Vier Wochen vor der US-Wahl Obama langsam im Aufwind
07.10.2008, 13:31 UhrEs sind mitunter kleine Gesten, die Führungskraft symbolisieren - und einem Kandidaten zum Wahlsieg verhelfen. Man denke an Gerhard Schröder, wie er 2002 mit Öljacke und Gummistiefeln durch die Elbe-Fluten stapfte; der Mann strahlte Tatkraft und Zuversicht aus in Zeiten der Not. Solch eine Geste fehlte bislang im US-Wahlkampf: Ausgerechnet angesichts der schweren Finanzkrise, in der Krisenmanagement und zupackendes Handeln gefragt sind, wirken John McCain und Barack Obama seltsam ideen- und hilflos. Nicht nur Präsident George W. Bush waren die Zügel entglitten, auch die beiden Männer, die seine Nachfolge anstreben, waren eher passive Zuschauer als Akteure des Geschehens. "A Leadership Breakdown", nannte das die ansonsten eher zurückhaltende "New York Times", ein Zusammenbruch der politischen Führung - schlimmer hätte das Urteil kaum ausfallen können.
Wahlkampf ohne Höhepunkte
Seltsam konturenlos ist der Präsidentschaftswahlkampf bisher verlaufen, ohne echte Höhepunkte, ohne Glanz. Auch die TV-Debatten fielen eher medioker aus; die TV-Leute haben Probleme, spannende Aussagen aus den Auftritten der Matadoren herauszufiltern. Vier Wochen vor dem Urnengang am 4. November in den USA - es sind die Hiobsbotschaften aus der Finanzwelt, die ökonomischen Ängste und die Sorgen über die Zukunft, die den Wahlkampf beherrschen. Selten zuvor stand ein Rennen um das Weiße Haus derart im Schatten einer akuten Krise - zeitweise wirkten die Kandidaten wie in eine Statistenrolle verbannt. Geschick fürs Krisenmanagement ließen beide vermissen. Dabei steht Historisches auf dem Spiel, schließlich könnten die Amerikaner erstmals einen Schwarzen ins Weiße Haus schicken.
"Wird Amerika einen alten Kriegshelden wählen, der für Steuersenkungen für Reiche und Geschäftsleute plädiert und Bushs Kriege unterstützte?", fragte das Politmagazin "Economist". "Oder einen jungen Mann, der Gesundheitsversorgung für alle verspricht, einen schnellen Abzug aus dem Irak und mehr Geld für den normalen Arbeiter?" Eigentlich müsste das eine einfache Wahl sein, meint das Blatt lakonisch - "Ist es aber nicht." Zwar deuten die jüngsten Umfragen derzeit in Richtung Obama, doch Experten aller Couleur warnen: Noch ist das Rennen nicht gelaufen.
Vom Visionär zum Realist
Da ist der junge, strahlende Obama (47): Längst sind die Medien in den USA zurückhaltender geworden, ihn als "schwarzen Kennedy" zu feiern. Ohnehin war die "Obamania" in den USA deutlich geringer ausgeprägt als in Europa. Der Kandidat, der ausgezogen war, den "Politikstil" in Washington zu verändern, der die Massen mit Visionen und dem Versprechen nach dem großen Wandel in den Bann zu ziehen vermag, ist spürbar nüchterner, realistischer geworden; statt hochfliegender Ideen handeln seine Wahlkampfreden zunehmend von der Sorge der Menschen um Jobs und Einkommen.
Wahlkampfhelfer haben Obama ausdrücklich geraten, weniger Auftritte mit Massenpublikum abzuhalten. Stattdessen arrangieren sie für ihn "town hall meetings" mit ein paar hundert Menschen. Das mag mitunter wie eine "Entzauberung" des Charismatikers und "Menschenfischers" Obamas anmuten - in den Umfragen liegt er dennoch vorn.
"Staatsmännischer Retter"
Viel größere Probleme hat John McCain: Den 72-Jährigen hat die Bankenkrise kalt erwischt. "Die Grundlagen unserer Wirtschaft sind stark", der Satz, mit dem er noch vor einigen Wochen durch die Lande tourte, ist zum Bumerang geworden. Auch sein bisheriges Plädoyer für weitere Deregulierungen im Bankensektor, ist heute verhängnisvoll. Seine vollmundige Ankündigung während der Chaostage von Washington, seinen Wahlkampf einzustellen, bis das Ringen um das gigantische Rettungspaket für taumelnde Banken gefunden sei, konnte er am Ende selbst nicht einhalten. Der Versuch, sich als "staatsmännischer Retter" zu präsentieren, ist weitgehend fehlgeschlagen, die erhoffte Wirkung verpufft.
McCains Grund-Dilemma: Der Irakkrieg sowie Außen-und Sicherheitspolitik, die Leib- und Magenthemen des Vietnamveteranen, werden durch die Unruhe an der Wall Street immer mehr an den Rand gedrängt. Von Beginn an hat der ehemalige Bomberpilot sein Image als "war hero", als Kriegsheld, gepflegt; nach wie vor sind die Erinnerungen daran eine seiner entscheidenden Wahlkampfwaffen. Kaum ein Auftritt, bei dem er nicht ausführlich von Gefangenschaft und Folter nach seinem Abschuss über Nordvietnam erzählt. "Wir respektieren Sie als amerikanischen Helden", sagt selbst Obama immer wieder. Doch die Strahlkraft des "war hero" scheint zu verblassen, oberstes Thema für die Wähler ist längst nicht mehr der Krieg, sondern die Wirtschaft.
Karten scheinen neu gemischt
Fast scheint es so, als würden die Karten durch die Krise noch einmal ganz neu gemischt - und die Trümpfe zusehends in die Hände des schwarzen Senators gespielt. Noch vor vier Wochen war alles ganz anders, ein angriffslustiger McCain sammelte Punkte, schien zeitweise gar in Sachen Wählergunst an Obama vorbei zu ziehen. Jetzt, nach den Unruhen an der Wall Street, liegt Obama laut Umfragen erstmals klar und deutlich vorn. Einer Befragung im Auftrag des TV-Senders CBS zufolge würden derzeit 49 Prozent der Wähler für Obama stimmen, lediglich 40 für McCain - das ist die erste "signifikante Führung" jenseits der statistischen Fehlergrenzen, meint der Sender. Doch noch ist nichts entschieden, noch sind es einige Wochen bis zur Wahl - Zeit genug für entscheidende Gesten.
Quelle: ntv.de, Peer Meinert, dpa