Geheimdienstchef wird Vizepräsident Mubarak klammert sich an die Macht
29.01.2011, 20:26 Uhr
Am Tahrir-Platz im Zentrum Kairos.
(Foto: Reuters)
Die ägyptische Führung bekommt die Massenproteste nicht in den Griff. Erneut gehen Hunderttausende gegen das Regime von Präsident Mubarak auf die Straße. Dabei soll es erneut viele Tote gegeben haben. Insgesamt kamen seit Freitag mehr als 100 Menschen ums Leben, annähernd 2000 Menschen sollen verletzt worden sein. Mubarak ernennt Geheimdienstchef Suleiman zu seinem Stellvertreter. Er selbst will im Amt bleiben. Die ägyptische Opposition und die USA sind mit den Lösungsvorschlägen Mubaraks unzufrieden. Die Regierungen in Berlin, Paris und London geben eine gemeinsame Erklärung heraus.
Der ägyptische Präsident Husni Mubarak hat Geheimdienstchef Omar Suleiman zu seinem Stellvertreter ernannt. Das meldeten diverse ägyptische Medien. Suleiman wurde seit längerer Zeit als möglicher Nachfolger des 82-jährigen Staatschefs gehandelt. Neuer Ministerpräsident ist Ahmad Schafik, der von der Luftwaffe kommt.
General Suleiman, der in den beiden Nahostkriegen 1967 und 1973 gegen Israel gekämpft hat, war bisher Mubaraks Mann für heikle Aufträge. Zwischen Israel und den Palästinensern hat er schon mehrfach vermittelt. Auch in den USA ist er geschätzt. Noch vor der Ernennung Suleimans war die Regierung zurückgetreten. Der Schritt folgte auf die Fernsehansprache von Staatschef Husni Mubarak, der in der Nacht die Bildung einer neuen Regierung angekündigt hatte.
Der Nachrichtensender Al-Arabija berichtete, bei den Demonstrationen gegen das Regime von Mubarak sei die Ernennung Suleimans von Protestierern teilweise begrüßt worden. N-tv-Reporter Cord Eickhoff erklärte jedoch, die Ernennung sei genau das Gegenteil dessen, was die Protestierer wollten. Der Geheimdienst sei wegen des harten Vorgehens gegen Demonstranten verhasst.
USA mit Regierungsumbildung unzufrieden
Die USA kritisierte die Regierungsumbildung als unzureichende Antwort auf die Massenproteste der Bevölkerung. Die ägyptische Regierung könne nicht einfach die Karten neu mischen und dann stillstehen, heißt es aus dem US-Außenministerium. US-Präsident Barack Obama hatte zuvor Reformen angemahnt. Ägypten ist einer der wichtigsten Verbündeten der USA in der Region.
Auch der ägyptische Oppositionsführer Mohamed el Baradei zeigte sich unzufrieden mit Baraks Lösungsangeboten und forderte erneut den Rücktritt des angeschlagenen Präsidenten. Die Berufung eines Stellvertreters und eines neuen Regierungschefs reichten nicht aus, um die Revolte zu beenden, sagte el Baradei im Sender El Dschasira. Mubarak solle sein Land so schnell wie möglich verlassen.
Im Weißen Haus in Washington berieten derweil ranghohe Regierungsvertreter über die Lage in Ägypten. Das Treffen unter Leitung des nationalen Sicherheitsberaters Tom Donilon, an dem unter anderen Außenministerin Hillary Clinton sowie CIA-Chef Leon Panetta teilnahmen, dauerte rund zwei Stunden, wie ein Beamter sagte. Präsident Obama solle später durch seine Berater auf den neuesten Stand der Dinge gebracht werden.
Nach tagelangem Schweigen hatte sich Mubarak in der Nacht zum Samstag erstmals zu den seit Dienstag andauernden Protesten geäußert. "Ich habe die Regierung gebeten zurückzutreten", sagte er in einer Fernsehansprache. Zugleich versprach der 82-Jährige politische und wirtschaftliche Reformen.
Menschen missachten Ausgangssperre
Die über die Hauptstadt Kairo sowie die Großstädte Alexandria und Suez verhängte Ausgangssperre wurde nach Angaben des Fernsehens auf 16 Stunden täglich verlängert. Sie sollte bis auf Weiteres von 16.00 Uhr bis 08.00 Uhr gelten. Die Armee, deren Generalstabschef Sami Anan nach Kairo zurückkehrte, rief die Demonstranten zur Beachtung der Sperre auf.
