Politik

Ägyptische Opposition über Reformkonzept einig Mubarak kündigt Wahlverzicht an

Der Tahrir-Platz, der "Platz der Freiheit", wird zum Symbol des Volksaufstandes in Ägypten.

Der Tahrir-Platz, der "Platz der Freiheit", wird zum Symbol des Volksaufstandes in Ägypten.

(Foto: dpa)

Die Massenproteste in Ägypten zeigen offenbar Wirkung: Der verhasste Präsident Mubarak verkündet bei einer Rede seinen Verzicht auf eine erneute Kandidatur. Die Opposition hatte zuvor ein einheitliches Reformkonzept vorgelegt. Ihre Bedingung für Gespräche mit der Regierung: Der Machthaber muss sofort abtreten.

Millionen Ägypter drängen Machthaber Husni Mubarak immer stärker an die Wand: Der friedliche Massenprotest in Kairo und anderen Städten des Landes bringt das Regime ins Wanken und schlägt in der gesamten arabischen Region immer höhere Wellen. In einer vom Nachrichtensender Al-Arabija ausgestrahlten Rede hat Präsident Mubarak den Verzicht auf eine weitere Amtszeit angekündigt. Zudem solle es bei den für September angesetzten Wahlen Veränderungen bei der Zahl der zugelassenen Kandidaten geben. Er schloss praktisch aus, ins Exil zu gehen. "Dies Land ist auch meine Heimat, und in diesem werde ich sterben", sagte Mubarak. Kurz zuvor hatten die USA erstmals Kontakt mit Mohammed el-Baradei aufgenommen, dem Hoffnungsträger der Opposition.

Präsident Mubarak macht erste Zugeständnisse an die Opposition.

Präsident Mubarak macht erste Zugeständnisse an die Opposition.

(Foto: AP)

Am Tage hatten auf dem Tahrir-Platz in Kairo, der zum Symbol der Massenproteste in Ägypten geworden ist, mindestens Hunderttausende Menschen demonstriert. Die Meldungen über die Zahl der tatsächlichen Teilnehmer sind jedoch unterschiedlich - die Angaben reichen von Einhunderttausend bis zu zwei Millionen Menschen allein in der ägyptischen Hauptstadt. Auch nach Einbruch der Dunkelheit blieben Zehntausende auf dem Tahrir-Platz und verlangten mit Sprechchören politische Reformen.

Der Protest ging quer durch die ägyptische Bevölkerung. Auf dem zentralen Platz versammelten sich Arbeiter und Ärzte ebenso wie Geistliche, Frauen mit Kindern und junge Männer. Die Stimmung war ausgelassen, fast fröhlich. "Wir wollen Freiheit. Wir wollen Demokratie", riefen Demonstranten. In Alexandria und Ismailija protestierten ebenfalls mehrere Zehntausend Menschen.

Kernforderung der Demonstranten ist der Rücktritt des 82-jährigen Präsidenten Husni Mubarak, der bereits seit drei Jahrzehnten im Amt ist. Die von Vize-Präsident Omar Suleiman in Aussicht gestellten Zugeständnisse wie eine Verfassungsreform reichen den Bürgern nicht aus.

Opposition fordert neue Verfassung

Demonstrant in Kairo.

Demonstrant in Kairo.

(Foto: dpa)

Vertreter aller größeren Oppositionsparteien und -bewegungen in Ägypten hatten sich zuvor auf eine gemeinsame Linie für einen Neubeginn in dem Land verständigt. Sie forderten ebenfalls einen Rücktritt von Präsident Mubarak und eine "Regierung der nationalen Allianz". Zudem wollen sie die Auflösung der beiden Parlamentskammern sowie der Regionalparlamente erreichen. Eine Arbeitsgruppe soll eine neue Verfassung ausarbeiten.

Die Opposition lehnte Gespräche mit den Machthabern vor einem Rücktritt Mubaraks ab. "Wir erwarten, dass die Führung uns einen Zeitplan für die Umsetzung dieser Forderungen präsentiert. Erst dann sind wir bereit, einen Dialog mit Vizepräsident Omar Suleiman zu beginnen", hieß es.

Friedensnobelpreisträger Mohammed el-Baradei nahm an dem Treffen nicht teil, aber andere Vertreter seiner Bewegung für den Nationalen Wandel. El-Baradei forderte im Sender Al-Arabija, Mubarak müsse bis spätestens Freitag sein Amt niederlegen. Die Menschen auf den Straßen des Landes forderten nicht mehr nur seinen Rücktritt, sondern dass er vor Gericht zur Verantwortung gezogen werde, sagte er der britischen Zeitung "The Independent". "Wenn er seine Haut retten will, zieht er sich lieber zurück."

Die Forderung von Demonstranten und Opposition: Das Herrscher soll abtreten.

Die Forderung von Demonstranten und Opposition: Das Herrscher soll abtreten.

(Foto: AP)

Erstmals nahmen die USA Kontakt zu el-Baradei auf. Dabei bekundete US-Botschafterin Margaret Scobey die Unterstützung Washingtons für einen geordneten Übergang zur Demokratie. US-Präsident Barack Obama hat Mubarak wiederholt zu demokratischen Reformen aufgerufen, sich aber nicht für seinen Rücktritt ausgesprochen, den die Opposition in Ägypten verlangt. El Baradei wiederum hatte zuvor die US-Haltung kritisiert: Sie stehe im Widerspruch zum sonstigen Eintreten der USA für Demokratie und Menschenrechte in der Welt.

