Politik

Fall Kurnaz "Nicht ganz einfache Jahre"

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat die Vorwürfe gegen ihn und die ehemalige rot-grüne Bundesregierung im Fall des früheren Guantnamo-Häftlings Murat Kurnaz mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen.

"Die lange Leidensgeschichte von Herrn Kurnaz ist erschütternd. Das lässt auch mich nicht kalt", sagte er am Rande einer Ausschusssitzung in Brüssel. Allerdings sei der Vorwurf, die Bundesregierung sei dafür verantwortlich, "erstens falsch und zudem schlicht infam". Es war Steinmeiers erste persönliche öffentliche Stellungnahme zum Fall Kurnaz.

Steinmeier zufolge gab es im Jahr 2002 kein Angebot der USA an Deutschland, Kurnaz frei zu lassen: "Ich kenne ein solches Angebot nicht." In deutschen Delegationskreisen hieß es, es habe sich damals nur um Planspiele von CIA-Mitarbeitern gehandelt. Steinmeier war unter Altkanzler Gerhard Schröder Chef des Kanzleramts.

Die Bundesregierung habe sich bei den Amerikanern und den Türken verschiedentlich um eine Freilassung von Kurnaz bemüht, sagte Steinmeier. Dass dies aber erst 2005 in eine entscheidende Phase gerückt sei, dafür sei die Bundesregierung nicht verantwortlich.

"Humanitäre und Sicherheitsaspekte"

Steinmeier verwies auf die "nicht ganz einfachen Jahre" nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. "Es ging doch mit Priorität darum, Deutschland vor terroristischen Angriffen zu schützen und möglichst zu garantieren, dass von Deutschland keine weiteren terroristischen Aktivitäten ausgehen", sagte Steinmeier.

Vor diesem Hintergrund habe die Bundesregierung damals Entscheidungen gefällt, die die Sicherheit zu garantieren hatten ohne die rechtsstaatlichen Prinzipien zu verletzen. Steinmeier: "Das gilt auch für den Fall Kurnaz." Damals hätten neben humanitären auch Sicherheitsaspekte berücksichtigt werden müssen.

"Abholung von deutscher Seite möglich"

Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur gab es im Fall Kurnaz eine enge Abstimmung zwischen deutschen und amerikanischen Geheimdiensten. Dies gehe aus einem internen BND-Bericht vom September 2002 hervor. Demnach wurde der deutschen Seite angeboten, die Freilassung von Kurnaz so darzustellen, also ob sie von deutschen Stellen durchgesetzt worden sei.

In dem Bericht vom 26. September 2002 der BND-Vertretung in Washington an die Zentrale in Deutschland heißt es dazu: "USA sehen die Unschuld von Murat Kurnaz als erwiesen an. Er soll in etwa sechs bis acht Wochen entlassen werden. Die deutschen Behörden werden vorab informiert, so dass seine Freilassung als von deutscher Seite erwirkt dargestellt werden kann. Auch eine Abholung von deutscher Seite sei möglich."

In dem Bericht wird die Zusammenarbeit der amerikanischen Stellen mit den deutschen Beamten, die Kurnaz in Guantnamo befragten, als "vorbildlich" bezeichnet. Auch die "Kooperationsbereitschaft" von Kurnaz sei "extrem hoch".

Vernehmung wird nicht vorgezogen

Steinmeier sicherte dem BND-Untersuchungsausschuss seine Unterstützung bei der Aufklärungsarbeit zu. Er werde seinen Beitrag dazu leisten. Die Opposition fordert eine rasche Vernehmung des Außenministers. Der Vorsitzende des BND-Ausschusses, Siegfried Kauder (CDU), sagte jedoch, Steinmeier werde frühestens im März als Zeuge auftreten.

Die Opposition forderte erneut eine rasche öffentliche Erklärung Steinmeiers. Selbst die Sozialdemokraten im EU-Parlament hätten dem Bericht zugestimmt, Steinmeier müsse nun endlich alle Karten auf den Tisch legen, sagte der FDP-Politiker Max Stadler. Der Obmann der Linken im BND-Ausschuss, Wolfgang Neskovic, sprach von erdrückenden Indizien. Eine umfassende Erklärung Steinmeiers dulde keinen Aufschub, betonte er.

EU-Bericht hält deutsches Nein für erwiesen

Steinmeier war durch einen EU-Bericht massiv unter Druck geraten. Ein Sonderausschuss des EU-Parlaments sieht es als erwiesen an, dass die Bundesregierung 2002 das US-Angebot zur Freilassung des Bremer Türken ausschlug. Erst vier Jahre später kam Kurnaz frei.

"Vertraulichen institutionellen Informationen zufolge hat die deutsche Regierung ein 2002 von den USA unterbreitetes Angebot zur Freilassung von Murat Kurnaz aus Guantanamo nicht angenommen", heißt es im Abschlussbericht des Parlamentsausschusses. Auf welchen Informationen die Feststellung beruht, gaben die Abgeordneten nicht näher an.

Der SPD-Obmann im deutschen BND-Untersuchungsausschuss, Thomas Oppermann, wies den EU-Bericht als "unsachlich, undifferenziert und unzutreffend" zurück. "Hauptinformationsquelle des EU-Ausschusses sind Pressemeldungen und die freiwilligen Aussagen Betroffener, die zudem nicht einer strafbewehrten Wahrheitspflicht unterliegen", bemängelte der SPD-Obmann.

Als V-Mann willkommen, als Ex-Häftling nicht

Die entscheidenden Akten lägen dem Ausschuss überhaupt nicht vor. Aus diesen Akten ergebe sich, dass es im Herbst 2002 kein offizielles Angebot zur Freilassung gegeben habe. "Bei den damals geführten Gesprächen ging es vielmehr nur um Überlegungen auf geheimdienstlicher Arbeitsebene, Herrn Kurnaz als V-Mann in Deutschland einzusetzen", sagte er. Dieses Vorhaben sei spätestens dann obsolet geworden, als das für die Freilassung allein zuständige US-Verteidigungsministerium zu dem Ergebnis gelangt sei, einer Freilassung nicht zustimmen zu können.

Ähnlich äußerte sich SPD-Fraktionschef Peter Struck. Entscheidend sei die Frage, ob die USA die Freilassung angeboten hätten. "Nach dem, was ich weiß, hat es ein solches Angebot nicht gegeben", sagte der damalige Verteidigungsminister.

Auch 2006 kein schriftliches Angebot

Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele widersprach Oppermann mit Blick auf ein Treffen im Kanzleramt Ende Oktober 2002 vehement. "Auf dieser Veranstaltung ist offenbar beschlossen worden, Herrn Kurnaz nicht zurückzunehmen", sagte er. Es habe damals möglicherweise kein schriftliches Angebot gegeben, dies sei aber auch vor Kurnaz' tatsächlicher Freilassung im August 2006 nicht der Fall gewesen.

In einem vertraulichen Bericht der Bundesregierung heißt es, die USA hätten im Herbst 2002 nachgefragt, ob Kurnaz nach Deutschland oder in die Türkei abgeschoben werden solle. BND, Kanzleramt und Bundesinnenministerium hätten sich dann bei einem Treffen Ende Oktober 2002 für eine Abschiebung in die Türkei und eine Einreisesperre für Deutschland ausgesprochen. Der in Bremen geborene Kurnaz wurde Ende 2001 in Pakistan gefangen genommen und über Afghanistan nach Guantanamo auf Kuba gebracht.

Quelle: ntv.de

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