Manöver und Spionage NATO und Moskau streiten
06.05.2009, 21:54 UhrDas schwierige Verhältnis der NATO zu Russland ist durch ein umstrittenes Manöver in Georgien und die Ausweisung zweier NATO-Diplomaten aus Moskau weiter belastet worden. Im russischen Nachbarland Georgien begann eine mehrwöchige Militärübung mit mehr als 1100 Soldaten aus etwa einem dutzend Staaten. Die Allianz hatte das Manöver als Geste der Solidarität mit Georgien bezeichnet, dessen Ambitionen auf eine NATO-Mitgliedschaft nach einem mehrtägigen Krieg gegen Russland auf Eis gelegt wurden. Russland reagierte mit heftiger Kritik und sprach von einem militärischen Muskelspiel an seiner südlichen Grenze. Aus Protest sagte Russland das nächste Treffen mit der NATO auf Ebene der Außenminister Mitte Mai ab.
Ausweisung und Retourkutsche
Das Verhältnis zwischen Moskau und der NATO wird zudem von einer Spionageaffäre belastet. Russland entzog der kanadischen Leiterin des NATO-Büros in Moskau, Isabelle Francois, und einem kanadischen Diplomaten die Zulassung. Die NATO-Mitarbeiter müssen Russland verlassen. Die Maßnahme sei eine Antwort auf einen unfreundlichen Akt gegen russische NATO-Gesandte, sagte Russlands Außenminister Sergej Lawrow. "Wir mussten reagieren." Die NATO hatte eine Woche zuvor zwei russische Diplomaten im Zusammenhang mit Spionage-Ermittlungen gegen einen ranghohen estnischen Beamten ausgewiesen. Estland gehört seit 2004 zur NATO.
NATO-Generalsekretär de Hoop Scheffer kritisierte die Entscheidung des Kreml als "unglücklich und kontraproduktiv für die Wiederherstellung des Dialogs und der Zusammenarbeit mit Russland". Der Spionage-Streit ändere aber nichts an der Absicht des Bündnisses, sich Russland wieder anzunähern, sagte de Hoop Scheffer. Kanadas Regierung bestellte den russischen Botschafter in Ottawa ein.
Am Mittwoch wurde in Georgien ein ranghoher Diplomat wegen mutmaßlicher Spionage für Russland festgenommen. Der ehemalige stellvertretende Leiter der NATO-Abteilung im Außenministerium und Diplomat am NATO-Hauptquartier in Brüssel habe mit "ausländischen Geheimdiensten" zusammengearbeitet, erklärte das Innenministerium in Tiflis.
Unruhen in Tiflis
In der Hauptstadt Tiflis kam es unterdessen zu Krawallen. Auf Fernsehbildern waren Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizisten zu sehen, die an einem Absperrgitter mit Knüppeln aufeinander einschlugen. Ein Sprecher des Innenministeriums sagte, die Demonstranten hätten versucht, das Polizeipräsidium zu stürmen. Das sei von Spezialeinheiten vereitelt worden. Das georgische Staatsfernsehen Rustawi-2 berichtete, mehrere führende Regierungskritiker seien verletzt worden, darunter der frühere Präsidentschaftskandidat Lewan Gatschetschiladse. Auch Journalisten sollen vor dem Polizeigebäude verletzt worden sein.
Nach offiziellen Angaben versuchten Demonstranten, inhaftierte Anhänger zu befreien. Es habe sich um einen "gefährlichen Zwischenfall" gehandelt, sagte die georgische Vize-Innenministerin Eka Sguladse nach Angaben der Agentur Interfax. Die Beamten hätten das Gebäude geschützt. Die Opposition sprach dagegen von einem brutalen Vorgehen der Polizei mit Gummigeschossen und Knüppeln.
Die Regierungskritiker fordern seit Wochen den Rücktritt von Präsident Michail Saakaschwili, dem sie die Schuld an der innenpolitischen und wirtschaftlichen Krise des Landes geben. Die Lage in der früheren Sowjetrepublik hat sich seit dem Südkaukasuskrieg zwischen Georgien und Russland im vergangenen August verschärft. Allein am Mittwoch waren in Tiflis laut dortigen Medien wieder tausende Menschen auf der Straße, um Saakaschwili zum Rücktritt zu drängen.
