Verfassungsschutz lange bekannt NSU seit 2000 unter Verdacht
13.10.2012, 15:38 Uhr
Die Täter des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) hatten in einer jahrelangen Mordserie zahlreiche Opfer mit muslimischem Hintergrund getötet.
(Foto: picture alliance / dpa)
Das Ziel der Terrorzelle wird in einem Überwachungsantrag überraschend genau beschrieben: Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt stehen im Verdacht, Mitglieder einer "Vereinigung zum Begehen schwerer rechtsextremistischer Straftaten" zu sein. Der Antrag ist von 2000. Noch 2010 wird das Trio als gefährlich eingestuft.
Die Mitglieder der Neonazi-Terrorzelle NSU und deren Umfeld waren nach einem Zeitungsbericht länger im Visier des Verfassungsschutzes als bisher bekannt. Die sächsischen Sicherheitsbehörden hätten eine im Mai 2000 durchgeführte Abhörmaßnahme gegen die Rechtsextremisten erst im November 2010 förmlich abgeschlossen, berichtet die "Welt" unter Berufung auf streng geheime Akten der Operation "Terzett". Damit seien die Mitglieder der Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, noch 2010 als gefährlich eingestuft worden.
Bereits in dem Antrag zu der Überwachung seien Struktur und Ziel der Terrorgruppe überraschend genau beschrieben worden. "Die Betroffenen stehen im Verdacht, Mitglieder einer Vereinigung zum Begehen von Straftaten gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und schwerer rechtsextremistischer Straftaten zu sein und drei flüchtige Straftäter in der Illegalität zu unterstützen", zitiert die "Welt" aus den Akten. Die sogenannte G 10-Maßnahme habe sich gegen das Neonazi-Trio und drei heute im NSU-Verfahren der Bundesanwaltschaft Beschuldigte sowie eine weitere Person gerichtet.
Die Obfrau der Linken im NSU-Untersuchungsausschuss des sächsischen Landtages, Kerstin Köditz, zeigte sich am Samstag überrascht. Sie forderte Aufklärung von Innenminister Markus Ulbig (CDU), warum eine sächsische Behörde schon 2000 einen Terror-Verdacht als Begründung für die Abhöraktion anführte. Ulbig solle bei der Landtagssitzung dazu eine Erklärung abgeben, forderte Köditz.
Behörden sollten "Herrschaftswissen überwinden"
Unterdessen fordert Generalbundesanwalt Harald Range mehr Kompetenzen für seine Behörde. "Die Bundesanwaltschaft kann mehr tun als zunächst nur zu beobachten", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung" am Rande eines Vortrags in Osnabrück. Es stelle sich die Frage, wie sie zum Akteur werden könne.
Range verwies auf eine Anregung der früheren Vorsitzenden Richterin am Bundesgerichtshof, Ruth Rissing-van Saan. Diese habe eine Art "Vorermittlungskompetenz" für die Bundesanwaltschaft vorgeschlagen. Auf diese Weise könnte Ranges Behörde etwa das Bundeskriminalamt beauftragen, Erkenntnisse zu liefern, die Klarheit über die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft liefern. Es sei wichtig, in den einzelnen Behörden "den Gedanken an Herrschaftswissen zu überwinden. Entscheidend muss das gemeinsame Ziel sein, Anschläge auf die demokratische Rechtsordnung zu verhindern", sagte Range.
Der höchste Strafermittler Deutschlands hatte bereits zuvor die Rolle der Sicherheitsbehörden und die Ermittlungspannen um die Terrorzelle NSU in Frage gestellt. Die NSU-Täter hatten in einer jahrelangen Mordserie zahlreiche Opfer mit muslimischem Hintergrund getötet, ohne dass die Strafverfolger einen rechtsterroristischen Zusammenhang gesehen hatten.
NSU-Prozess in München
Der erwartete Prozess gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe soll nach einem Medienbericht in München stattfinden. Das Verfahren gehe nach Bayern, unter anderem weil fünf der zehn Morde, die der rechtsradikalen Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) zugerechnet werden, dort verübt wurden.
Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe wollte das nicht bestätigen. Man wolle die erste Anklage im NSU-Verfahren aber noch im Herbst fertigstellen, teilte eine Sprecherin mit.
Zschäpe ist die einzige Überlebende der Terrorzelle. Nach einem Banküberfall hatten sich ihre mutmaßlichen Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am 4. November 2011 selbst getötet. Zschäpe soll daraufhin die gemeinsame Wohnung in Brand gesteckt haben. Sie stellte sich später der Polizei und sitzt laut "Bild" in Köln in Untersuchungshaft.
Trittin: Verfassungsschutz abschaffen
Unterdessen begannen die Beratungen der niedersächsischen Grünen über ihr Landtagswahlprogramm 2013 mit einem Aufruf zur Abschaffung des Verfassungsschutzes. Vor dem Hintergrund der Aufklärungspannen bei der Mordserie der NSU forderte Bundestagsfraktionschef Jürgen Trittin zu Beginn der zweitägigen Landesdelegiertenkonferenz in Stade: "Wir brauchen einen Geheimdienst, aber keinen Verfassungsschutz, der bei der Bekämpfung der NSU versagt hat. Dieser Verfassungsschutz gehört aufgelöst, der ist nicht mehr zu reformieren".
Quelle: ntv.de, dpa