Politik

Scholz ausgebremst Mindestlohn auf Eis gelegt

Olaf Scholz (SPD) hatte sich zu früh gefreut: Bis zur Jahresmitte wollte der Arbeitsminister seine beiden Vorhaben gern in trockenen Tüchern haben. Mitte Januar hatte er zwei Gesetzentwürfe in die Ressortabstimmung gegeben, die dem Mindestlohn bundesweit und rasch die Tür öffnen sollen. Daraus dürfte so schnell nichts werden, denn Scholz wurde von höchster Stelle gebremst: Das Kanzleramt legte Einspruch ein, machte "grundsätzliche Bedenken" geltend.

Und auch das Wirtschaftsministerium legte Scholz Steine in den Weg: Die Prüfung der Vorhaben habe so "schwierige Fragen" aufgeworfen, dass man acht statt vier Wochen Zeit für eine Stellungnahme benötige. Durch die Fristverlängerung und das "Halt" von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) liegt das Lieblingsprojekt des Arbeitsministers vorerst auf Eis.

Überraschend kam der Widerstand nicht: Seit Scholz den schon von Amtsvorgänger und Parteifreund Franz Müntefering vorbereiteten Post-Mindestlohn kurz vor dem Jahreswechsel durchboxte, gärt es in der Union. Die gab zwar murrend ihre Zustimmung, fühlte sich jedoch überfahren. Nun stellt sie sich dem von Scholz erhofften Durchmarsch in den Weg. Die Union argumentiert, der Arbeitsminister habe sich nicht an Verabredungen gehalten. Der verteidigte sich: Beide Entwürfe folgten "eins zu eins den Vorgaben".

Vor allem Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) sind flächendeckende Mindestlöhne ein Dorn im Auge. Er sieht durch eine für alle Beschäftigten einer Branche festgelegte Lohnuntergrenze, wie sie seit Jahresbeginn für die Briefdienste gilt, den Wettbewerb ausgeschaltet und die Tarifautonomie beschädigt. Auch das DIW-Wirtschaftsforschungsinstitut kritisiert, der Wettbewerbsgedanke komme in der aktuellen Mindestlohn-Debatte zu kurz.

Scholz dagegen sieht in den umstrittenen Gesetzen - der Novelle des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und dem modernisierten Gesetz über Mindestarbeitsbedingungen - ein Rezept, um "flächendeckend Wettbewerb über Lohndumping zu verhindern". Beide Gesetze wirkten wie ein System verbundener Röhren: Kommt der Mindestlohn nicht nach dem einen Gesetz zustande, dann eben über das andere. Damit werde es "keine weißen Flecken" bei der Mindestbezahlung mehr geben, frohlockte er.

Argwohn beim Koalitionspartner und in der Wirtschaft weckte der Scholz-Plan, dabei auch geschlossene Tarifverträge außer Kraft setzen zu können. Bei konkurrierenden Verträgen soll nach dem Willen des Ministers derjenige gelten, der die meisten Beschäftigten einer Branche erfasst. Auch die Zahl der von dem Tarifvertrag erfassten Gewerkschaftsmitglieder soll berücksichtigt werden sowie das "fiskalische Interesse": Dies meint, dass vollarbeitende Beschäftigte so viel verdienen müssen, dass sie nicht auf ergänzende staatliche Leistungen angewiesen sind.

Konkurrierende Tarifverträge gibt es in der florierenden Zeitarbeitsbranche. Dort gibt es drei Arbeitgeberverbände und zwei Tarifwelten: eine mit höheren Tariflöhnen, eine mit niedrigeren Tariflöhnen. Hinter der ersten stehen eine DGB-Tarifgemeinschaft und die großen Zeitarbeitsfirmen, hinter der anderen der Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) und die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften. Die gelten bei Traditionsgewerkschaftern als "gelbe" oder Spaltergewerkschaften.

In einem Gutachten ließ sich der AMP nun bestätigen, dass die Scholz'schen Mindestlohnpläne für Zeitarbeiter gegen das Grundgesetz verstoßen: Der Staat - so das Fazit des Gießener Arbeitsrechtlers Richard Giesen - dürfe bestehende Tarifverträge nicht verdrängen. AMP-Präsident Peter Mumme sieht seinen Verband als "Tarifpartei ausgeschaltet". Das Wirtschaftsministerium teilt die Vorbehalte: Es bestünden "erhebliche Bedenken, ob der tiefe Eingriff in die Tarifautonomie durch massive Verdrängung konkurrierender Tarifverträge verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann", gab Staatssekretär Walther Otremba seine Einwände zu Protokoll.

Quelle: ntv.de, Von Günther Voss, dpa

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