Streit um "Putschversuch"
Erst am Dienstag war es in Georgien zu einer Rebellion auf einem Panzerstützpunkt in Muchrowani bei Tiflis gekommen. Der russische NATO-Gesandte Dmitri Rogosin hatte daraufhin erklärt, die NATO solle ihr Manöver lieber in einem "Irrenhaus" abhalten als in einem Land, in dem die Armee gegen ihren eigenen Präsidenten rebelliere. Staatschef Saakaschwili warf Russland vor, den angeblichen Putschversuch finanziert zu haben. Russland wies dies jedoch als "schwachsinnig" zurück und empfahl Saakaschwili, sich "an einen Arzt zu wenden". Er wolle nur von seinen hausgemachten Problemen ablenken.
Manöver verärgert Russland
Das Manöver soll einen Monat dauern und wird voraussichtlich erst in der kommenden Woche in vollem Gang sein. Die Soldaten werden auf einem früheren russischen Luftwaffen-Stützpunkt, dem Militärstützpunkt Wasiani nur wenige Kilometer von Muchrowani entfernt, untergebracht. Die meisten Teilnehmer des Manövers "Cooperative Longbow 09" trafen nach Angaben des georgischen Verteidigungsministeriums bereits ein. Alles verlaufe nach Plan, sagte ein Ministeriumssprecher in Tiflis. In den nächsten Tagen seien Vorbereitungstreffen geplant, die eigentliche Militärübung beginne am Montag. Das Manöver findet im Zuge der "NATO-Partnerschaft für den Frieden" statt, der Georgien angehört.
Moskau hatte das Manöver als "offene Provokation" kritisiert und dessen Absage gefordert. Russlands NATO-Botschafter Rogosin sagte der Zeitung "Iswestija", die NATO werde "immer unberechenbarer". Die NATO-Partnerstaaten Serbien, Kasachstan und Armenien verzichteten aus Rücksicht auf Russland auf ihre Teilnahme am Manöver. Deutschland und Frankreich waren von Anfang an nicht beteiligt. Bei den Übungen in Georgien werden Einsätze in Krisensituationen und Friedenseinsätze trainiert.
Kritik auch im Westen
Mit Blick auf das Manöver in der früheren Sowjetrepublik erklärte die NATO, Georgien sei lediglich der Gastgeber. Die Übung habe nichts mit Georgien oder Russland zu tun und dürfe daher nicht fehlinterpretiert werden. Aber auch im Westen gibt es kritische Stimmen dazu. "Ausgehend davon, dass es im August in der Region einen Konflikt gab, kann man sagen, dass die Entscheidung für die Übung ein Risiko beinhaltet, und es ist durchaus möglich, dass er wieder aufflammt", sagte Andrew Monaghan, Russland-Experte an NATO Defence College. Die NATO habe hinsichtlich Georgiens widersprüchliche Signale nach Moskau gesandt. Einerseits habe sie im vergangenen Jahr eine direkte Einbeziehung in den Konflikt vermieden, andererseits habe sie dann auf die Militärmanöver bestanden.
NATO-Sprecher James Appathurai verteidigte das bereits vor dem August-Krieg geplante Manöver in einem Interview mit dem Radiosender Echo Moskwy. "Das sind absolut transparente Übungen, alles ist völlig offen", betonte er.
Ängste in Abchasien und Südossetien
Auch die Regionen Abchasien und Südossetien hatten die Manöver mit Verweis auf Ängste in der Bevölkerung vor einem neuen Krieg abgelehnt. Die NATO wiederum kritisiert, dass in diesen abtrünnigen Gebieten Tausende russische Soldaten stationiert sind. Russland will mit seiner Präsenz und der Grenzsicherung durch den Geheimdienst eine mögliche Rückeroberung der Regionen durch Georgien verhindern.
Russische Truppen in Alarmbereitschaft
Das Verhältnis zwischen der NATO und Russland ist auch wegen des militärischen Konflikts zwischen Russland und Georgien im vergangenen Sommer auf einem Tiefpunkt. Im Zuge der Auseinandersetzung erkannte Russland die Unabhängigkeit der von Georgien abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien an. Angesichts des NATO-Manövers wurden am Mittwoch die dortigen Sicherheitskräfte in Alarmbereitschaft versetzt.
Quelle: ntv.de, AFP / dpa / rts