Strack-Zimmermann im Interview "Scholz wird die Debatte kaum mehr einfangen können"
16.03.2024, 07:09 Uhr Artikel anhören
Im Europa-Wahlkampf bewirbt die FDP die 66-jährige Strack-Zimmermann wahlweise als "Eurofighterin" oder auch "Oma Courage".
(Foto: picture alliance/dpa)
Sie ist eine der lautesten Unterstützerinnen der Ukraine, Spitzenkandidatin der FDP für die Europawahl und eine Art Ampel-Rebellin gegen Kanzler Scholz - zumindest in Sachen Russland. Im Interview mit ntv.de erzählt Strack-Zimmermann, warum sie dessen Argumentation in Sachen Taurus nicht stichhaltig findet.
ntv.de: Frau Strack-Zimmermann, haben Sie nach der Regierungsbefragung von Kanzler Scholz diese Woche verstanden, warum er der Ukraine keinen Taurus liefern will?
Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Wir wissen seit zehn Monaten, dass die Ukraine den Marschflugkörper haben möchte. Der Bundeskanzler hätte unmittelbar nach der ersten Bitte eine Entscheidung treffen können. Stattdessen ließ er die Debatte laufen. Jetzt wird er sie kaum mehr einfangen können. Dazu ist die politisch zu sehr aufgeladen. Und zu sagen: "Basta, ich bin der Kanzler und deswegen ist es so", das wird nicht funktionieren.
Wir dachten eigentlich, dass der Bundeskanzler genau das darf.
Er hat die Richtlinienkompetenz, muss seine Entscheidung dennoch erklären. Wenn man jede Woche allerdings einen anderen Grund aufführt, warum man sich gegen etwas entschieden hat, ist das nicht wirklich stimmig.
Falls es ihm letztlich darum geht, die Kontrolle über diese weitreichende Waffe zu behalten, ist das nicht ein legitimes Argument?
Selbstverständlich muss man sich mit allen Eventualitäten beschäftigen. Die vielen Gründe, die peu à peu aufgeführt worden sind, wir hätten nicht genug von dem System, es sei nicht einsatzbereit, könnte nicht schnell genug nachproduziert werden, oder es bräuchte für den Einsatz zur Unterstützung deutsche Soldaten auf dem Boden der Ukraine, sind alle widerlegt worden. Es ist auch nicht wirklich hilfreich, wenn man die Partner in Frankreich und in Großbritannien, als Kronzeugen mit in die innerdeutsche Diskussion zieht und dabei noch Interna ausplaudert.
Sie meinen, dass er enthüllt hat, dass Briten und Franzosen eigene Leute vor Ort haben?
Was immer sich der Bundeskanzler davon versprochen hat, es ist nicht gut, denn wir sind gemeinsam aufgerufen, unser Europa zu schützen. Sein Handeln dürfte ein Vorbote des Bundestagswahlkampfes sein. Er möchte vermutlich als der Friedenskanzler wahrgenommen werden, so wie seinerzeit Gerhard Schröder, der sich im Irak-Krieg klar positioniert hat. Viel größere Sorgen mache ich mir aber über die Aussage vom SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, der in seiner Rede tatsächlich davon gesprochen hat, dass er die Lage in der Ukraine einfrieren wolle. Das ist erschreckend und erinnert an die erfolglose Appeasement-Politik der letzten Jahrzehnte. Konflikte einzufrieren, um sich nicht mehr akut damit beschäftigen zu müssen, ist verantwortungslos. Wir wissen, sobald ungelöste Konflikte wieder auftauen, werden sie für die nächste Generation erneut ein riesiger Unsicherheitsfaktor.
Aber dieses Argument, dass man ohne deutsche Soldaten die Kontrolle aus der Hand geben würde und am Ende nicht mehr verhindern könnte, dass die Ukrainer vielleicht doch Moskau mit dem Taurus angreifen ...
Wir sollten aufhören, russische Narrative, weiterzutransportieren. Die Ukrainer sind verlässliche Partner und wissen genau, dass nur so unser Zusammenwirken funktionieren kann.
Aber wer weiß, was sie in verzweifelter Lage mit dem Rücken zur Wand tun würden?
Die Ukraine kämpft tapfer, braucht aber in jeder Hinsicht unsere Unterstützung und die der anderen europäischen Partner. Humanitär, wirtschaftlich und militärisch. Diese wird die Ukraine nicht aufs Spiel setzen. Es ist unsererseits auch nicht wirklich klug, die Lage immer wieder als aussichtslos zu beschreiben. Ich darf daran erinnern, es geht auch um unseren Frieden in Freiheit. Wenn Putin Erfolg hat mit diesem imperialistischen Überfall, dann wird das nicht der letzte Krieg in Europa gewesen sein.
