Marcus Faber im Interview "Militärische Ziele in ganz Russland sind legitim"
15.06.2024, 08:20 Uhr Artikel anhören
FDP-Verteidigungspolitiker Faber fordert im Interview die Lieferung des Transportpanzers Fuchs.
(Foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur)
Die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann wirkt künftig im Europaparlament - ihr Nachfolger als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses heißt Marcus Faber. Der 40-jährige FDP-Mann aus Sachsen-Anhalt ist ein ebenso entschiedener Befürworter der Ukraine-Hilfen. Im Interview sagt er, was er dennoch anders als Strack-Zimmermann machen will.
ntv.de: Herr Faber, Glückwunsch zur Wahl zum Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses! Aber was machen Sie da eigentlich?
Marcus Faber: Ganz einfach: Ich leite die Sitzungen des Verteidigungsausschusses. Die muss ich vorbereiten und beispielsweise entscheiden, wer Rederecht bekommt. Das ist der Kern. Aber die Frage ist natürlich, was man darüber hinaus aus dem Amt macht. Spätestens seit dem Ergebnis der Europawahl ist das meiner Ansicht nach: die Zeitenwende erklären.
Ihre Vorgängerin, Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat das Amt auch dazu genutzt, Bundeskanzler Scholz auf die Nerven zu gehen. Ihm Druck zu machen, was Waffenlieferungen angeht. Wollen Sie da weitermachen, wo sie aufgehört hat?
Es ist ein bisschen wie im Fußball. Man kann in Manndeckung gehen und den Terrier geben. Man kann aber auch gegen den Ball spielen, mit Raumdeckung. Mir geht es um die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr und die Unterstützung der Ukraine, die in unserem eigenen Interesse ist. Da ist es die bessere Variante, auf den Ball zu gehen.
Was sagen Sie zum Angebot Putins einer Waffenruhe, gegen Rückzug und Verzicht auf eine NATO-Mitgliedschaft?
Putin macht hier kein Angebot, sondern will eine Belohnung für seine Kriegsverbrechen, um erneut anzusetzen. Erst nach dem Abzug seiner Invasionstruppen aus der Ukraine werden echte Verhandlungen erfolgsversprechend.
Sie haben seit Invasionsbeginn lautstark Waffenlieferungen gefordert. Deutschland hat mittlerweile aber Hilfe in Höhe von 28 Milliarden Euro bereits geliefert oder zugesagt. Das hört sich doch gar nicht so schlecht an.
Es ist immer die Frage: Was tut man und was wird gebraucht? Das fällt auseinander. Die gute Nachricht ist, quantitativ machen wir viel. Wir schaffen es aber oft nicht, den Hebel zu ziehen, auf europäischer Ebene.

Marcus Faber ist seit Mittwoch Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. Der FDP-Politiker folgt auf Marie-Agnes Strack-Zimmermann.
(Foto: picture alliance / photothek.de)
Was meinen Sie?
Man könnte den Partnern sagen: Wir liefern drei Patriot-Systeme und sind ein Viertel von Europa. Jetzt seid ihr dran. Dann liefert ihr doch bitte zwölf weitere. Oder meinetwegen neun.
Das wäre ja Aufgabe eines Bundeskanzlers, so etwas anzusprechen.
Einer Außenministerin, eines Bundeskanzlers, einer Bundesregierung. Das ist der eine Punkt. Aber was tun wir selbst? In der Luftverteidigung machen wir viel, in anderen Bereichen wenig. Wir wollen beispielsweise in der Bundeswehr den Transportpanzer Fuchs ersetzen. Der ist Jahrzehnte alt und wir wollen dieses Jahr noch den Ersatz beschaffen. Trotzdem haben wir von 900 bisher keinen abgegeben.
Was kann der Fuchs?
Geschützten Transport ermöglichen. Er kann Menschen gepanzert von A nach B fahren. Der kann auch schwimmen, das ist an bestimmten Stellen auch hilfreich. Der Fuchs ist einfach und robust.
Sind die überhaupt einsatzbereit?
Doch, durchaus. Man muss ja auch nicht alle abgeben. Nehmen Sie das Beispiel Leopard 2. Von 330 Panzern wurden 18 abgegeben, das sind fünf Prozent. 95 Prozent stehen also weiter bei uns in den Kasernen.
Ist die Wirkung dieser Panzer nicht verpufft? Einige tauchten sogar als Trophäe in Moskau auf.
Die Kampfpanzer waren und sind sehr hilfreich. Ich habe südlich von Saporischschja mit Panzerbesatzungen gesprochen. Die wären tot, wenn sie noch in ihrem alten Sowjet-Panzer T64 gesessen hätten. Die leben noch, weil die Leopard 2 besser gepanzert sind. Mit 18 Panzern kann man aber in so einem Kontinentalkrieg nicht den großen Durchbruch schaffen. Das weiß jeder.
Lange war Munitionsmangel das Hauptproblem der Ukrainer. Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage im Krieg?
Die Situation ist jetzt besser als vor drei oder sechs Monaten. Die USA liefern wieder Munition und bald treffen hoffentlich auch Lieferungen aus dem tschechischen Munitionspaket ein. Wenn die Russen angreifen, können die Ukrainer nun häufiger zurückschießen. Die Russen haben aber noch immer eine Feuerüberlegenheit. Auf jede Granate können die Ukrainer noch immer nicht antworten.
Die Ukrainer dürfen nun auch mit westlichen Waffen Stellungen in Russland angreifen - war die Erlaubnis überfällig?
