Politik

Entfernte Verwandte Nordkorea nimmt seine Bürger als Geiseln

An der innerkoreanischen Grenze beäugen sich ein nordkoreanischer (l.) und ein südkoreanischer Soldat.

An der innerkoreanischen Grenze beäugen sich ein nordkoreanischer (l.) und ein südkoreanischer Soldat.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der Norden und Süden Koreas bereiten das erste Verwandtentreffen seit über drei Jahren vor. Doch der Norden droht damit, das Treffen abzusagen. Pjöngjang will den Nachbarn erpressen.

Die Koreaner sind die Rolle des Spielballs auf dem Feld der geostrategischen Machtpolitik seit Jahrzehnten gewöhnt. Im Süden hat man gelernt, damit umzugehen, wenn Drohungen und Kriegsgeheul aus dem Norden herüberschwappen. Umgekehrt werden die Bewohner des Nordens von klein auf darauf vorbereitet, dass ein Angriff von den vermeintlichen Feinden aus dem Süden unmittelbar bevor stehe - unabhängig vom Wahrheitsgehalt. In dieser Endlosschleife der künstlich produzierten Anspannung finden sich die Menschen emotional seit über sechs Jahrzehnten irgendwie zurecht. Viel schmerzhafter aber ist es, wenn die Hoffnung auf ein mögliches Wiedersehen mit Verwandten auf der anderen Seite der Grenze brutal zerschlagen wird.

Diese menschlichen Tragödien könnte das Geplänkel des Nordens einmal mehr produzieren in diesen Tagen. Denn das Regime des jungen Diktators Kim Jong Un droht damit, ein geplantes Verwandtentreffen doch noch kurzfristig abzusagen. Es wäre das erste Treffen seit 2010. Es ist für insgesamt fünf Tage angesetzt. Beginnen soll es an diesem Freitag. Der Norden will den Süden dazu zwingen, auf eine angekündigte Militärübung an der Seite der US-Amerikaner zu verzichten. Sollte Seoul seine Pläne jedoch realisieren, will der Norden die Wiedervereinigung Dutzender Familien verhindern. Mit dieser Ungewissheit erreichte eine rund 100-köpfige südkoreanische Delegation am Donnerstag den vorgesehenen Treffpunkt am Berg Kumgang, wie die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap schreibt. Die Region an der Ostküste des Nordens gilt seit Jahrhunderten als einer der landschaftlich schönsten Flecken Koreas und soll den passenden äußeren Rahmen für das Treffen bilden.

Nicht einmal Briefe sind erlaubt

Seit dem Jahr 2000 veranstalten der Norden und der Süden im Rahmen einer Annäherungspolitik das Treffen von Familienmitgliedern aus beiden Teilen der Insel. Während des Koreakrieges von 1950 bis 1953 zwischen dem kommunistischen Norden und dem kapitalistischen Süden wurden tausende Familien zersprengt und waren seitdem ohne Kontakt zueinander. Vor über drei Jahren wurden die Treffen jedoch ausgesetzt, weil die politische Atmosphäre wegen des nordkoreanischen Atomprogramms hochgradig vergiftet war. Anders als im geteilten Deutschland zu Zeiten der DDR sind Briefwechsel oder gar Pakete zwischen den getrennten Staaten nicht erlaubt. Der totalitäre Norden verbietet seinen Bürgern jegliche Verbindung in den Süden. Sogar das Schauen von südkoreanischem Fernsehen kann mit dem Tode bestraft werden.

Entsprechend akribisch und diskret müssen die Treffen vorbereitet werden. Das südkoreanische Ministerium für Wiedervereinigung bemüht sich um die Kontaktaufnahmen mit den Familien im Norden und muss dabei äußerst behutsam vorgehen, um niemandem im Norden in Gefahr zu bringen. Seitdem gab es immer wieder Bilder von Koreanern, die sich Tränen überströmt in den Armen liegen, weil ihnen die Politik ein Zeitfenster von wenigen Stunden, manchmal Tagen, für ein Wiedersehen gewährte. Ähnliche Bilder wird es wohl auch dieses Mal geben, sollte das Treffen tatsächlich stattfinden.

Das Interesse aneinander schwindet

Die Propaganda des Nordens schlachtet die Bilder stets zu eigenen Zwecken aus und betont ihren guten Willen für eine Verbesserung der Beziehungen. Zu einem intimen Austausch zwischen Nord- und Südkoreanern kommt es dabei jedoch nicht. Beamte des Nordens hören sehr genau hin, was die Auserwählten ihren Verwandten über die Realität in der Diktatur erzählen. Das Regime in Pjöngjang will unbedingt verhindern, dass Informationen aus erster Hand über Hungersnot, Folter und Lebensbedingungen den Süden erreichen.

Seit ihrer Einführung werden die Verwandtentreffen von Seiten des Nordens regelmäßig für politische Zwecke missbraucht. Wenn der Süden milde gestimmt werden soll, ist der Norden gerne bereit für die Familienvereinigung. Oder Pjöngjang versucht es mit Erpressung, um eigene Stärke zu demonstrieren. Das Regime spielt mit den Gefühlen der Familien, die sich manchmal jahrelang Hoffnung machen auf ein Wiedersehen und dann bitter enttäuscht werden. Dieses Mittel der Erpressung steht dem Norden allerdings immer weniger zur Verfügung, je mehr Zeit vergeht. Die Zahl der direkt Betroffenen nimmt jährlich ab, weil immer mehr von ihnen sterben. Viele junge Koreaner im Süden dagegen wissen zwar um entfernte Verwandte im Norden, haben aber kaum eine emotionale Beziehungen zu ihnen. Wer im heutigen Korea groß wird, der wächst mit der Trennung im Kopf auf. Der Begriff Brudervolk ist für viele nur noch eine abstrakte Bezeichnung. In der Realität ist ihnen der Norden ein fremdes Land.

Quelle: ntv.de

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