Politik

Demjanjuk nach dem Krieg NS-Täter gab sich als Opfer aus

Der mutmaßliche NS-Verbrecher John Demjanjuk hat sich nach dem Krieg als Naziopfer ausgegeben und finanzielle Unterstützung als Flüchtling bekommen. Das geht aus Akten hervor, die beim Suchdienst des Roten Kreuzes (ITS) im nordhessischen Bad Arolsen liegen, bestätigte eine ITS-Sprecherin.

Die Unterlagen geben Aufschluss über sein Leben in der Nachkriegszeit. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum setzte in seiner am Dienstag veröffentlichten Liste der zehn meistgesuchten Nazi-Kriegsverbrecher Demjanjuk an die erste Stelle. Auch wegen der Bemühungen um dessen Auslieferung bekam Deutschland vom Wiesenthal-Zentrum die Note "gut" für die Verfolgung von NS-Verbrechen.

"Nicht alles ist positiv, aber wir glauben, dass sich Deutschland in diesem Jahr beträchtlich verbessert hat", sagte der Leiter des Jerusalemer Zentrums, Efraim Zuroff. Er hob vor allem den Haftbefehl gegen Demjanjuk hervor. "Das war eine wunderbare Sache für uns."

Die Staatsanwaltschaft München wirft dem gebürtigen Ukrainer vor, als Wachmann im Vernichtungslager Sobibor während des Zweiten Weltkriegs im besetzten Polen Beihilfe zum Mord an mindestens 29.000 Juden geleistet zu haben. Vergangene Woche war seine Abschiebung aus den USA nach Deutschland im letzten Moment durch einen Gerichtsbeschluss gestoppt worden. Ein Berufungsgericht in Cincinnati im Bundesstaat Ohio forderte weitere Informationen zum Gesundheitszustand des 89-Jährigen an. Ärzte müssen entscheiden, ob er transportfähig ist.

"Displaced Person"

Nach den beim Suchdienst des Roten Kreuzes liegenden Akten hatte sich Demjanjuk nach 1945 als heimatlos ("Displaced Person", DP) bezeichnet und damit ebenso wie befreite KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter als von den Nationalsozialisten Verschleppter gegolten. "Unterlagen aus der Kriegszeit liegen aber definitiv nicht vor, sondern nur zur Nachkriegszeit", sagte die Sprecherin.

Die Akten dokumentieren Demjanjuks Nachkriegsleben von einer Meldung bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse Landshut im Juli 1945 bis zur Auswanderung an Bord der "General Haan" von Bremerhaven aus im Januar 1952. "Das Recht auf IRO-Unterstützung war zuerkannt", heißt es in den Akten zur UN-Flüchtlingsorganisation IRO, der Vorläuferin des heutigen Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen.

80 Mark zur Währungsreform

Vom 3. März 1948 liegt ein Antrag auf Flüchtlingsunterstützung für die Familie Demjanjuk mit John ("head" - "Oberhaupt"), Wira ("wife" - "Ehefrau") und Lydia ("daughter" - "Tochter") vor. Gefragt nach den Aufenthaltsorten der letzten zwölf Jahre gab Demjanjuk sechs Orte in der Sowjetunion, Polen und Deutschland an. Auch Sobibor nannte er. Eine SS-Mitgliedschaft erwähnte er nicht. Bei einer Flüchtlingsorganisation hatte er laut den Dokumenten angegeben, in Sobibor als Fahrer gearbeitet zu haben.

Die Fragen, ob er in sein Heimatland zurückkehren oder in Deutschland bleiben wolle, verneinte Demjanjuk schriftlich. Er wolle lieber nach Argentinien. "Demjanjuk ist 1952 in die USA ausgewandert. Der Zeitraum bis dahin ist bei uns gut dokumentiert", sagte die ITS-Sprecherin. So gebe es einen Ausweis Demjanjuks mit Foto und Fingerabdrücken, medizinische Berichte und Kennkarten aus zehn Flüchtlingslagern. Eine Quittung belegt sogar, dass Demjanjuk 1948 mit der Währungsreform 80 Mark erhalten hat.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen