Amnesty sieht "Brutalität" in Ägypten Militärrat stimmt Machtverzicht zu
22.11.2011, 19:14 Uhr
Demonstrant auf dem Tahrir-Platz.
(Foto: dpa)
Der Militärrat in Ägypten knickt ein und will die Präsidentenwahl vorziehen. Das Gremium akzeptiert zudem den Rücktritt der Übergangsregierung. Der Urnengang für das neue Parlament soll wie geplant stattfinden. Das Blutvergießen geht jedoch weiter - Amnesty International geht mit den Militärs hart ins Gericht.
Nach tagelangen Protesten und Ausschreitungen in Ägypten haben sich die herrschenden Generäle dem Druck der Demonstranten gebeugt. Der Militärrat legte einen Zeitplan für die Übergabe der Macht an eine zivile Regierung vor. Der Vorsitzende Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi verkündete, dass bis spätestens Ende Juni ein neuer Präsident gewählt werden solle. Auf dem Kairoer Tahrir-Platz nahmen derweil Tausende Menschen am "Marsch der Millionen" teil. Ihre Reaktion auf die Rede war: "Das Volk will den Sturz des Feldmarschalls."
Die Jugendbewegung "6. April" kündigte an, so lange auf dem zentralen Platz zu bleiben, bis die Militärs die Macht an ein ziviles Gremium übergeben haben. In diesem präsidialen Rat soll ihrem Willen nach auch Friedensnobelpreisträger Mohammed Al-Baradei sitzen, der einst die Internationale Atomenergieorganisation geleitet hatte.

Seit Tagen kommt es auf dem Tahrir-Platz zu blutigen Zusammenstößen.
(Foto: dpa)
Innerhalb weniger Tage soll eine Regierung zur "nationalen Rettung" gebildet werden, hieß es. Es war zunächst unklar, wer dieser Regierung angehören soll. Das vom Militärrat ernannte Kabinett von Ministerpräsident Essam Scharaf hatte angesichts der Massenproteste mit mindestens 36 Toten seinen Rücktritt angeboten. Der Militärrat traf sich daraufhin mit Politikern zu einem Krisentreffen und nahm das Gesuch an.
"Wir haben uns darauf geeinigt, dass im Juli die Macht auf einen zivilen Präsidenten übergeht", sagte der Chef der ultrakonservativen Nur-Partei, Emad Abdel Ghafur, der Nachrichtenagentur Reuters. Er erwarte, dass der 20. Juni als Wahltermin festgezurrt werde.
Parlamentswahlen finden statt
An der Krisensitzung teilnehmende Politiker bestätigten zudem, dass die Parlamentswahlen wie geplant in der kommenden Woche stattfinden sollen. An dem Termin kamen in den vergangenen Tagen Zweifel auf, weil sich Demonstranten vor allem in Kairo Straßenschlachten mit Sicherheitskräften lieferten. Tausende Menschen versammelten sich wieder auf dem Tahrir-Platz in der Kairoer Innenstadt. Viele sangen und schwenkten Fahnen. Die Polizei setzte erneut Tränengas ein. Mehrere Demonstranten hängten eine Puppe an einem Lampenmast auf, die den Chef des Militärrates, Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi, darstellen sollte. Zeugen zufolge demonstrierten auch Tausende Menschen in der Hafenstadt Alexandria.
Viele Ägypter fürchten eine zu große Rolle der Streitkräfte, nachdem der langjährige Präsident Husni Mubarak in diesem Jahr auf Druck von Protesten auf sein Amt verzichten musste. Ursprünglich war geplant, die Präsidentenwahl erst Ende 2012 oder Anfang 2013 abzuhalten. Bei den Protesten kamen seit Samstag mindestens 36 Menschen ums Leben. Offiziellen Angaben zufolge wurden mehr als 1250 verletzt.
Amnesty rügt Militärführung
Die Streitkräfte sind in Ägypten eigentlich angesehen - auch weil sie Mubarak mit aus dem Amt zwangen. Immer mehr Ägypter sind aber mit dem Militärrat unzufrieden, weil die Streitkräfte versuchen, sich einer zivilen Kontrolle zu entziehen. Zudem wurden Tausende Zivilisten vor Militärgerichte gestellt. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warf den Machthabern vor, teilweise mit noch schlimmerer Brutalität vorzugehen als unter Mubarak. Versprechen, die Menschenrechtslage zu verbessern, hätten sich als leer erwiesen.

Ein Verletzter wird in Krankenhaus in Kairo gebracht.
(Foto: dpa)
Den Vorwürfen zufolge lösten die Machthaber friedliche Proteste regelmäßig gewaltsam auf. Außerdem sei in den vergangenen Monaten mehr als 12.000 Zivilisten vor Militärgerichten ein unfairer Prozess gemacht worden, heißt es in dem 62 Seiten langen Bericht. Folter gehöre ebenfalls zu den Methoden des Militärs.
Der Militärrat hatte die Macht in Ägypten im Februar nach dem Sturz von Langzeitherrscher Mubarak übernommen. Auch diesem Machtwechsel waren wochenlange Proteste auf dem Tahrir-Platz vorausgegangen.
Wirtschaft steht still
Die Unsicherheit lähmt auch die Wirtschaft. So kommt es in Ägypten häufig zu Zusammenstößen zwischen ethnischen Gruppen, Streiks oder Anschlägen auf Gasleitungen. Die Touristen bleiben vielerorts aus. Wegen der Unruhen gab der Kairoer Leitindex seit Donnerstag um elf Prozent nach. Das ägyptische Pfund fiel im Vergleich zum Dollar auf den niedrigsten Stand seit Januar 2005.
Die USA, die Ägypten jährlich Militärhilfen in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar zahlen, riefen erneut alle Seiten zur Zurückhaltung auf. "Die Gewalt ist bedauerlich", sagte Regierungssprecher Jay Carney.
Quelle: ntv.de, rts/dpa/AFP