Dicke Luft in der Koalition Mindestlohn im Kanzleramt
28.03.2007, 07:30 UhrDer koalitionsinterne Dauerkonflikt um die Einführung von Mindestlöhnen ist nicht beendet. Das dritte Treffen einer hochrangig besetzten Koalitionsrunde unter Leitung von Kanzleramtsminister Thomas de Maizire (CDU) sowie Arbeitsminister und Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) ging am Mittwochabend in Berlin zu Ende, ohne dass Ergebnisse veröffentlicht wurden. Da Vertraulichkeit vereinbart war, blieb offen, ob sich Union und SPD angenähert haben.
Aber schon vor dem Beginn der Gespräche hatte es aus Regierungskreisen geheißen, dass wegen der festgefahrenen Fronten nicht mit Fortschritten nicht zu rechnen ist. Die Teilnehmer vereinbarten dem Vernehmen nach einen neuen Termin nach Ostern. Zuvor hatten Unterschriftenaktionen der SPD und des CDU-Arbeitnehmerflügels CDA für Empörung bei führenden Unionspolitikern und für scharfe Erwiderungen bei der SPD gesorgt.
Müntefering hofft, bis Ende April eine Lösung zu erzielen. "Ich will Mindestlöhne, das Verbot sittenwidriger Löhne und die Entgeltschranke. Da steckt noch viel Arbeit drin", sagte der Vizekanzler der "Passauer Neuen Presse". Außerdem sollten die Hinzuverdienstregeln geändert werden. In Europa gibt es Mindestlohn-Regelungen in 20 von 27 Staaten.
Die CSU-Landesgruppe im Bundestag rechnet nicht mit einer schnellen Einigung. Es werde sicherlich weder den von der SPD geforderten gesetzlichen Mindestlohn noch eine Aufblähung des Entsendegesetzes geben, sagte CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer. Er gehe aber davon aus, dass sich beide Seiten auf einen Kompromiss mit einer tarifrechtlichen Lösung verständigen können. Mit dem Entsendegesetz werden die tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen auch für ausländische Arbeitnehmer in Deutschland festgeschrieben, um Lohndumping zu verhindern. Bislang gilt es in der Baubranche und für die Gebäudereiniger. Müntefering will das Gesetz unter anderem auf die Zeitarbeitsbranche, den Einzelhandel, das Friseurhandwerk, das Hotel- und Gaststättengewerbe und für Postdienste ausweiten.
Kein Durchbruch zu erwarten
Vor dem Treffen bekräftigten Unionspolitiker ihre Ablehnung eines gesetzlichen Mindestlohns. "Wir würden über zwei Millionen Arbeitsplätze vernichten und keinen einzigen schaffen, wenn wir das machen", sagte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla bei n-tv.
Der CDU-Wirtschaftspolitiker Laurenz Meyer lehnte die von Müntefering vorgeschlagene Anwendung des Entsendegesetzes auf zusätzliche Branchen ab. "In keiner dieser Branchen sind die Voraussetzungen für das Entsendegesetz gegeben", sagte Meyer der "Berliner Zeitung".
"Hartz IV ist faktisch Mindestlohn"
Gegen die Einführung von Mindestlöhnen wandte sich auch FDP-Generalsekretär Dirk Niebel. Auf den Hinweis, dass es in 20 von 27 EU-Ländern einen gesetzlichen Mindestlohn gebe, sagte Niebel gegenüber n-tv.de: "Wir haben in Deutschland ein anderes Sozialsystem. Das Arbeitslosengeld II wirkt faktisch wie ein Mindestlohn. Eine Arbeitsaufnahme ohne erhebliche zusätzliche Mehreinnahmen wäre privat unökonomisch."
Mit Blick auf die Tarifautonomie lehnte Niebel eine Einmischung des Gesetzgebers ab. "Lohnverhandlungen sind Sache der Tarifpartner, also der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer."
"Entdeckung der Tarifautonomie"
Franz-Josef Möllenberg, Vorsitzender der Gewerkschaft "Nahrung, Genuss, Gaststätten", fordert dagegen einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro. Das Argument, damit würde die Tarifautonomie unterhöhlt, wies er scharf zurück. "Ich verwahre mich gegen die, die plötzlich die Tarifautonomie entdecken, obwohl sie sonst nur sonntags von sozialer Marktwirtschaft reden", sagte Möllenberg gegenüber n-tv.de. "Es gibt ein Bundesurlaubsgesetz, tarifvertragliche Arbeitszeitregelungen, es gibt aber leider keine Untergrenze was Löhne und Gehälter angeht."
Unterschriftenaktion sorgt für Verstimmung
Unterdessen sorgten die Unterschriftenaktionen von SPD und CDA für Verstimmung in der Koalition. CDU-Generalsekretär Pofalla distanzierte sich von der Aktion der eigenen CDU-Gewerkschafter, und kritisierte zugleich scharf die gemeinsame Kampagne von SPD und den Gewerkschaftsvorsitzenden. "Es ist doch peinlich, dass eine Volkspartei wie die SPD eine solche Unterschriftenaktion macht und zu den Erstunterzeichnern zählen Gysi und Lafontaine." Der CDU-Generalsekretär: "Wer solche Geister ruft in der SPD, der wird sie auch nicht mehr los."
SPD-Generalsekretär Hubertus Heil konterte: "Pofallas Reaktion zeigt, dass der Druck in Sachen Mindestlohn notwendig und richtig ist". Müntefering begrüßte die Unterschriftenkampagne: "Das ist legitime Werbung für einen wichtigen Politikbereich."
CSU-Generalsekretär Markus Söder warnte die Unionsparteien, beim Thema Mindestlohn der SPD zu weit entgegenzukommen. Die Unterschriftenaktion der SPD griff er in der "Financial Times Deutschland" scharf an: "Die SPD macht das nur, weil sie die Hosen voll hat und Angst vor der Linkspartei."
Heil verwies dagegen darauf, dass auch CDU-Mitglieder mit der DGB-Vizevorsitzenden Ingrid Sehrbrock an der Spitze für Mindestlöhne plädierten - und ebenfalls per Unterschriftenaktion dafür werben. Sehrbrock ist auch CDA-Vizechefin. Heil sagte der dpa: "Es ist ein Skandal, wenn Menschen, die hart und Vollzeit arbeiten, von ihrer Arbeit nicht mehr leben können. Vor dieser Lebenswirklichkeit werden auch die anderen Volksparteien nicht ihre Augen verschließen können."
Die Linksfraktion, die am Vortag geschlossen die Initiative von SPD und DGB-Chefs unterstützt hatte, schickte die Liste mit den Unterschriften aller Abgeordneten an SPD-Parteichef Kurt Beck. Den Text des SPD-Aufrufs will die Linksfraktion "möglichst zeitnah zum 1. Mai" im Bundestag zur Abstimmung stellen. Der Bundesvorsitzende der Grünen, Reinhard Bütikofer, sagte: "Die parlamentarische Mehrheit für die Einführung von verlässlichen Mindestlohnregelungen ist gegeben, aber die SPD nutzt sie nicht. Sie sucht Profilbildung statt Fortschritt."
Auf das mögliche Abstimmungsverhalten der SPD-Abgeordneten angesprochen, sagte ihr Parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer Olaf Scholz: "Im Koalitionsvertrag ist festgelegt, dass SPD und Union im Parlament nicht gegeneinander votieren dürfen." Das vertraglich vereinbarte Regierungshandeln sei jedoch die eine Seite, die politische Willensbildung und weitere Programmentwicklung der Parteien die andere.
Quelle: ntv.de