Politik

Wer wusste von Abhöraktionen? Opposition und Regierung beharken sich

Steinbrück während seines Auftritts in München.

Steinbrück während seines Auftritts in München.

(Foto: dpa)

Äußerungen des ehemaligen NSA-Chefs Hayden über die Kooperation mit deutschen Geheimdiensten lösen einen Streit zwischen Regierung und Opposition aus: SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück wirft Kanzlerin Merkel mangelndes Durchsetzungsvermögen vor, die CDU den Sozialdemokraten Heuchelei. Die FDP sieht sich als "Motor der Aufklärung". Hochfliegende Pläne zum Datenschutz haben alle.

In der Affäre um die Datensammelwut des US-Geheimdienstes NSA hat SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück Bundeskanzlerin Angela Merkel mangelndes Durchsetzungsvermögen gegenüber den USA vorgeworfen. Auf einem Kleinen Parteitag der bayerischen SPD in München erinnerte Steinbrück die CDU-Politikerin zugleich an ihren Amtseid.

"Die ist nicht präsidial über irgendeinem Kabinett, sondern ist die Chefin eines Kabinetts", sagte Steinbrück. "Und das ist nicht unanständig, wenn man sie an ihren Amtseid erinnert, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden." Merkel müsse darlegen, "um welche Dimension von Grundrechtsverletzung" es in der Affäre gehe, forderte Steinbrück. "Was findet dort eigentlich statt zum Schaden der Bundesrepublik Deutschland? Das ist doch die erste Frage."

Die CDU ihrerseits warf der Opposition Verlogenheit vor. "Die Aussagen des früheren NSA-Chefs Michael Hayden über eine massive Ausweitung der deutsch-amerikanischen Geheimdienstkooperation zur Zeit der rot-grünen Bundesregierung entlarven alle Attacken der Opposition auf die jetzige Bundesregierung als verantwortungslose Heuchelei und unverfrorene Doppelmoral", sagte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. "Während die Bundesregierung in den USA beharrlich auf Aufklärung drängt und in Europa eine gemeinsame Positionierung zum Datenschutz vorantreibt, geht es der SPD nur darum, den eigenen demoralisierten Wahlkämpfern mit platten Attacken wieder etwas Mut einzuhauchen", so Gröhe.

Merkel macht derzeit Wahlkampf im Norden. In St. Peter-Ording gibt es dabei Proteste der Piratenpartei wegen der Datenaffäre.

Merkel macht derzeit Wahlkampf im Norden. In St. Peter-Ording gibt es dabei Proteste der Piratenpartei wegen der Datenaffäre.

(Foto: dpa)

Allerdings macht auch FDP-Chef und Vizekanzler Philipp Rösler Druck auf die eigene Regierungsmannschaft. Als Liberaler habe er ein besonderes Interesse zu erfahren, was wirklich geschehen sei und in welchem Umfang, sagte Rösler dem "Tagesspiegel am Sonntag". Die FDP verstehe sich daher als "Motor in der Regierung bei der Aufklärung".

Rösler kritisierte auch Äußerungen von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU, wonach Sicherheit ein "Super-Grundrecht" im Verhältnis zum Grundrecht auf Freiheit sei. "Das angebliche Grundrecht auf Sicherheit war eine Erfindung des früheren SPD-Innenministers Otto Schily, dem die Befugnisse der Sicherheitsbehörden gar nicht weit genug gehen konnten", sagte Rösler. "Mein Verständnis von Grundrechten ist das nicht, und schon gar nicht gibt es ein Super-Grundrecht auf Sicherheit."

"Wir waren sehr offen"

Nach Darstellung des früheren NSA-Chefs Hayden hatten die USA ihre Kooperation mit den Europäern nach den Anschlägen vom 11. September 2001 massiv verstärkt und dabei keinen Zweifel an den Zielen gelassen. Damals regierten SPD und Grüne unter Kanzler Gerhard Schröder. Hayden sagte dem ZDF mit Blick auf die Kooperation der USA mit den europäischen Geheimdiensten: "Wir waren sehr offen zu unseren Freunden." Es habe kurz nach dem 11. September 2001 ein geheimes Treffen der US-Dienste mit den Chefs der europäischen Nachrichtendienste gegeben, bei dem die enge Zusammenarbeit vereinbart worden sei. Es habe eine Art Pool-System gegeben, bei dem Informationen gebündelt wurden. Mit Blick auf Deutschland sagte er: "Dort fand, glaube ich, das Treffen statt."

Michael Hayden war NSA-Chef von 1999 bis 2005. Von 2006 bis 2009 leitete er die CIA.

