Alternative zu Kernenergie? "Nicht mit dem Rechenschieber"
11.07.2008, 10:08 UhrAngesichts steigender Energiepreise streitet die Politik über die Kernenergie. Die Argumente, die dabei ausgetauscht werden, sind seit Jahrzehnten dieselben. Letztlich sei es eine Frage der Bewertung, sagt Manfred Fischedick, Vizepräsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, im Gespräch mit n-tv.de. "Bewerte ich eine potenziell positive Rolle für den Klimaschutz höher als die Risiken? Sehe ich hinreichend Alternativen zur Kernenergie, mit denen ich Klimaschutz genauso schnell, aber mit geringeren Risiken umsetzen kann? Das muss jeder für sich gewichten, das kann nicht mit dem Rechenschieber entschieden werden."
Fischedick gesteht zu, dass Atomkraftwerke "nahezu CO2-neutral arbeiten". Die erneuerbaren Energien böten jedoch eine risikolose Alternative, die im Vergleich zur Kernkraft "in den nächsten 10 bis 15 Jahren in die Kostenparität vordringen werden".
Als Risiken der Kernenergie nennt Fischedick das "Risiko beim Betrieb, die ungelöste Endlagerfrage, global betrachtet die Frage der Proliferation", also der Weiterverbreitung kernwaffenfähigen Materials. Deutschland habe die Chance zu zeigen, dass eine Industrienation eine klimaverträgliche Energieversorgung ohne Kernkraft auf die Beine stellen könne. Gerade mit Blick auf Staaten wie Libyen oder den Iran komme Deutschland damit "eine entscheidende Vorreiterrolle" zu.
"Längere Laufzeiten bringen keinen billigeren Strom"
Das Kostenargument der Kernkraftbefürworter lässt Fischedick nicht gelten. Zwar erzeugten die bestehenden Kernkraftwerke relativ günstig Strom. "Bei neuen Kraftwerken ist allerdings sehr umstritten, wie kostengünstig diese tatsächlich Strom erzeugen können."
Eine Laufzeitverlängerung in Deutschland würde nur dazu führen, dass die Betreiber "für einen längeren Zeitraum die Gewinne, die sie mit diesen Anlagen erzielen, weiter ausschöpfen". Auf die Strompreise würde eine Laufzeitverlängerung keine direkten Auswirkungen haben, "denn die Strompreise werden durch das so genannte Grenzkraftwerk bestimmt, also durch das Kraftwerk, das gerade noch eingesetzt werden muss, um die letzte nachgefragte Kilowattstunde zu erzeugen".
1000 neue Kernkraftwerke?
Auf dem G8-Gipfel in Japan sei die Rolle der Kernkraft "völlig falsch diskutiert worden", betont Fischedick. Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi hatte dort erklärt, man habe einen Plan zum Bau von mehr als 1000 Kernkraftwerken diskutiert. Diese Zahl stamme aus einer Studie der Internationalen Energie-Agentur, erläutert Fischedick. Diese sage, "dass zwischen 2010 und 2050 pro Jahr 32 neue Kernkraftwerke gebaut werden müssten, damit eine signifikante Rolle der Kernenergie realisiert werden kann".
Allerdings werde der Anteil der Kernenergie selbst nach dem Bau dieser mehr als 1000 Kraftwerke "verhältnismäßig bescheiden" bleiben, so Fischedick. Heute trage die Kernenergie lediglich rund 17 Prozent zur weltweiten Stromerzeugung bei und etwa 6 bis 7 Prozent zur weltweiten Primärenergieversorgung. Die erneuerbaren Energien hätten einen Anteil von rund 13 Prozent an der Primärenergie und einen Anteil von gut 17 Prozent an der Stromversorgung.
Quelle: ntv.de