Politik

"Tage des Zorns" in Jerusalem Netanjahu riskiert Streit

Die israelische Regierung verprellt mit ihrer sturen Haltung in der Siedlungspolitik den wichtigsten Bündnispartner USA. Und Ministerpräsident Netanjahu zeigt bislang keinerlei Kompromissbereitschaft. In Ost-Jerusalem kommt es derweil zu "Tagen des Zorns".

In der Siedlungsfrage ein Hardliner: Regierungschef Netanjahu.

In der Siedlungsfrage ein Hardliner: Regierungschef Netanjahu.

(Foto: REUTERS)

Jerusalem ein Pulverfass, das Verhältnis zu den USA vor einem Scherbenhaufen und die Koalition vor der Zerreißprobe: Den ersten Jahrestag seiner Amtsübernahme Ende März hat sich Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wohl anders vorgestellt.

Die öffentlichen Rüffel der engsten Verbündeten aus den USA und Deutschland haben in Israel Wirkung gezeigt. Jetzt zerren alle am Regierungschef - allerdings in verschiedene Richtungen. Das politisch rechte Lager drängt Netanjahu, im Streit über die umstrittenen Bauprojekte im arabischen Ostteil Jerusalems keinen Zentimeter zurückzuweichen; koste es, was es wolle. Mehrere Mitglieder der sozialdemokratischen Arbeitspartei drohen damit, die Regierungskoalition zu verlassen, falls es nicht bald Fortschritte im Friedensprozess gibt. Der liegt seit 15 Monaten auf Eis.

Die USA hatten Israels Pläne, in Ramat Schlomo im Nordosten Jerusalems 1600 neue Wohnungen zu bauen, heftig kritisiert. Die Aktion "habe das Vertrauen und die Zuversicht für den Friedensprozess und die amerikanischen Interessen untergraben", sagte Außenamtssprecher Philip Crowley.

Nach ihrer scharfen Kritik an dem Projekt schlug US-Außenministerin Hillary Clinton später jedoch wieder versöhnlichere Töne an. "Zwischen den USA und Israel und zwischen Amerikanern und Israelis gibt es eine enge, unerschütterliche Verbindung", betonte Clinton in Washington. Das heiße allerdings nicht, dass die US-Regierung den Plänen zustimme.

"Tage des Zorns"

Palästinensische Jugendliche randalieren seit Tagen in Ost-Jerusalem.

Palästinensische Jugendliche randalieren seit Tagen in Ost-Jerusalem.

(Foto: AP)

Und dann muss Netanjahu auch noch den arabischen Ostteil Jerusalems fest im Blick behalten. Dort gärt es gewaltig. Am fünften Tag in Folge gingen jugendliche Palästinenser auf israelische Sicherheitskräfte los. Hunderte zusätzliche Beamte sind inzwischen im Einsatz, um die Wut der Palästinenser im Zaum zu halten. Rund 40 Palästinenser mussten sich Ärzten zufolge in Krankenhäusern behandeln lassen.

Dutzende Palästinenser bewarfen die Sicherheitskräfte in mehreren Vierteln mit Steinen und setzen Reifen und Mülleimer in Brand. Die Polizei reagierte Augenzeugen zufolge mit dem Einsatz von Tränengas und Gummi-Geschossen. Ein Polizeisprecher sagte, rund 3000 Sicherheitskräfte seien in Alarmbereitschaft versetzt worden, nachdem Hamas zu "Tagen des Zorns" aufgerufen hatte. Zwei Beamte seien verletzt worden. Die Proteste richteten sich gegen die Einweihung der restaurierten Hurva-Synagoge in der Jerusalemer Altstadt am Montag. Die Hamas argumentiert, die Renovierungsarbeiten gefährdeten die nahe gelegene Al-Aksa-Moschee. Israel hat dies zurückgewiesen.

Israel geht auf Angriff

Und was macht die israelische Regierung in dem Tohuwabohu? Sie handelt frei nach dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung. "Israel erwartet von der internationalen Gemeinschaft ein objektiveres und konstruktiveres Herangehen", beschied Außenminister Avigdor Lieberman in einem Telefongespräch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Israelische Entscheidungen, wie ein zehn Monate langer Baustopp im Westjordanland, würden nicht ausreichend gewürdigt, nörgelte er.

Regierungschef Netanjahu verteidigte sich auch vor dem Parlament. Keine Regierung in Israel habe während der vergangenen vier Jahrzehnte Einschränkungen beim Bau in Jerusalem akzeptiert, sagte der 60-Jährige. "Heute lebt knapp die Hälfte der jüdischen Bevölkerung Jerusalems in diesen Vororten."

