Politik

Große Fehler im Libanon-Krieg Olmert will nicht abtreten

Die sogenannte Winograd-Kommission hat Israels politischer und militärischer Führung schwere Versäumnisse während des Libanon-Kriegs im Sommer 2006 vorgeworfen. Israel habe den Krieg trotz seiner großen militärischen Überlegenheit nicht gewonnen, sagte der Vorsitzende der Kommission, der ehemalige Richter Eliahu Winograd, in Jerusalem. "Wir haben schwere Fehler im Entscheidungsprozess der politischen und militärischen Führung gefunden."

Die Bodenoffensive im Süden Libanons in den letzten 60 Stunden des Kriegs habe ihr Ziel nicht erreicht. Dennoch werde man keine Empfehlungen zu personellen Konsequenzen abgeben, sagte Winograd. Der mehr als 500 Seiten lange Bericht, der zuvor dem Ministerpräsidenten Ehud Olmert übergeben wurde, gilt als entscheidend für seine politische Zukunft.

Laut Medienberichten hat auch Verteidigungsminister Ehud Barak (Arbeitspartei) eine Kopie des mit Spannung erwarteten Dokuments erhalten. Olmert hat zuletzt betont, er werde auch im Falle harter Kritik sein Amt nicht niederlegen. Seine Kadima-Partei werde noch lange regieren, kündigte er an. Kritiker fordern seinen Rücktritt und vorzeitige Wahlen. Unklar ist, wie sich Barak verhalten wird. Er hatte 2007 erklärt, seine Partei werde aus der Koalition mit Olmert ausscheiden, sich für die Bildung einer neuen Regierung oder Neuwahlen einsetzen, sollte dieser bis zur Veröffentlichung des Abschlussberichts nicht zurücktreten. Zuletzt erklärte er, er wolle erst nach der Veröffentlichung über sein weiteres Vorgehen entscheiden. Sollte mit der Arbeitspartei (19 Mandate) Olmerts größter Koalitionspartner ausscheiden, würde seine Regierung die Mehrheit von 67 der 120 Parlamentssitze verlieren.

Bereits ein am 30. April 2007 vorgelegter Zwischenbericht der Kommission hatte Olmert sowie den damaligen Verteidigungsminister Amir Perez und Generalstabschef Dan Haluz scharf kritisiert und ihnen schwere Fehler angelastet. Haluz und Perez sind angesichts der Vorwürfe bereits zurückgetreten.

Olmert trägt nicht allein Schuld

Vorausgegangen waren dem Bericht 16 Monate Untersuchungen, Anhörungen von 75 Zeugen und das Studium von 4000 Seiten Dokumenten, wie n-tv Korrespondetn Ulrich W. Sahm aus Jerusalem berichtet. Die Worte Mängel, Scheitern, Schwäche und Versäumnisse tauchen unzählige Male in dem Winograd-Bericht auf. Doch nach Einschätzung der Kommission trägt Premierminister Olmert nicht allein die Verantwortung für das miserable Ergebnis des Krieges aus Sicht der israelischen Bevölkerung. Winograd zeigte auf, dass sich die israelische Armee nach jahrelanger Vernachlässigung in einem schlechten Zustand befand. Erst am 1. August, fast drei Wochen nach Ausbruch des "von uns selber initiierten Krieges entlang einer begrenzten Front", waren die Truppen zu einer größeren Bodenoffensive bereit. Winograd bezeichnete das eine "strategische Schwäche".

Zu Beginn des Krieges hatten die Politiker und Militärs nur die Alternative zwischen einem schnellen, schmerzhaften Schlag gegen die Hisbollah oder einer breit angelegten Invasion in den Libanon. Doch der Krieg zog sich in die Länge, ohne dass zwischen diesen beiden einzigen Möglichkeiten eine klare Entscheidung getroffen worden sei. Winograd kritisierte, dass "zu hohe Ziele gesteckt wurden, die nicht verwirklicht werden konnten".

Lob für Kampfgeist der Truppe

Trotz aller Kritik am Zustand der Armee, den mangelhaften Entscheidungswegen und stümperhafter Ausführung von Weisungen und Befehlen auf allen Ebenen lobte Winograd die Erfolge, den Kampfgeist der Reservisten, den heldenhaften Kampf und die großartigen Erfolge der Luftwaffe. "Aber es war ein Fehler zu glauben, allein mit der Luftwaffe einen Sieg erringen zu können." Zu den politischen Erfolgen zählte Winograd die einstimmige Verabschiedung der UNO-Resolution 1701.

Entscheidend für die Zukunft von Premierminister Olmert sind Winograds Anmerkungen zu der in Israel scharf kritisierten Bodenoffensive in den letzten vier Tagen des Krieges. Die hatte besonders vielen Soldaten das Leben gekostet und wurde unter den Gegnern Olmerts als leichtfertiges Abenteuer zwecks persönlicher innenpolitischer Profilierung verurteilt. Dem entgegnete Winograd, dass die Entscheidung zu jener Bodenoffensive ein "fast zwingender Beschluss" war, der Israel "politische Flexibilität" brachte. "Der Beschluss war richtig, auch wenn seine Ausführung nicht alle gesetzten Ziele erreichte. Er war zwingend für die israelischen Interessen und befolgte keine privaten innenpolitischen Ziele". Die Pflicht zur Korrektur liege vor allem beim Militär, aber auch bei den politischen Entscheidungswegen. Winograd behauptete, dass Israel in der Umgebung des (feindseligen) Nahen Ostens nur überleben könne, wenn auch die Bevölkerung an den Willen seiner Politiker und seiner Militärs glaube, die Gegner besiegen zu können.

Die Offenheit, mit der die Kommission die Fehler und Versäumnisse darlege, und die Bereitschaft der Politiker und Militärs, sich durch eine derartige Untersuchung der öffentlichen Kritik zu stellen, zeuge von der Stärke Israels, betonte Winograd. "Es war ein großes Versäumnis, dass der zweite Libanon-Krieg nicht mit einem Sieg endete."

Der Krieg hatte am 12. Juli 2006 nach einem massiven Angriff der libanesischen Hisbollah-Miliz auf den israelischen Norden begonnen. Dabei wurden zwei israelische Soldaten entführt, deren Schicksal seitdem ungewiss ist. Während des einmonatigen Kriegs wurden auf libanesischer Seite mehr als 1200 Menschen getötet, auf der israelischen Seite starben rund 160 Zivilisten und Soldaten.

Quelle: ntv.de

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