Militär lässt Demonstranten gewähren

Am Vorabend hatte das Militär erklärt, dass es nicht auf friedliche Demonstranten schießen werde. "Wir erkennen die Legitimität der Forderungen der Bürger an", hieß es in der Erklärung der Militärführung, die am Montagabend veröffentlicht wurde. "Wir werden keine Gewalt gegen die Bürger einsetzen." Demonstranten steckten Blumen an die aufgefahrenen Panzer, berichten Teilnehmer des Aufmarsches per Twitter. Manche Militärfahrzeuge waren mit Anti-Mubarak-Grafitti beschmiert.

Trotz der heute Proteste gehen die Vereinten Nationen inzwischen von deutlich mehr Todesopfern bei den Unruhen aus als bisher bekannt. "Unbestätigte Berichte sprechen von bisher 300 Toten und mehr als 3000 Verletzten", sagte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, in Genf. Die Entwicklung sei besorgniserregend.

Armee blockiert Kairo

An den Eingängen zum Tahrir-Platz kontrollierten Zivilisten Ausweispapiere und durchsuchten die Teilnehmer. Auffällig war, dass unter den Demonstranten deutlich mehr Vertreter der Muslimbruderschaft als zuletzt zu sehen waren. Ein Vertreter der islamistischen Organisation sagte: "Wir sind eine gut organisierte Bewegung. Es wird Zeit, dass auch wir auf diesem Platz reden dürfen." Die Muslimbrüder sind in Ägypten offiziell verboten, haben aber viele Anhänger. Sie könnten an einer neuen, von der Opposition gebildeten Regierung beteiligt sein, was in Israel Ängste ausgelöst hat.

Die ägyptische Armee hat die Zugänge nach Kairo und weiteren Städten gesperrt. Auch die Autobahn zwischen Kairo und der Hafenmetropole Alexandria war kurz vor der Hauptstadt blockiert. Die Menschen aus den Städten Mansura im Norden und Suez im Osten des Landes sowie aus Fajjum südlich von Kairokamen kamen nicht in Richtung Hauptstadt heraus. Seit Montag sind außerdem der Zugverkehr und Metroverbindungen in die Innenstadt Kairos unterbrochen.

Das Militär hatte zugesichert, friedliche Proteste nicht zu unterbinden.

Das Militär hatte zugesichert, friedliche Proteste nicht zu unterbinden.

(Foto: REUTERS)

Zur Behinderung der Anreise der Regimegegner sei der Eisenbahnverkehr unterbrochen worden, berichtete der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira. Auch eine Anreise mit dem Auto wird immer schwieriger, da das Benzin zunehmend knapp wird. Vor den Tankstellen bildeten sich lange Schlangen. Wie BBC unter Berufung auf Sicherheitskreise berichtet, sind auch wichtige Zufahrtsstraßen nach Kairo blockiert.

Um die Demonstranten weiter zu behindern, will die Regierung die Kommunikation erschweren und nach Medienberichten das Mobiltelefonnetz kappen. Ein weiterer ägyptischer Internetprovider, die Noor Group, sei am Montagabend von Netz genommen worden. Das teilte Renesys mit, ein amerikanisches IT-Unternehmen aus New Hampshire, das für Internet-Anbieter die Sicherheit und die Infrastruktur des Netzes überprüft. Das sei der letzte Internetprovider gewesen, der funktioniert habe, hieß es in einem Medienbericht.

"Blutbad verhindern"

Dutzende ägyptische Menschenrechtsorganisationen haben Mubarak zum Rückzug aufgefordert. "Präsident Mubarak muss den Willen des ägyptischen Volkes respektieren und sich zurückziehen, um ein Blutbad zu verhindern", hieß es in der Erklärung von 50 Organisationen. Zu den Unterzeichnern gehören die wichtigsten Menschenrechtsgruppen des Landes, darunter das Zentrum für Menschenrechtsstudien in Kairo, der Verband für wirtschaftliche und soziale Rechte sowie das arabische Zentrum für die Unabhängigkeit der Justiz.

Neben dem Rückzug von Mubarak forderten sie eine neue Verfassung. Sie solle von einer Kommission ausgearbeitet werden, in der sowohl sämtliche Parteien und politischen Kräfte als auch die Zivilgesellschaft des Landes vertreten sein müssten. Die Menschenrechtsorganisationen verlangten in ihrem Schreiben zudem Parlaments- und Präsidentschaftswahlen innerhalb der nächsten sechs Monate.

USA schicken Sondergesandten

Die USA schicken Frank Wisner als Sondergesandten nach Kairo.

Die USA schicken Frank Wisner als Sondergesandten nach Kairo.

(Foto: AP)

Der frühere US-Botschafter in Ägypten, Frank Wisner, wurde als Sondergesandter nach Kairo geschickt. Wie das Außenministerium in Washington mitteilte, soll der pensionierte Diplomat Gespräche mit hochrangigen Vertretern der ägyptischen Regierung führen und der Forderung nach mehr Demokratie Nachdruck verleihen. Zugleich berufen die USA einen Großteil ihrer Mitarbeiter ab, lediglich eine diplomatische Notbesetzung solle in dem Land verbleiben. Alle anderen US-Vertreter und ihre Angehörigen sollten heimkehren, teilte das Außenministerium mit.

Die EU will die Ägypter in ihrem Streben nach mehr Demokratie unterstützen, hält sich in der Kontroverse um Mubarak aber weitgehend zurück. Immer mehr Staaten bemühen sich derweil, ihren Bürgern eine schnelle Heimreise aus Ägypten zu ermöglichen. Auch aus Deutschland starten zusätzlich Maschinen Richtung Kairo. Das Auswärtige Amt rät nun dringend von Reisen nach ganz Ägypten ab.

 

Quelle: ntv.de, rpe/hdr/dpa/rts/AFP

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