Netanjahus Geschichte

Mitchell wird erst abwarten, ob die israelische Regierung ihre Haltung ändert.

Mitchell wird erst abwarten, ob die israelische Regierung ihre Haltung ändert.

(Foto: dpa)

Alles richtig, merkt der ehemalige linksliberale Minister Jossi Sarid an. Nur: Netanjahus Vorgänger als Ministerpräsidenten hätten auch etwas anderes getan. Ariel Scharon habe beispielsweise die Siedlungen im Gazastreifen geräumt. Und Netanjahus Vorgänger Ehud Olmert habe weitreichende Vorschläge in den Friedensgesprächen mit den Palästinensern gemacht. "Aber die Netanjahu-Regierung hat weniger als nichts getan. Sie hat gezündelt und Öl in die Flammen gegossen", schreibt Sarid in der Tageszeitung "Haaretz". Die USA seien bereit gewesen, bei früheren Regierungen ein Auge zuzudrücken. Aber bei Netanjahu rissen sie alle Augen weit auf. Schon in der Vergangenheit haben US-Regierungen mit Israel wegen des Siedlungsbaus über Kreuz gelegen. Allerdings ist Netanjahu ein Wiederholungstäter.

Während seiner ersten Amtszeit (1996 bis 1999) kündigte er den Ausbau einer Siedlung im Westjordanland an, unmittelbar nachdem die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright Israel verlassen hatte. Albright, die damals den Friedensprozess wieder in die Spur bringen wollte, sei zur Furie geworden, erinnert sich der damalige US-Botschafter Martin Indyk in einem Beitrag für das Online-Portal thedailybeast.com. "Sag Bibi (Netanjahu), dass er aufhören soll, um seinen rechten Flügel besorgt zu sein, und stattdessen anfängt, sich Sorgen um die USA zu machen", habe die damalige Chefdiplomatin ins Telefon gebrüllt.

Die Palästinenser teilten mit, bis zur Rücknahme des Baustopps werde es keine Friedengespräche geben. "Es ist eine explosive Lage", sagte Chefunterhändler Saeb Erekat. "Durch die Politik Netanjahus wird faktisch Öl ins Feuer gegossen."

Wo ist die Lösung?

Noch zeichnet sich nicht ab, wie Netanjahu jetzt in der schlimmsten Krise zwischen Israel und den USA seit 35 Jahren wieder die Kurve bekommt. Nach israelischen Medienberichten will er in der kommenden Woche in Washington allen Ärger mit Vizepräsident Joe Biden sowie Außenministerin Hillary Clinton ausräumen. Netanjahu wird am Montag zum Jahrestreffen der größten israelischen Lobby-Organisation Aipac erwartet. Nur: Sowohl Biden als auch Clinton machten ein Gespräch davon abhängig, dass Netanjahu zuvor Antwort auf mehrere Forderungen der US-Regierung gibt, heißt es in Jerusalem. Der US-Nahost-Gesandte George Mitchell hat seine Reise nach Israel verschoben. Dies habe aber nichts mit dem Streit über das umstrittene Bauprojekt zu tun, sondern "logistische Gründe", teilte die US- Botschaft in Tel Aviv lapidar mit. Mitchell sollte ursprünglich in dieser Woche in Israel und im Westjordanland um die Wiederaufnahme indirekter Friedensgespräche werben.

EU sucht ihre Rolle

Der syrische Präsident Baschar al-Assad hat derweil die Europäische Union aufgefordert, im Nahostkonflikt eine eindeutigere Haltung einzunehmen. In einer Erklärung, die das Präsidentenbüro nach einem Treffen zwischen Assad und der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton veröffentlichte, hieß es: "Es ist notwendig, dass die Staaten der Union festlegen, welche Rolle die Union in der Region überhaupt spielen will."

Ashton sagte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem syrischen Außenminister Walid al-Muallim: "Es war eine Ehre für mich, Präsident Baschar al-Assad zu treffen, mit dem ich ein sehr lebendiges und positives Gespräch geführt habe, besonders was die Rolle der EU bei der Wiederaufnahme von Nahost-Friedensgesprächen angeht." Sie betonte, ihr sei sehr daran gelegen, auf ihrer ersten Nahost-Reise herauszufinden, wie die EU ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluss nutzen könne, um Israel und die Palästinenser dazu zu bringen, die Gespräche wieder aufzunehmen.

Quelle: ntv.de, tis/dpa/AFP/rts

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