Trotzdem wurden die Demonstrationen in Kairo über diesen Zeitpunkt hinaus fortgesetzt. Zehntausende Menschen forderten in Sprechchören den "Abgang des Präsidenten". Die Dienste zweier Mobilfunkanbieter funktionierten teilweise wieder, das Internet jedoch nicht. Insgesamt kamen seit Freitag bei den landesweiten Unruhen nach einer Zählung von Al-Dschasira mehr als 100 Menschen ums Leben. Die Zahl der Verletzten bezifferte der Sender mit 2000.
Bürgerwehren gegen Plünderer
Wegen der dramatischen Verschlechterung der Sicherheitslage haben verzweifelte Einwohner in vielen Vierteln von Kairo Bürgerwehren gebildet. Junge Männer und Hausmeister bewaffneten sich mit Stöcken und Messern, um Angreifer abzuwehren. Gleichzeitig gingen beim staatlichen Fernsehen Hilferufe von Bewohnern einiger Viertel ein, die das Militär um Schutz baten. Die Verteidigung der Viertel ist allerdings schwer, weil die Plünderer meist in großen Gruppen von 30 bis 200 Mann auftauchen. Unterdessen rief die ägyptische Armee die Bürger auf, sich selbst zu schützen, wie arabische Nachrichtensender berichteten.
El Baradei fordert Mubaraks Rücktritt
Der nach Ägypten zurückgekehrte Friedensnobelpreisträger Mohamed el Baradei forderte Mubarak erneut zum Rücktritt auf. Er werde sich weiterhin an den Protesten beteiligen, sagte der ehemalige Leiter der Internationalen Atomenergiebehörde dem französischen Fernsehsender France 24. Auch der einflussreiche sunnitische Geistliche Jussuf el Kardawi forderte im arabischen Fernsehsender El Dschasira einen Machtverzicht Mubaraks.
Politiker in aller Welt warnten vor weiterer Gewalt. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) erklärte, die Lage dürfe nicht weiter eskalieren, und forderte politische und wirtschaftliche Reformen.
Gemeinsame Erklärung aus Berlin, Paris und London
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy und der britische Premierminister David Cameron haben den ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak aufgefordert, einen Wandel in seinem Land einzuleiten. Dieser "Transformationsprozess" müsse sich in einer Regierung widerspiegeln, die sich auf eine breite Basis stütze, sowie in freien und fairen Wahlen, hieß es in einer gemeinsam herausgegebenen Erklärung.
Die weiteren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Reformen, die Mubarak versprochen habe, müssten "rasch und vollständig umgesetzt werden und die Erwartungen des ägyptischen Volkes erfüllen", forderten Merkel, Sarkozy und Cameron. Die Menschenrechte und die demokratischen Freiheiten müssten voll respektiert werden.
Die US-Regierung rief "alle Seiten" erneut zu einer friedlichen Lösung auf. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy forderte ein "Ende des Blutvergießens". Die Afrikanische Union zeigte sich "besorgt". Russlands Regierung mahnte einen "zivilen Frieden" an. Der saudiarabische König Abdallah und Libyens Staatschef Muammar Gaddafi sagten Mubarak in Telefonaten hingegen ihre Unterstützung zu.
Das Auswärtige Amt riet "von nicht unbedingt notwendigen Reisen nach Kairo, Alexandria und Suez" ab. Fluglinien strichen oder verschoben Flüge nach Ägypten. Touristikunternehmen boten Urlaubern kostenlose Umbuchungen an.
Arabische Geschäftsleute verlassen das Land
Allerdings haben mehrere arabische Prinzen und Geschäftsleute das Land bereits verlassen. Sie seien angesichts der blutigen Proteste mit Privatflugzeugen noch am Freitag in Richtung Riad, Dubai und Amman gestartet, um den Unruhen zu entkommen, erklärte ein Verantwortlicher am Internationalen Flughafen von Kairo. Dagegen habe bislang kein ägyptischer Politiker das Land verlassen.
Quelle: ntv.de, ppo/dpa/AFP/rts