Schwarz-Rot muss noch 45 Milliarden abräumen Mindestlohn und Pkw-Maut sind abgearbeitet
27.11.2013, 00:50 Uhr
Sigmar Gabriel im Willy-Brandt-Haus. Hier tagen Union und SPD - möglicherweise zum letzten Mal.
(Foto: dpa)
Auf mehr als 50 Milliarden Euro belaufen sich die Wünsche der Arbeitsgruppen bei den Koalitionsverhandlungen. In dieser Nacht sollte die Ausgabenliste drastisch gekürzt werden. Bislang klappt das nur verhalten. Auch eine Absprache zur Personalplanung scheint nicht zu halten.
Es geht zwar bei einzelnen Streitpunkten voran, aber auch nach mehrstündigen Gesprächen haben sich Union und SPD in ihrer planmäßig letzten Verhandlungsrunde über eine Große Koalition in der Frage der Finanzierung ihrer Vorhaben kaum angenähert.
Die von den Arbeitsgruppen in den Koalitionsverhandlungen vereinbarten Projekte belaufen sich auf mehr als 50 Milliarden Euro. Eigentlich wollen die Unterhändler von CDU, CSU und SPD die Wunschlisten in dieser Nacht so zusammenstreichen, dass Ausgaben in Höhe von rund 15 Milliarden Euro übrig bleiben.
Aus Unionskreisen verlautete am Abend, bislang sei das Gesamtvolumen der 50 Milliarden nur unwesentlich reduziert worden. Die SPD bestehe noch auf Ausgaben und Investitionen in Höhe von 45 Milliarden Euro, CDU und CSU beharrten auf einer Deckelung bei nun 16 Milliarden Euro. Bereits am Anfang der Koalitionsverhandlungen hatte die SPD darauf hingewiesen, dass es ohne Steuererhöhungen ihrer Ansicht nach nicht gehen werde.
Mindestlohn kommt
Dennoch sind Steuererhöhungen weiter tabu. "Keine Steuererhöhungen, ohne neue Schulden ab 2015 auskommen - das ist ein sehr ehrgeiziges Projekt, aber eins, dem wir uns verpflichtet fühlen und das den Rahmen bildet für alles, was man wünschenswert nennen mag", sagte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe bei n-tv zum Auftakt der Verhandlungen.
"Es wird schwierig, das heute Nacht noch hinzubekommen", sagte ein Unionsmitglied der Deutschen Presse-Agentur über das Ziel von 15 oder 16 Milliarden Euro.
Kreisen zufolge steht aber die Einigung auf ein Konzept für einen Mindestlohn und ein Rentenpaket. Der Mindestlohn soll laut dpa 8,50 Euro pro Stunde betragen und zum 1. Januar 2015 eingeführt werden. Laut AFP ist vorstellbar, dass bestehende Tarifverträge mit geringeren Stundenlöhnen bis 2017 Bestand haben sollen.
Bei der Rente setzten Union und SPD jeweils ihre Wunschkonzepte durch. Der Kompromiss sieht so aus, dass die von der SPD geforderte abschlagfreie Rente mit 63 Jahren nach 45 Beitragsjahren und die von der Union versprochene Besserstellung älterer Mütter, die vor 1992 Kinder bekommen haben, zum 1. Januar 2014 eingeführt werden. Ferner soll eine "solidarische Lebensleistungsrente" für Geringverdiener in Höhe von bis zu 850 Euro pro Monat ab 2017 kommen. Auch die Erwerbsminderungsrenten sollen verbessert werden. Die Kosten für dieses Gesamtpaket waren zuvor mit mehr als 20 Milliarden Euro beziffert worden.
Pkw-Maut ist eingetütet
Auch auf die Pkw-Maut verständigten sich Union und SPD. Bedingung dafür soll sein, dass diese Abgabe nur ausländische Autofahrer belastet und mit dem Europarecht vereinbar ist. Dazu soll 2014 ein Gesetz verabschiedet werden. Das verlautete ebenfalls aus Verhandlungskreisen.
Kanzlerin Merkel hatte vor der Wahl erklärt, mit ihr werde es keine Pkw-Maut geben. Die CSU hatte die Forderung nach einer Maut für Ausländer zur Bedingung für einen Koalitionsvertrag gemacht.
In Kreisen von CDU und SPD wurde die Formulierung für den Koalitionsvertrag als Prüfauftrag gewertet. Eine Maut, die nur Ausländer und nicht die deutschen Autofahrer belaste, sei mit dem EU-Recht nicht vereinbar, hieß es.
Im Entwurf für den Koalitionsvertrag heißt es: "Zur zusätzlichen Finanzierung des Erhalts und des Ausbaus unseres Autobahnnetzes werden wir einen angemessenen Beitrag der Halter von nicht in Deutschland zugelassenen PKW erheben (Vignette) mit der Maßgabe, dass kein Fahrzeughalter in Deutschland stärker belastet wird. Dabei wird die Ausgestaltung EU-rechtskonform erfolgen."
Einigung vielleicht erst "im Hellen"?
Der schleswig-holsteinische SPD-Chef Ralf Stegner zeigte sich zuversichtlich, dass die Beratungen in der SPD-Zentrale zu einem insgesamt erfolgreichen Abschluss führen würden. Wie lange es bis zu einer Einigung dauern werde, könne er nicht sagen, sagte Stegner am Rande der Beratungen: "Ob das noch bei Dunkelheit oder schon im Hellen passiert, das weiß ich nicht so genau."
Union und SPD hatten vor Beginn der Schlussrunde erklärt, der Koalitionsvertrag solle möglichst am Mittwoch stehen. Die Union hielt eine Verlängerung der Verhandlungen für möglich. Die SPD steht allerdings unter Zeitdruck: Sie will noch in dieser Woche ihr Mitgliedervotum starten.
Der Koalitionsvertrag soll per Sonderausgabe der SPD-Zeitung "Vorwärts" an alle 475.000 Mitglieder geschickt werden, die dann bis 12. Dezember abstimmen. Am Abend des 14. Dezember soll das Abstimmungsergebnis vorliegen. Nach bisheriger Planung soll Bundeskanzlerin Angela Merkel am 17. Dezember im Bundestag wiedergewählt werden.
"Natürlich sprechen wir übers Personal"
Aus CSU-Kreisen wurden Mutmaßungen zurückgewiesen, über die Besetzung der Ministerien werde erst später gesprochen. Die SPD hatte eigentlich durchsetzen wollen, dass über Personalien noch nichts nach außen dringt. Und zunächst hieß es auch, CDU und CSU hätten davon Abstand genommen, ihre Minister schon am Mittwoch zu benennen.
Ähnlich wie bei den Verhandlungen über den Koalitionsvertrag interpretieren die Parteien diesen Kompromiss jedoch offenbar sehr unterschiedlich. "Natürlich sprechen wir heute übers Personal", hieß es.
Die SPD-Spitze ist seit Wochen bemüht, nicht den Eindruck eines Postengeschachers zu erwecken. Die Sozialdemokraten sollen sechs Bundesministerien führen, die CDU fünf (plus Kanzleramtsminister) und die CSU drei. Nach derzeitigem Stand soll CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt neuer Verkehrsminister werden. Amtsinhaber und Parteikollege Peter Ramsauer rutscht dafür ins Verbraucherministerium.
Quelle: ntv.de, hvo/dpa/rts/AFP/DJ