Politik

Regierungserklärung auf Schwäbisch Mit Bertha Benz zum Passivhaus

"Leitmotiv unseres Handelns ist Nachhaltigkeit in allen Bereichen."

"Leitmotiv unseres Handelns ist Nachhaltigkeit in allen Bereichen."

(Foto: REUTERS)

Neue Gründerzeit, Dialog mit den Bürgern und vor allem Nachhaltigkeit - drei rote Fäden hat die erste Regierungserklärung des ersten grünen Ministerpräsidenten. Klingt unspektakulär, und das soll es auch. Denn die zentrale Botschaft ist: Auch wenn die Grünen regieren, gibt es keinen Grund zur Panik. Oder doch?

"Ich bin ein langsamer Politiker", sagt Winfried Kretschmann. Dem werden die Abgeordneten im baden-württembergischen Landtag nach den 79 Minuten seiner Regierungserklärung vermutlich zustimmen - der ersten Regierungserklärung des ersten grünen Ministerpräsidenten in Deutschland. Mit der neuen Landesregierung ist die Hoffnung auf einen neuen Politikstil verbunden. Das weiß Kretschmann und das sagt er selbst. Und eröffnet seine Rede mit einem Satz, der so charismafrei ist wie der Redner selbst: "Heute möchte ich Ihnen wichtige Grundlinien unserer Politik der nächsten Jahre erläutern."

Doch Achtung, niemand sollte Kretschmann unterschätzen. Wie er selbst pendelt seine Rede zwischen visionärem Höhenflug und demonstrativer Bescheidenheit. "Baden-Württemberg steht keine politische Revolution bevor, sondern eine ökologisch-soziale Erneuerung. Die braucht es allerdings." Das Ausrufungszeichen, das das Manuskript an dieser Stelle vorsieht, ist nicht zu hören.

Droschken ohne Benzin: Winfried Kretschmann will alle mitnehmen.

Droschken ohne Benzin: Winfried Kretschmann will alle mitnehmen.

(Foto: dpa)

Auch ohne laut zu werden hält Kretschmann einige Zumutungen bereit. Die sind geschickt verpackt. Er beginnt mit Carl Benz und seiner Frau Bertha, die ihre erste Spritztour in der pferdelosen Droschke ihres Mannes "zur Oma nach Pforzheim" machte. Den Bogen zur heutigen Automobilindustrie in Baden-Württemberg schlägt Kretschmann nicht, denn ihm geht es nicht darum, den Siegeszug des motorisierten Individualverkehrs zu feiern, sondern eine "neue Gründerzeit" auszurufen. Wie damals soll der Südwesten vorangehen: "Heute gibt es Fertighaushersteller in Baden-Württemberg, die Null-Energie-Häuser im Programm haben." Auch das Passivhaus sei "zum ersten Mal in Baden-Württemberg realisiert" worden, 1992 im Freiburger Stadtteil Vauban. Wo die Grünen bei der Landtagswahl am 27. März auf 73 Prozent kamen. Aber das sagt Kretschmann natürlich nicht.

"Kein Grund zur Panik"

Es geht um die großen Linien: "Leitmotiv unseres Handelns ist Nachhaltigkeit in allen Bereichen. Wichtige Ziele sind Bildungs- und Aufstiegschancen für alle sowie ein ausgeglichener Haushalt."

100 Jahre nach den Pferden, sagt Kretschmann, werde die Droschke nun "Schritt für Schritt" auch auf das Benzin verzichten. Darin liege eine große Herausforderung. "Dennoch gibt es keinen Grund zur Panik." Denn der Verbrennungsmotor werde "bis weit in die kommenden Jahre hinein eine nach wie vor tragende Rolle spielen". Dies zur Beruhigung des Koalitionspartners SPD, der Automobilindustrie und der zahlreichen Beschäftigten dieser Branche. Um weltweit erfolgreich zu sein, müsse das Land jedoch "zu einer lebendigen Verkaufsmesse für neue, integrierte Mobilität" werden. Mit anderen Worten: Baden-Württemberg soll ein Autoland bleiben, zugleich jedoch behutsam lernen, dass es auch andere Methoden der Fortbewegung gibt.

