"Sie müssen einfach Geduld haben" Merkels kurze Politkarriere in der DDR
17.07.2014, 11:51 Uhr
Angela Merkel am 1. Juli 1990 bei der Pressekonferenz zur Währungsunion. An ihrer Seite die Finanzminister Walter Romberg und Theo Waigel. Ganz links der erste Regierungssprecher Matthias Gehler.
(Foto: picture alliance / dpa)
Heute wird Angela Merkel 60 Jahre alt. In die Politik geht sie erst nach der Wende. Als stellvertretende Regierungssprecherin legt sie den Grundstein für ihre steil nach oben verlaufende Karriere. Bereits im Einheitsjahr 1990 muss Merkel schwierige Situationen meistern.
Es ist ein Abend im Juli 1990: Die wartenden Journalisten im Alten Stadthaus am Ost-Berliner Molkenmarkt werden unruhig. Sie wollen endlich Informationen über den Zustand der DDR-Koalitionsregierung von Lothar de Maizière. Seit April 1990 ist der CDU-Politiker Hausherr in diesem geschichtsträchtigen Gebäude. Herr über die Geschicke des dem Untergang geweihten zweiten deutschen Staates ist er spätestens seit Inkrafttreten der Währungsunion mit der Bundesrepublik am 1. Juli nicht mehr.
Seit 1956 ist das Stadthaus Sitz des "Vorsitzenden des Ministerrats" der DDR. Aber erst nach der Wende, die eine Aufwertung des Amtes mit sich bringt, ist es in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt. Hier und in der Volkskammer spielt seit November 1989 die politische Musik der DDR.
Auch ich gehörte an besagtem Julitag zum Journalistentross - für die heute nicht mehr existierende Tageszeitung "Der Morgen". In der Redaktion wartete man sehnsüchtig auf die Nachricht, ob die Koalition nun zerbricht oder nicht. Die Zeit drängte, denn die Seite 1 sollte endlich möglichst zeitnah abgeschoben und gedruckt werden. Aber die Protagonisten ließen sich Zeit. Eine Frau um die Mitte 30 versuchte, die Berichterstatter bei Laune zu halten: "Meine Damen und Herren, ich kann doch auch nichts dafür, dass es so lange dauert. Sie müssen einfach Geduld haben. Ich schaue mal, wie lange die Herrschaften noch brauchen." Es war Angela Merkel, die stellvertretende Regierungssprecherin. Kurze Zeit später kam sie zurück: schulterzuckend, lächelnd und ohne Informationen. Danach verschwand sie wieder.
SPD vor dem Absprung
Es knirschte damals gewaltig im Gebälk der DDR-Koalition, die von der Allianz für Deutschland (CDU, DSU, Demokratischer Aufbruch), der SPD und dem liberalen Wahlbündnis "Bund Freier Demokraten" getragen wurde. Die Sozialdemokraten standen vor dem Absprung. Die Koalitionskrise kam zur Unzeit, denn die Regierungen der beiden deutschen Staaten arbeiteten am zweiten Staatsvertrag, auch Einigungsvertrag genannt. In Ost-Berlin lag Finanzminister Walter Romberg von der SPD mit Ministerpräsident de Maizière im Clinch. Der Schatzmeister der leeren DDR-Kassen richtete nach Meinung des Regierungschefs überhöhte Finanzforderungen an die Bundesregierung in Bonn. Romberg dagegen fand, de Maizières Verhandlungskonzept mache die Finanzausstattung der ostdeutschen Bundesländer "auf Jahre hinaus" politisch und wirtschaftlich zweitklassig. Eine Krisensitzung jagte die nächste.
Nach langem Warten kam die Vize-Regierungssprecherin wieder. "Es ist gleich soweit", sagte sie und wirkte auch irgendwie erleichtert. Fragen, ob die Koalition nun zerbrochen sei, wehrte Merkel freundlich, aber bestimmt ab. "Der Ministerpräsident wird dazu etwas sagen, Sie sind gleich erlöst." Zwei Minuten später erschienen de Maizière und der Chef der SPD-Fraktion in der Volkskammer, Richard Schröder. Der Regierungschef erklärte in dürren Worten, dass die Sozialdemokraten in seiner Regierung blieben. Schröder bestätigte dies und sprach seinerseits die Hoffnung aus, dass die Koalition zumindest bis zur Abstimmung über den Einigungsvertrag halten werde. Merkel stand etwas abseits und ließ den Blick über den Pressepulk schweifen. Sie schaute ernst, eben der brisanten politischen Situation angemessen.
Allerdings sollte das Regierungsbündnis den S ommer nicht überstehen. De Maizière entließ am 15. August 1990 Romberg und andere Minister und krempelte sein Kabinett um. Mehrere Ressorts wurden nun von Staatssekretären geleitet. Am 20. August trat die SPD aus der Regierung aus. De Mazière übernahm vom Sozialdemokraten Markus Meckel das Außenministerium. Die Liberalen hatten bereits am 24. Juli die Regierungskoalition verlassen, ohne jedoch ihre Minister aus dem Kabinett zu nehmen.
Obwohl die Regierung de Mazière in der Volkskammer nicht mehr die für verfassungsändernde Gesetze notwendige Zweidrittel-Mehrheit hatte, schaffte der Einigungsvertrag dennoch die parlamentarische Hürde. Am 23. August wurde der Beitrittstermin der DDR zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland auf den 3. Oktober 1990 festgelegt. Am 31. August wurde im Ost-Berliner Palais Unter den Linden der zweite Staatsvertrag, der "Vertrag über die Herstellung der Einheit Deutschlands", unterzeichnet.
Es geht nach oben
Angela Merkel blieb bis zum Ende der DDR im Regierungsboot und sollte nach dem Vollzug der Einheit Deutschlands karrieremäßig durchstarten. Ihr Demokratischer Aufbruch (DA), der bei der einzigen freien Volkskammerwahl am 18. März gerade einmal 0,9 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielt, ging in der CDU auf. Merkel, die auch davon profitierte, dass der erste Regierungssprecher Matthias Gehler unter Flugangst litt und bei Auslandsterminen zuhause blieb, gehörte zu den drei Delegierten, die der DA zum Vereinigungsparteitag am 1./2. Oktober entsandt hatte. Dieser fand in Merkels Geburtsstadt Hamburg statt. De Maizière machte Bundeskanzler Helmut Kohl auf das politische Talent der promovierten Physikerin aufmerksam. Der Pfälzer nahm sie nach der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 in sein Kabinett auf.
Acht Jahre Bundesministerin, anderthalb Jahre CDU-Generalsekretärin, seit März 2000 CDU-Vorsitzende, seit Herbst 2005 Bundeskanzlerin: 15 Jahre nach der Wiedervereinigung war Angela Merkel ganz oben angekommen. Sie muss die Medienvertreter nicht mehr hinhalten, das machen nun andere. Vom medialen Crash-Kurs des Jahres 1990 und von den Erfahrungen, Ergebnisse stundenlanger Sitzungen präzise darzulegen, zehrt Merkel bis heute. Doch zurück zum Juli vor 24 Jahren: Die Vorstellungskraft, dass die Vize-Regierungssprecherin der DDR einmal die politisch mächtigste Frau Deutschlands und sogar Europas werden könnte, besaß damals keiner der im Alten Stadthaus Anwesenden.
Quelle: ntv.de