Vorwürfe gegen Belarus und Polen Migranten werfen Polizisten Folter vor
20.11.2021, 19:30 UhrMit einem Sonderflug holt die irakische Regierung mehr als 400 ihrer Bürger zurück, die an der belarussisch-polnischen Grenze gestrandet sind. Sie seien misshandelt worden, sagen einige von ihnen nach ihrer Rückkehr. Warschau seinerseits erhebt in der Flüchtlingskrise neue Vorwürfe gegen Minsk.
An der polnischen EU-Außengrenze gestrandete und aus Belarus in den Irak heimgekehrte Migranten berichten von schlimmen Misshandlungen. Die Menschen seien von polnischen und belarussischen Polizisten geschlagen und gefoltert worden, sagten mehrere Betroffene aus den kurdischen Autonomiegebieten im Irak der Deutschen Presse-Agentur.
Ein 38-Jähriger aus der Stadt Dohuk berichtete, er sei misshandelt und später gewaltsam aus Belarus abgeschoben worden. Zudem hätten er und andere Migranten weder Wasser noch Essen bekommen. Der Iraker wolle trotz seiner Enttäuschung über die Länder Europas erneut versuchen, dorthin zu gelangen.
"Wir wurden unmenschlich behandelt", sagte auch eine 71-jährige Jesidin, die sich nach eigenen Angaben im Irak nicht mehr sicher fühlt und deshalb zu Verwandten nach Deutschland will. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) habe mehrere ihrer Kinder entführt. Auch ein 41 Jahre alter Mann aus Erbil gab an, von Beamten aus Belarus und Polen gefoltert worden zu sein. Er sagt auch: "Die belarussischen Behörden haben uns betrogen."
Seit Tagen halten sich Tausende Menschen bei Kälte an der belarussisch-polnischen Grenze auf, um in die EU zu gelangen. Unter ihnen sind Berichten zufolge neben Syrern und Afghanen auch viele Menschen aus den autonomen Kurdengebieten im Nordirak. Die Region gilt als vergleichsweise stabil, leidet aber wie das ganze Land unter einer Wirtschaftskrise. Die Regierung in Bagdad brachte am Donnerstag mit einem Sonderflug 430 irakische Migranten zurück in ihr Heimatland.
Die Europäische Union beschuldigt den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, in organisierter Form Migranten aus Krisenregionen an die EU-Außengrenze zu bringen, um Druck auf den Westen auszuüben. Warschau reagiert mit Härte und einem Gesetz, das nach Ansicht von Kritikern gegen EU-Recht verstößt, weil es das Recht auf Asyl aussetze. Die EU hält sich mit Kritik an Polen aber zurück.
Polen: Kleingruppen versuchen, Grenze zu überqueren
Derweil warf Polen der Führung in Belarus einen Strategiewechsel an der gemeinsamen Grenze vor. "Kleinere Gruppen von Menschen versuchen an vielen Orten, die Grenze zu überqueren", sagte Polens Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak dem Radiosender RMF FM. Es sei "keine Frage, dass diese Angriffe von belarussischen Behörden gesteuert werden". Er sprach von "einer neuen Methode".
Auch polnische Grenzschützer berichteten von Versuchen mehrerer kleiner Gruppen, die Grenze zu überqueren. Es habe sich dabei jeweils um ein paar Dutzend Menschen gehandelt. Die Sicherheitskräfte meldeten jedoch auch eine größere Gruppe von etwa 200 Menschen, die mit Tränengas, Feuerwerkskörpern und Steinen ausgestattet gewesen sei.
Insgesamt registrierten die polnischen Behörden eigenen Angaben zufolge am Freitag 195 Versuche illegaler Grenzübertritte. "82 Ausländer wurden aufgefordert, polnisches Gebiet zu verlassen. Zwei ukrainische Staatsbürger und ein deutscher Staatsbürger wurden wegen Beihilfe festgenommen", erklärten die Grenzschützer bei Twitter.
"Wir müssen uns darauf einstellen, dass dieses Problem noch monatelang andauern wird. Ich habe keinen Zweifel daran, dass dies der Fall sein wird", sagte Blaszczak. Die EU wirft dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, absichtlich Flüchtlinge ins Grenzgebiet zur EU zu schleusen - als Vergeltung für Sanktionen gegen sein Land. Minsk weist die Vorwürfe zurück.
Lukaschenko sagte am Freitag der BBC, dass es "absolut möglich" sei, dass belarussische Streitkräfte den Migranten bei der Einreise in die EU geholfen hätten, bestritt jedoch, den Einsatz organisiert zu haben. "Wir sind Slawen. Wir haben ein Herz. Unsere Truppen wissen, dass die Migranten nach Deutschland wollen. Vielleicht hat ihnen jemand geholfen", sagte er. "Aber ich habe sie nicht hierher eingeladen."
Kritik an Merkels Telefonat mit Lukaschenko
In dieser Woche telefonierte Bundeskanzlerin Angela Merkel wegen der Flüchtlingskrise zweimal mit Lukaschenko. Von vielen Seiten kam deshalb Kritik, auch von der belarussischen Opposition. "Die Kanzlerin hat mit einem Terroristen gesprochen. Das hätte sie nicht machen sollen", sagte Michael Rubin, Koordinator der belarussischen "Volksbotschaft", der "Süddeutschen Zeitung".
Der Oppositionspolitiker Pawel Latuschka kritisierte, dass Lukaschenko damit als Präsident anerkannt werde. Bei der Migrationskrise handele es sich um ein "Beispiel von internationalem Terrorismus". Merkel war die erste westliche Regierungschefin, die seit der umstrittenen Wiederwahl Lukaschenkos im vergangenen Jahr mit diesem telefonierte.
Quelle: ntv.de, hul/dpa/AFP