Angesicht der bundesweiten Energiewende fällt der radikalste Bruch in Kretschmanns Regierungserklärung kaum noch auf: Baden-Württemberg soll seinen Rückstand bei den erneuerbaren Energien aufholen. Blockaden bei der Windkraft sollen beseitigt werden - zusammen mit Bayern ist Baden-Württemberg in diesem Bereich der große Nachzügler. Bis 2020 will Grün-Rot mindestens 10 Prozent des Strombedarfs aus heimischer Windkraft decken - im Nachbarland hat die CSU erst kürzlich beschlossen, dass erneuerbare Energie bis 2022 mindestens 50 Prozent des Stroms liefern soll. Kretschmann will auch Solarenergie fördern, "zum Beispiel, indem wir landeseigene Dachflächen für Bürgersolaranlagen zur Verfügung stellen". Sollte die Bundesregierung den Ausstieg aus dem Atomausstieg nicht zurücknehmen, werde sich die Landesregierung der Klage anderer Bundesländer vor dem Bundesverfassungsgericht anschließen.

"Nix verkomme lasse"

Die Revolution fällt aus, Kretschmann geht "Schritt für Schritt".

Die Revolution fällt aus, Kretschmann geht "Schritt für Schritt".

(Foto: dpa)

Auch die übrigen Themen seiner Regierungserklärung behandelt Kretschmann als Teil einer neuen Gründerzeit: Baden-Württemberg als Gesundheitsstandort, Ausbau der Kinderbetreuung, die Zulassung von Modellschulen. Zur Verbesserung der frühkindlichen Bildung soll die Grunderwerbsteuer von 3,5 auf 5 Prozent angehoben werden - auf einen Zwischenruf, dies sei nicht gerade familienfreundliche Politik, erwidert Kretschmann, erst durch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf würden sich viele Familien ein Eigenheim leisten können.

Die Studiengebühren will die Landesregierung zum Sommersemester 2012 abschaffen, stattdessen soll es "Maßnahmen im Bereich des Spitzensteuersatzes" geben. "Ich will, dass in unserem Land endlich alle Kinder die gleichen Chancen haben, an Bildung teilzunehmen, von Anfang an und unabhängig von ihrer sozialen Herkunft." Das sei "genau das Gegenteil von Gleichmacherei und Einheitsschule", hält Kretschmann der Opposition entgegen. Und wird grundsätzlich: "Wo es Freiheit gibt, wird es immer auch Ungleichheit geben. Deshalb muss eine Gesellschaft alles tun, um Chancengerechtigkeit zu schaffen."

Eine stärkere Neuverschuldung lehnt Kretschmann ab. "Wir dürfen unsere Ansprüche und Bedürfnisse nicht zu Lasten unserer Kinder und Kindeskinder realisieren." Seine schwäbische Übersetzung von "Nachhaltigkeit" lautet: "No nix verkomme lasse."

Kretschmann kündigt einen Kassensturz noch vor der Sommerpause und - Haushaltskonsolidierung hin oder her - einen Nachtragshaushalt noch in diesem Jahr an. Das Thema, das den Wahlkampf lange dominierte, spricht Kretschmann erst am Schluss an: Stuttgart 21. Er räumt ein, dass das Bauprojekt in der Landesregierung kontrovers bleibe, und appelliert an die CDU, zusammen mit den anderen Fraktionen die Hürden für Volksabstimmungen zu senken. Dabei greift er den Vorschlag der FDP auf, das Quorum für Volksentscheide auf 20 Prozent festzulegen. Derzeit liegt es bei 33 Prozent, was im Vergleich zu anderen Bundesländern relativ hoch ist. "Überlegen Sie sich Ihre Haltung noch einmal in Ruhe", sagt er den CDU-Abgeordneten. "Es geht nicht darum, uns einen Gefallen zu tun. Es geht darum, den Menschen in unserem Land einen Gefallen zu tun."

Die Zeit des Durchregierens sei vorbei, sagt Kretschmann. Er will "die Dinge im Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern" vorantreiben. Wieder so ein Kretschmann-Satz. Seine Krawatte ist weder grün, noch grün und rot, nicht einmal schwarz und gelb, die Farben Baden-Württembergs. Sie ist weiß und blau gestreift, eine Botschaft steckt wohl kaum dahinter. Er scheint es tatsächlich ernst zu meinen.

Quelle: ntv.de

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