, obwohl das Bundesverfassungsgericht die Partei in Sachen Homo-Ehe vor sich hertreibt. Vielleicht ist das ihr eigentliches Talent: Das Organisieren von Mehrheiten ohne Rücksicht auf inhaltliche Überzeugungen.
Merkel ist wieder einmal voraus
Nun, da Merkel wohl zu Recht als mächtigste Frau der Welt gilt, wirken ihre Merkwürdigkeiten auf einmal besonders souverän. Machte man früher Witze darüber, wie verkrampft sie auf Fotos ihre Hände hält, plakatierte die CDU um vergangenen Wahlkampf diese Hände übergroß vor dem Berliner Hauptbahnhof. Früher galt Merkel kaum als vorzeigbar, nun erschien sie milde lächelnd auf den Plakaten, während das Parteilogo so klein wurde wie nie zuvor. Ihre dröge Art wirkt auf einmal lässig, die Deutschen gieren nach jedem privaten Detail, das bekannt wird. Gerhard Schröder konnte man sich gut vorstellen, wie er nach getaner Arbeit die Füße hoch legte und ab und zu auch einmal eine Zigarre rauchte. Wie feiert Merkel ihre Erfolge? Genießt sie ihre Macht überhaupt?
Auf der Pressekonferenz, bei der sie die CDU-Minister vorstellt, verrät ihre Mimik einmal einen Hauch von Genugtuung. Ein Journalist fragt, wie es gekommen sei, dass Ursula von der Leyen nun Verteidigungs- und nicht etwa Gesundheitsministerin wird, wie zuvor spekuliert worden war. Merkel sagt: "Meine Vorstellungen, gerade an dieser Stelle, sind sehr alt." Und dann bilden sich Lachfältchen um ihre Augen. Zum ersten Mal bei diesem Termin gehen die Mundwinkel nach oben. So sehr die Journalisten spekuliert hatten und so sehr sie sich um einen Zugang zu den Mächtigen bemühen, so wenig haben sie von dieser ausgefeilten Rochade geahnt. Merkel ist wieder einmal allen voraus.
Quelle: ntv.de