US-Medien wie die "New York Times" und CNN haben kürzlich berichtet, im Herbst 2022 habe Russland einen Einsatz von Atomwaffen ernsthaft erwogen. Als die Streitkräfte durch die Ukraine in die Enge getrieben wurden, sollen ranghohe Militärs die Nuklear-Option diskutiert haben.
Wenn mit dem Einsatz einer Atomwaffe gedroht wird, löst dies im Westen nachvollziehbar große Verunsicherung aus. Und genau darauf zielt diese Androhung.
Was macht Sie da so sicher?
Die Russen werden keine Nuklearwaffen einsetzen. Mit deren Einsatz würden sie sich selbst schwer schaden. Es war von historischer Bedeutung, dass US-Präsident Biden und Chinas Präsident Xi beim G20-Gipfel in Indonesien Putin zu verstehen gegeben haben, dass er nicht mal darüber nachdenken solle, diese Waffe einzusetzen, sonst würde er sich auch China zum Feind machen. Von da an war zumindest in dieser Lautstärke diese Drohung erst mal vom Tisch.
Bei der Regierungsbefragung gab es einen Schlagabtausch von Olaf Scholz mit CDU-Politiker Norbert Röttgen, als der Kanzler ihn plötzlich duzte …
Ich fand das seltsam. Wir sind im Plenarsaal des Deutschen Bundestags und nicht in der Kantine. Herr Röttgen ist ja klugerweise nicht auf diese persönliche Tonalität eingegangen, sondern hat Herrn Scholz weiter als Herr Bundeskanzler angesprochen.
Scholz warf Röttgen vor, dass er über Wissen verfüge, es aber nicht öffentlich sage. Anders formuliert: dass Röttgen wider besseres Wissen die Taurus-Lieferung fordere. Haben Sie als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses eine Ahnung, was der Kanzler damit gemeint hat?
Ich weiß auch nicht, was Herr Scholz da gemeint haben könnte. Diese Unterstellung ist schon starker Tobak. Es gibt nur Fakten und die liegen glasklar auf dem Tisch.
Könnte es eine Ansage aus Washington geben, den Taurus nicht zu liefern?
Definitiv nicht. Ich war in den USA und habe dort viele Gespräche geführt. Für die Amerikaner ist die sicherheitspolitische Lage im Indopazifik von noch größerer Bedeutung. Deswegen haben die Europäer freie Hand. Das erwarten die Amerikaner übrigens auch besonders von uns. Und auch viele andere europäische Länder erwarten mehr Führung von Deutschland.
Warum?
Wir sind ein starkes Land im Herzen von Europa.
Laut Umfragen hat Scholz mit seinem Nein zu Taurus die Mehrheit der Deutschen auf seiner Seite.
Ich unterstelle jeder Bürgerin und jedem Bürger, dass er oder sie sich mit diesem Thema beschäftigt. Voll Sorge, aber auch voll Hoffnung, dass der Krieg in der Ukraine bald endet. Auch bei der Diskussion um die Lieferung des Kampfpanzers Leopard gab es zu Beginn keine Mehrheit in der deutschen Bevölkerung. Es ist unsere Aufgabe in der Politik, solange wir dieses Mandat innehaben, Entscheidungen zu treffen und den Menschen zu erklären, warum wir diese Entscheidung so getroffen haben und nicht anders.
Ein Spionageerfolg der Russen war das Taurus-Leak. Sie haben sich schon dagegen ausgesprochen, die beteiligten Generäle zu feuern - weil das letztlich Putins Ziel gewesen sei. Aber was bleibt dann? Nur ein erhobener Zeigefinger?
Wir sind hybriden Angriffen ausgesetzt, und das schon seit Jahren. Damit wollen die Russen uns auf der einen Seite verunsichern, aber auch vorführen. Auch wenn das Abhören dieses Telefonats selbst verschuldet war und definitiv nicht passieren darf, dürfen wir fähige Generäle deswegen nicht entlassen. Genau darauf baut doch die Strategie von Wladimir Putin. Warum sonst würde er veröffentlichen lassen, wen und wann er was abhören hat lassen. Wichtig wird sein, in Zukunft technisch hoch aufgerüstet zu sein, aber auch Menschen zu sensibilisieren, dass sie immer auch Ziel russischer Spionage sein können.