Michael Hayden war NSA-Chef von 1999 bis 2005. Von 2006 bis 2009 leitete er die CIA.

(Foto: Reuters)

Die USA hätten den europäischen Geheimdienstchefs dargelegt, wie die Bedrohung aussah, sagte Hayden am Rande eines Sicherheitsforums in Aspen im US-Bundesstaat Colorado. "Wir waren sehr klar darüber, was wir vorhatten in Bezug auf unsere Ziele, und wir baten sie um ihre Kooperation." Diese sei dann auch zugesagt worden. Sollten die Äußerungen Haydens zutreffen, wäre die Kooperation der Nachrichtendienste schon in der Zeit der rot-grünen Bundesregierung ausgeweitet worden. Hayden war von 1999 bis 2005 NSA-Chef und von 2006 bis 2009 Direktor der CIA.

Der frühere Geheimdienstchef machte deutlich, dass er die Überraschung deutscher Politiker über die Enthüllungen des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden für unglaubwürdig hält. "Ich bin da mal sehr respektlos, okay? Das ist wie in dieser Filmszene aus "Casablanca", in der Polizeichef Renault informiert wird, dass in Rick's Café Glücksspiel stattfindet." Er sagte weiter: "Alle Staaten spionieren, alle modernen Staaten betreiben elektronische Spionage." Über Wanzen in Einrichtungen der Europäischen Union wollte Hayden nicht sprechen. Ungewöhnlich schien es ihm aber auch das nicht zu sein.

Merkel strebt Zusatz zu UN-Pakt an

Kanzlerin Merkel, die sich am Freitag vor der Bundespressekonferenz zu der Affäre geäußert hatte, dringt unterdessen auf ein globales Datenschutzabkommen. Deutschland prüfe eine Initiative, den UN-Pakt für bürgerliche und politische Rechte zu ergänzen, sagte Merkel. Sie sagte der "Welt am Sonntag", in einem Zusatzprotokoll zu dem UN-Pakt könnte ein Bekenntnis zu einem "zeitgemäßen und weitreichenden Datenschutz" verankert werden. Frühere Generationen hätten eine Menschenrechtscharta oder eine Welthandelsorganisation geschaffen. "Wir sollten auch im 21. Jahrhundert imstande sein, globale Vereinbarungen zu schließen."

Zugleich zeigte sich Merkel offen für eine Überarbeitung der europäischen Regeln zur Vorratsdatenspeicherung und eine Verringerung der Speicherfristen auf drei Monate. Sie könne der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs nicht vorgreifen, aber "denkbar wäre das", sagte sie. Die geltende EU-Richtlinie sieht vor, dass Telefon- und Internetverbindungen auch ohne konkreten Anlass mindestens sechs Monate gespeichert werden, um Terroranschläge und schwere Straftaten zu verhindern. Ihre Umsetzung in Deutschland scheiterte in dieser Legislaturperiode aber am Widerstand der FDP.

"Völkerrecht des Netzes entwickeln und durchsetzen"

Nach Ansicht von SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann und Netzpolitik-Expertin Gesche Joost sind bei den ausländischen Überwachungsprogrammen "alle Maßstäbe verloren gegangen". Die beiden SPD-Politiker schrieben in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", die Bundesrepublik müsse ihre "Souveränität darüber zurückgewinnen, was ausländische Nachrichtendienste auf deutschem Boden tun dürfen und was nicht." Die Mitglieder des SPD-Wahlkampfteams forderten: "International müssen wir ein Völkerrecht des Netzes entwickeln und durchsetzen."

Linken-Chefin Katja Kipping sagte im SWR an die Adresse der Bundesregierung: "Schwarz-Gelb wirkt nicht wie jemand, der Bürgerinnen und Bürger schützen möchte, sondern eher wie jemand, der Beihilfe geleistet hat." Offensichtlich gebe es eine "deutsch-amerikanische Schnüffelkooperation". Es sei "vollkommen unvorstellbar, dass deutsche Behörden nichts davon gewusst haben".

Ein US-Gericht verlängerte inzwischen die Genehmigung zum Sammeln von Telefonverbindungsdaten. Normalerweise bleiben Entscheidungen des für die Überwachung der US-Geheimdienste zuständigen Gerichts geheim. "Angesichts des erheblichen und anhaltenden öffentlichen Interesses an dem Programm zur Sammlung der Telefonverbindungsdaten" habe man sich aber zur Veröffentlichung entschieden, erklärte das Büro des obersten Chefs der US-Geheimdienste (DNI), James Clapper.

Quelle: ntv.de, mli/dpa/AFP/rts

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