Boykott-Strategie geht auf Neuwahl oder neue Wahl
01.05.2007, 12:51 UhrDas türkische Verfassungsgericht hat die erste Runde der Staatspräsidentenwahl für ungültig erklärt. Es gab damit einem Eilantrag der Republikanischen Volkspartei CHP statt. Die CHP will verhindern, dass Außenminister Abdullah Gül zum Präsidenten gewählt wird.
In der ersten Runde hatte Gül die erforderliche Zweidrittelmehrheit um zehn Stimmen verfehlt. An diesem Wahlgang hatten 361 der insgesamt 550 Abgeordneten teilgenommen. Die CHP hatte den Wahlgang boykottiert. Später klagte sie gegen die Wahl, weil weniger als zwei Drittel der Abgeordneten teilgenommen hatten.
Das Gericht folgte dieser Argumentation. Die Richter urteilten, dass mindestens 367 Abgeordnete hätten anwesend sein müssen. Damit kann die Opposition die Wahl des Staatspräsidenten jederzeit verhindern. Die CHP verfügt allerdings nur über 151 Mandate. Knapp 40 Sitze teilen sich diverse Kleinparteien und Unabhängige.
Zweiter Versuch angeblich verschoben
Die Entscheidung ist ein Rückschlag für die konservativ-islamische AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. In der zweiten Runde der Wahl, die für diesen Mittwoch vorgesehen war, hätte Gül die einfache Mehrheit gereicht.
Die Regierung erklärte nach dem Urteil, dass sie an ihrem Kandidaten vorerst festhalten will. Gül soll an diesem Mittwoch erneut antreten. Die Regierung wolle dann dafür sorgen, dass ausreichend Abgeordnete im Parlament anwesend seien, sagte ein Regierungssprecher.
Dagegen sagte der Abgeordnete Sadullah Ergin, dass die Wahl verschoben werde. Ein neuer Zeitplan für die Abstimmung im Parlament werde nach einer Sitzung am Mittwoch festgelegt.
AKP zu Neuwahlen bereit
Gül sprach sich noch am Abend für unverzügliche Neuwahlen des Parlaments aus. Außerdem plädierte er dafür, dass der Staatspräsident in der Türkei künftig vom Volk gewählt werden sollte.
Der Konflikt hatte sich zugespitzt, als das auf eine strikte Trennung von Staat und Religion bedachte Militär mit einem Eingreifen drohte. Als selbst ernannte Hüterin des laizistischen Systems hat die Armee seit 1960 vier Regierungen aus dem Amt gejagt.
Die türkischen Finanzmärkte erlitten als Reaktion auf die Krise am Montag die stärksten Verluste seit knapp einem Jahr. Die Währung des Landes verlor am Dienstag zeitweise um rund zwei Prozent gegenüber dem Dollar.
Schlagstöcke und Tränengas in Istanbul
Mit Tränengas und Schlagstöcken ging die Polizei in Istanbul gegen linke Gruppen und Gewerkschafter vor, die trotz eines Verbots auf dem Taksim-Platz im Stadtzentrum demonstrieren wollten. Bei den Ausschreitungen im europäischen Teil der Stadt wurden nach Polizeiangaben nahezu 700 Menschen festgenommen, darunter knapp 200 Frauen.
Die Demonstranten hatten an den 30. Jahrestag des "blutigen" 1. Mai erinnern wollen, bei dem 1977 auf dem Taksim-Platz 36 Menschen getötet worden waren. Eine offizielle Maikundgebung im asiatischen Stadtteil verlief dagegen friedlich.
Der linke Gewerkschaftsbund DISK hatte gefordert, erstmals nach 30 Jahren wieder auf dem Taksim-Platz zu demonstrieren. Die Behörden erlaubten dies erst am späten Vormittag für kurze Zeit. Die Polizei ließ eine Gruppe von etwa 1000 Gewerkschaftern auf den hermetisch abgeriegelten Platz. In umliegenden Straßen gingen die Zusammenstöße, bei denen die Polizei wiederum Tränengas einsetzte, auch danach weiter.
Insgesamt hatten die Sicherheitsbehörden mehr als 17 000 Polizisten aufgeboten, um das Demonstrationsverbot rund um den Taksim-Platz durchzusetzen. Der Verkehr im europäischen Teil der 12- Millionen-Stadt kam wegen der starken Sicherheitsvorkehrungen weitgehend zum Erliegen.
Am 1. Mai 1977 hatten Unbekannte auf Demonstranten einer Mai- Kundgebung auf dem Taksim-Platz geschossen und eine Panik ausgelöst. Zahlreiche Menschen wurden zu Tode getrampelt. Insgesamt starben dabei 36 Menschen.
Quelle: ntv.de