Merkel singt eine Ode auf Schröder "Ohne Machtanspruch geht das nicht"
22.09.2015, 12:03 Uhr
Merkel: Schröder ist ein Kämpfer nach innen und nach außen.
(Foto: dpa)
Kanzlerin Merkel stellt die Biografie über ihren Amtsvorgänger Gerhard Schröder vor. Allein das ist schon bemerkenswert. Noch bemerkenswerter ist, dass Merkel Schröder einen wesentlichen Anteil daran beimisst, dass "Deutschland heute so gut dasteht".
Genau zehn Jahre ist es her, dass Angela Merkel Gerhard Schröder aus dem Kanzleramt verdrängt hat. Gut in Erinnerung ist noch Schröders Fernsehauftritt in der Wahlnacht am 18. September 2005. Trotz Niederlage machte Schröder auf Sieger und behandelte Merkel abschätzig. Jetzt erschien eine neue Biografie über Schröder - und Kanzlerin Merkel stellte sie vor.
In ihrer sehr persönlichen Rede sprach Merkel mehrmals über ihren Respekt vor Schröder als Privatmensch und auch als Politiker. Als Privatmensch habe er es geschafft, über den zweiten Bildungsweg der Enge seines Milieus zu entkommen. Er habe gezeigt, wozu ein Mensch in der Lage sei, "wenn er es anpackt, wenn er anpacken will. Und das wollte Schröder, das ist ein Beispiel für sein Machtbewusstsein und seinen Pragmatismus."
Merkel verwies auf einen Satz des Biografen Gregor Schöllgen, der lautet: "Was hat jemand in der Politik zu verloren, wenn er die Macht nicht will?" Sie könne diesen Satz nur unterstreichen. Auch Schröder habe das sein Leben lang so gelebt. Der Altkanzler habe diesen Machtanspruch nach außen und nach innen gelebt. "Nach innen, das beweist jetzt die sehr persönliche Seite dieser Biografie, und nach außen, wie wir ihn kennen als begnadeten Wahlkämpfer und Architekten der Agenda 2010."
Schröder habe sich mit den Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 um Deutschland verdient gemacht, so Merkel. "Und ich betone ganz klar: Dass Deutschland heute so gut dasteht, ist auch eine Leistung des Reformers Gerhard Schröder."
Appell an eine offene Gesellschaft
Schröder dankte Merkel für die Vorstellung "dieses Buches, aus dem ich unendlich über viel über mich und meine Familie erfahren habe". So habe er erstmals über die Geschichte seines Großvaters erfahren, eines Militärarztes, "der eine Näherin schwängerte und sie dann sitzen ließ". Möglicherweise wurde die weitere Geschichte seiner Familie bereits an dieser Stelle nachhaltig beeinflusst.
Der Altkanzler verwies darauf, dass Biografien wie seine und der Merkels nicht möglich gewesen wären ohne eine Offenheit der Gesellschaft, wie sie damals in Deutschland gelebt wurde. Denn beiden sei "nicht an der Wiege gesungen worden, dass sie einmal die politischen Geschicke Deutschland leiten würden". Diese Offenheit müsse sich Deutschland immer wieder neu erkämpfen.
Er beobachte derzeit mit Sorge, dass Karrieren in der Wirtschaft "jetzt wieder mehr und mehr vom Besuch der richtigen Schulen und Universitäten" abhängen würden. "Das ist ein falscher Weg, denn Bildung sollte in Deutschland auch weiterhin unabhängig vom Geldbeutel der Eltern möglich sein."
Es geht um den Verlust der Kanzlerschaft
Schröder warb auch für ein neues Einwanderungsgesetz. Er sagte, die Flüchtlingskrise sei eine der ganz großen Herausforderungen, die auf die Weltpolitik zukämen. Wie es in Deutschland politisch ausgehen werde, "wird davon abhängen, wie schnell und wie mutig ein neues Einwanderungsgesetz gemacht wird". Merkel hält dies derzeit für "nicht vordringlich". Schöllgen sagte, einen großen Kanzler oder eine große Kanzlerin mache es aus, wenn er oder sie Prinzipien habe und aus Überzeugung handele, dass etwas gemacht werden müsse - und dafür auch den Verlust der Kanzlerschaft in Kauf nehme.
Die von Schröder durchgesetzten tiefen Einschnitte ins Sozialsystem hatten zu schweren Zerwürfnissen in der SPD geführt. Bei der Bundestagswahl unterlag die SPD knapp der Union. Seit der von Merkel ausgerufenen Willkommenskultur für Flüchtlinge und den zutage getretenen Ängsten von Bürgern werden Parallelen zu Schröders Agenda 2010 und den Akzeptanzproblemen gezogen.
Merkel lobte abschließend die Arbeit Schöllgens an der Biografie, die so viel persönliches über Schröder offenbare und so viel Geschichtliches über die Bundesrepublik Deutschland aufzeige, dass es "sich lohnt, dieses Buch von A bis Z durchzulesen". Mit diesem Buch werde so mancher Leser ein wesentliches Stück deutscher Geschichte besser verstehen können.
Quelle: ntv.de, ppo