Haben Sie persönlich Ihr Verhalten geändert?
Ich gehe in Hotels zum Beispiel nicht mehr ins WLAN. Man sollte sich auch von Fremden nicht in vertrauliche Gespräche verwickeln lassen. Das betrifft auch alle unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das Abfischen von Informationen läuft subtil. Das Anquatschen kann auch am Wochenende in einem Club stattfinden, um Vertrauen aufzubauen. Man muss wirklich nicht überall die Flöhe husten hören, aber etwas weniger Naivität wäre gut.
Am Donnerstag haben Sie in der Taurus-Frage wieder gemeinsam mit der Union gestimmt. Ist Ihnen der Fraktionszwang mittlerweile egal?
Sie kennen meine Meinung, daran werde ich nichts ändern und mich entsprechend verhalten.
Frau Strack-Zimmermann, seit Ende Januar sind Sie Spitzenkandidatin der FDP für die Europawahl am 9. Juni. Dann werden Sie ins Europaparlament wechseln. Mit dem Vorsitz des Verteidigungsausschusses geben Sie doch eigentlich Ihren Traumjob auf.
Woher wollen Sie wissen, dass dies mein Traumjob ist? (Lacht) Ich mache ihn ausgesprochen gerne, aber auch in Brüssel werden interessante Herausforderungen auf mich warten. Ich werde mich weiterhin - nur an anderer Stelle - um Verteidigung und Sicherheit kümmern. Die Arbeit in Brüssel ist für viele Menschen sehr abstrakt. Es wird Zeit, mehr zu erklären, auch aus Sicht der Politik. Sie können das als Journalisten unterstützen und darüber berichten und damit das Interesse an europäischer Politik wecken.
Die CDU fordert nun wie Sie einen eigenen Verteidigungskommissar. Was soll der eigentlich machen?
Den Wunsch nach einem Kommissar für Sicherheit hat nicht die CDU vorgeschlagen, sondern die Freien Demokraten, und das seit dem Angriff auf die Ukraine. Es ist schön, dass die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dies aufgreifen möchte, sofern sie überhaupt wieder Kommissionspräsidentin wird. Sie hat ja das Thema gemeinsame Sicherheit und Verteidigung, obwohl sie sechs Jahre lang Verteidigungsministerin in der Bundesrepublik Deutschland gewesen ist, nicht einmal auf den Kommissionstisch gelegt. Ein Kommissar oder eine Kommissarin für Sicherheit und Verteidigung könnte die Staaten zusammenbringen und sich darum bemühen, die nationalen Armeen besser aufeinander abzustimmen. Es muss nicht jede Nation jede Fähigkeit besitzen. Man kann sich auch sehr gut ergänzen. Wie erfolgreich das ist, sehen wir bei der engen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den Niederlanden. In Zukunft sollte auch stärker gemeinsam militärisches Material beschafft werden. Das hebt Synergien und entlastet die nationalen Haushalte.
Europa steht gerade unter Druck - Migration, stärker werdende Rechtspopulisten, hybride Angriffe aus Russland. Wie steht es um die EU?
Die Europäische Union war noch nie so gefährdet wie heute. Der Angriff auf die Ukraine, die illegale Migration, das Erstarken der Populisten. All das hängt zusammen. Wenn Putin verhindert, dass Getreide aus der Ukraine ausgeführt wird, sind davon 400 Millionen Menschen betroffen, überwiegend in den afrikanischen Ländern. Sie werden gezwungen sein, ihre Heimat zu verlassen und sich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auf den Weg in Richtung Europa machen. Diese Form des hybriden Krieges setzt Putin ein, um Europa zusätzlich unter Druck zu setzen. Europa muss Antworten finden, weil diese Gemengelage den Populisten in die Karten spielt. Sie bauen darauf, dass der Druck der Migration so stark wird, dass die Wahlen zu ihren Gunsten ausgehen.
Haben Sie keine Angst davor, weg vom Fenster zu sein, wenn Sie nach Brüssel verschwinden?
Warum sollte ich? Ein Fenster kann man weit öffnen, und das habe ich vor. Es ist ein großes Privileg für mich, dass die FDP mich als ihre Spitzenkandidatin für die Europawahl nominiert hat. Ich bin eine überzeugte Europäerin und der Auffassung, dass wir allen Herausforderungen in Europa nur gemeinsam begegnen können. Wenn ich einen Beitrag dazu leisten kann, freue ich mich darüber.
Mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann sprachen Frauke Niemeyer und Volker Petersen
Quelle: ntv.de