Ja. Muss ich wirklich warten, bis der russische Bomber aufsteigt und über russischem Boden die Gleitbombe ausklinkt? Die ich dann kaum noch abwehren kann? Oder kann ich den Bomber nicht schon am Boden bekämpfen, wenn er betankt und bewaffnet wird? Bisher war die Antwort nein, jetzt lautet sie Ja. Und das finde ich richtig.
Wie weit würden Sie da gehen? Man könnte auch sagen, die Ukraine sollten mit westlichen Waffen auch andere Ziele angreifen können. Mit ihren eigenen Waffen machen sie das ja ohnehin schon.
Ich habe da eine klare Meinung. Wenn wir Waffen abgeben, sind das ukrainische Waffen. Was die Ukrainer mit ukrainischen Waffen tun, ist Sache der Ukraine. Sie sollten sich an das humanitäre Völkerrecht halten. Also keine Kriegsverbrechen begehen. Nicht wie die Russen, die in Charkiw Wohnblöcke bombardieren. Militärische Ziele sind aber legitim. In ganz Russland.
Ein Grund, warum Deutschland der Ukraine hilft, ist auch die eigene Sicherheit. Glauben Sie wirklich, Russland würde auch Deutschland angreifen?
Die gute Nachricht ist: Die russischen Landstreitkräfte sind gerade zu 90 Prozent in der Ukraine im Einsatz. Die Russen haben große Probleme voranzukommen, die Ukrainer beschäftigen sie voll und ganz. Das gilt aber nur so lange, wie die Ukrainer es schaffen, ihr eigenes Land zu verteidigen. Danach muss man mit allem rechnen und sich darauf vorbereiten.
Dann gibt es noch die Atomwaffen. Verteidigungsexperten wie Sie sagen dann immer, man dürfe sich nicht einschüchtern lassen. Putin drohe nur, mache aber keinen Ernst. Kann man da wirklich so entspannt bleiben?
Die eigene russische Militärdoktrin sagt: Ja. Demnach setzen die Russen Atomwaffen nur ein, wenn sie selbst damit angegriffen werden oder das russische Kernland in Gefahr ist. Und die Ukrainer stehen nicht vor Moskau.
Aber ist die Krim nicht auch russisches Kernland, aus Putins Sicht?
Nein. Wie kann etwas Kernland sein, das so am Rand liegt? Das halte ich für abwegig. Nicht zuletzt zieht auch China bei Atomwaffen eine klare Grenze. Das hat es deutlich gemacht.
Verteidigungsminister Pistorius hat in den Haushaltsverhandlungen 6,7 Milliarden Euro angemeldet, als Finanzminister Lindner ihm zugeteilt hatte. Wem drücken Sie da mehr die Daumen? Dem Verteidigungsminister oder ihrem FDP-Chef?
Man kann beliebig Beträge anmelden. Das könnte sicher jedes Ministerium. Es wurden für alle Ministerien Finanzpläne vorgelegt. Das Verteidigungsministerium muss nicht sparen. Die meisten anderen müssen sparen. Man könnte auch sagen: Damit kann man zufrieden sein.
Aber Herr Lindner sagt selbst, Verteidigung müsse aus dem Bundeshaushalt finanziert werden. Dann muss der Etat doch kräftig wachsen, bis 2027 das Sondervermögen aufgebraucht ist.
Das tut er ja. Als ich 2017 in den Bundestag kam, war der Verteidigungshaushalt bei 38 Milliarden. Jetzt steht er bei 52. Wir haben ja noch ein paar Jahre Zeit. Und Verteidigung hatte nie die Priorität wie jetzt.
Manche sehen schon das nächste Sondervermögen für die Bundeswehr am Horizont.
Ein neues Sondervermögen wäre katastrophal. Wir dürfen die finanzielle Stabilität und Nachhaltigkeit Deutschlands nicht opfern. Russland wird finanziell an diesem Krieg scheitern. Da kann es seine Kriegswirtschaft anwerfen, wie es will. Es hat das Bruttosozialprodukt von Italien. Mit einer deutlich höheren Einwohnerzahl! Unsere finanzielle Stabilität ist für die Verteidigungsbereitschaft sehr relevant.
Pistorius hat gerade eine teilweise Rückkehr zur Wehrpflicht angekündigt. Wie sehen Sie das?
Was Herr Pistorius im Ausschuss vorgestellt hat, ist grundsätzlich sinnvoll. Zu sagen: Ihr bekommt einen Brief, Ihr nehmt an einer Onlinebefragung teil, dazu verpflichten wir Euch. Dann haben wir ein Bild davon, wer sich überhaupt für die Bundeswehr interessiert. Und von den Interessierten schauen wir, wer geeignet wäre. Auch wenn die nach sechs oder zwölf Monaten wieder etwas anderes machen, baut man über die Jahre eine Reserve auf. Der man dann nicht mehr erklären muss, wie man das Sturmgewehr G36 zerlegt.
Wenn Sie jemanden treffen, der noch unentschlossen ist - was sagen Sie dem?
Guck' dir das an, ob das etwas für dich ist. Geh' zum Tag der Bundeswehr. Schau dir an, wie viele unterschiedliche Jobs es gibt. Ich kann da Mechatroniker werden oder auch Pädagoge. Oder IT-Experte. Soldat ist nicht gleich Soldat.
Mit Marcus Faber sprach Volker Petersen
Quelle: ntv.de