Entscheiden oder widersprechen Organspende wird neu geregelt
29.06.2011, 08:50 Uhr
Eine Spenderniere wird für den Transport vorbereitet.
(Foto: dpa)
In Deutschland sterben jeden Tag drei Menschen, weil sie kein Spenderorgan bekommen. Handlungsbedarf ist nötig, darüber sind sich alle einig. Doch wie soll die Regelung aussehen, die die Spendebereitschaft erhöhen soll? Darüber beraten heute die Gesundheitsminister von Bund und Ländern.
Jedes Jahr wartet in Deutschland etwa ein Drittel Schwerkranker umsonst auf ein Spenderorgan; die Patienten sterben vor der rettenden Transplantation. Derzeit sind mehr als 12.500 Menschen registriert, die ein Spenderorgan dringend brauchen. Experten und Politiker machen die mehr als 13 Jahre alte Zustimmungsregelung für die Misere verantwortlich. Obwohl Umfragen zufolge drei Viertel der Deutschen bereit wären, ein Organ zu spenden, hat nur ein Viertel einen Ausweis, der diesen Willen dokumentiert. In allen anderen Fällen müssen die Verwandten entscheiden - und die sagen im Moment der Todesnachricht häufig Nein.

In der Klinik für Urologie am Universitätsklinikum Jena wird einem Spender eine Niere entnommen.
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Um die Zahl der Spender zu steigern, wird zurzeit über eine Gesetzesänderung diskutiert. Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern beraten heute in Frankfurt/Main darüber. "Ich erwarte auf der Konferenz eine kontroverse Diskussion, gehe aber davon aus, dass letztlich eine Einigung erzielt wird", sagte Sachsen-Anhalts Gesundheitsminister Norbert Bischoff (SPD). Nach jahrelangen Debatten müsse dies endlich geschehen, damit ein neues Gesetz am 1. Januar 2012 in Kraft treten könne. Auch der Gesundheitsausschuss des Bundestages befasst sich in einer Expertenanhörung mit dem Thema.
Zwei Varianten zur Diskussion
Entschieden werden soll zwischen einer Entscheidungs- oder einer Widerspruchslösung. Bei der Entscheidungslösung wird jeder Bürger mindestens einmal in seinem Leben nach einer späteren Organspende gefragt. Die Entscheidung für oder gegen die Spende wird in Dokumenten wie dem Führerschein vermerkt. Bei der sogenannten Widerspruchslösung gilt jeder nach seinem Hirntod als Spender, der das zuvor nicht eindeutig ausgeschlossen hat. Für beide Varianten gibt es Befürworter und Gegner.
Bischoff sagte, er werde sich bei dem Treffen der Gesundheitsminister für die Widerspruchslösung stark machen; sie sei einfacher umzusetzen. Die derzeitige Zustimmungsregelung reiche angesichts der Wartelisten einfach nicht aus. "Deutschland ist nicht gerade Vorreiter bei der Organspende", betonte Bischoff. In Sachsen-Anhalt warten derzeit 490 Menschen auf eine Organspende, laut Techniker Krankenkasse 50 mehr als noch vor einem Jahr.
Viele gegen Automatismus

Eine Mitarbeiterin der Deutschen Stiftung für Organtransplantation in Neu-Isenburg hält in einem Büro der Organisation eine spezielle Kühlbox für Spenderorgane vor das Bild eines Chirurgen.
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Unions-Fraktionschef Volker Kauder lehnt eine solche Lösung dagegen ebenso wie eine Erklärungspflicht ab. Der CDU-Politiker unterstrich in der Zeitung "Die Welt": "Organspenden sind eine höchstpersönliche Angelegenheit. Sie betreffen die menschliche Würde, die auch nach dem Tod zu achten ist. Deshalb darf es hier keinen staatlichen Zwang geben." Er halte zwar die Überlegung für richtig, dass der Staat einmal an die Bürger herantrete und sie frage, ob sie zur Spende bereit wären. Doch dabei dürfe nicht mehr geschehen, als "dass der Staat seine Bürger schlicht fragt" - etwa bei der Aushändigung des Führerscheins. "Die Menschen wären aber selbstverständlich frei, ob sie einen entsprechenden Fragebogen überhaupt beantworten. Sie könnten ihn auch wegwerfen", sagte Kauder.
Gegen eine Widerspruchslösung wandte sich auch Unions-Fraktionsvize Johannes Singhammer (CSU). "Der Staat darf in unserem freiheitlich-demokratischen System gar nicht so stark in die Persönlichkeitsrechte eines jeden Einzelnen eingreifen", sagte Singhammer der "Berliner Zeitung". Er verlangte zudem eine Debatte darüber, wann ein Mensch tatsächlich tot ist. "Aus der Wissenschaft kommen Zweifel, ob der Hirntod noch als Definition des Todes gelten kann", sagte er.
Auch die Gesundheitsministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), sagte der Zeitung: "Eine automatische Regelung, wie sie die Widerspruchslösung vorsieht, halte ich für nicht vermittelbar." Sie fügte hinzu: "Für Tausende von Schwerkranken ist es überlebenswichtig, dass wir uns der Debatte über den Umgang mit der Organspende stellen und dann im größtmöglichen Konsens entscheiden." Für eine Pflicht-Befragung ist auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier, der 2010 seiner Frau eine Niere gespendet und so große Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt hatte.
"Erweiterte" Widerspruchslösung
Einige Bundesländer wie Hessen und Bayern setzen auf die Widerspruchslösung, die schon seit Jahren in EU-Staaten wie Spanien du Österreich gilt. Die Gesundheitsminister von Hessen und Bayern, Stefan Grüttner von der CDU und Markus Söder von der CSU, sind für eine "erweiterte Widerspruchslösung": Alle Verstorbenen, die dem zuvor nicht widersprochen haben, können nach dem Hirntod zu Organspendern werden, aber die Angehörigen müssen vor der Entnahme gefragt werden.
In einer Forsa-Umfrage im Auftrag einer Krankenkasse sprachen sich Ende Mai 41 Prozent der Deutschen für die sogenannte Entscheidungslösung aus; 23 Prozent der Befragten waren für die Widerspruchslösung. 33 Prozent bevorzugen die derzeit gültige Zustimmungslösung.
Patientenschützer: Vorschläge gehen zu weit
Patientenschützern gehen die Pläne zur Neuordnung der Organspende jedoch entschieden zu weit. "Die Politik nimmt die Vorbehalte der Bevölkerung nicht ernst", sagte der Geschäftsführende Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch. "Niemand darf zu einer Entscheidung gezwungen werden. Organspende muss ein Akt der Selbstbestimmung sein." Das Thema werde zu sehr politisch und zu wenig ethisch diskutiert, kritisierte der Vorstand der Stiftung, der nach eigenen Angaben 55.000 Mitglieder hat und die Rechte Sterbender und Schwerkranker vertritt.
Das Transplantationsgesetz sei "zu intransparent". Die Bevölkerung wisse zu wenig über die Abläufe, "das ist hoch bedenklich". Weder die Kriterien für den Hirntod noch die Kriterien für die Verteilung der Organe unterlägen staatlicher Kontrolle. "Das ist deregulierte Verantwortungslosigkeit des Staates."
Die Patientenschutzorganisation kritisierte zudem, dass ein Aspekt bisher nicht mitdiskutiert werde: die Patientenverfügung. Viele Patienten, die eine solche Verfügung hinterlegt hätten, schlössen darin lebenserhaltende Maßnahmen aus. "Aber ohne maximale Therapie ist eine Organspende nicht möglich."
Quelle: ntv.de, hdr/dpa