Politik

"Nicht hysterisch werden" Ost-West Kraftmeierei

Russland und die USA werden derzeit nicht müde, sich gegenseitig Salz in die Wunden zu streuen und die etwas angespannten bilateralen Beziehungen noch ein wenig "spannender" zu machen. Nach einer russischen Provokation im Pazifik legen die USA nach mit Überlegungen über eine dritte Stationierung ihres Raketenabwehrschildes – und zwar genau vor Putins Nase.

Der Kampfbomber-Zwischenfall am vergangenen Samstag südlich von Japan hatte weltweit Aufsehen erregt. Nach russischen Angaben diente das Manöver dem Aufspüren eines fremden Flugzeugträgers. Eine der beiden Maschinen vom Typ Tupolew 95 flog nach Angaben der US-Pazifikflotte in einer Höhe von etwa 600 Metern über den US-Flugzeugträger "Nimitz", eine "Provokation", so die US-Militärführung. Russische Militärs rufen die USA nun zur Besonnenheit auf – allerdings nicht ganz ohne Stichelei: Schließlich hätten die USA auch ihren Nutzen von dem Vorfall gehabt, kommentierte der langjährige Kommandeur der russischen Luftstreitkräfte, Pjotr Dejnekin, am Mittwoch den Überflug der Langstreckenbomber. "Nur so konnten unsere amerikanischen Partner im Anti-Terror-Kampf die Erkennung und das Abfangen russischer Bomber üben." Da brauche man "gar nicht hysterisch zu werden".

Nach Angaben eines russischen Militärsprechers waren alle angrenzenden Staaten im Voraus über die Flugroute und die Flugzeiten informiert gewesen. Moskau betonte, die Aktionen der russischen Luftwaffe seien legal gewesen. Die US-Marine sah das wohl anders und ließ vier Kampfjets vom Typ F-18 Hornet aufsteigen, die die russischen Flugzeuge aus dem Gebiet geleiteten. Neben US-Kampfjets hätten auch japanische Flugzeuge vom Typ F-15 die Bomber begleitet, hieß es in Moskau.

Die Aufregung um die mehr als 50 Jahre alten Langstreckenbomber wurde in Russland als Erfolg gewertet. Die Führung des wirtschaftlich aufstrebenden Riesenreiches will mit Marine und Luftstreitkräften weltweit wieder mehr Präsenz in neutralen Territorien zeigen. Russland hatte die Flüge seiner Militärmaschinen im Pazifik bereits im vergangenen Jahr ausgeweitet. Am Wochenende hatte sich auch Japan beschwert, ein russisches Militärflugzeug vom Typ Tupolew habe kurzzeitig die japanische Lufthoheitszone verletzt. Das japanische Außenministerium protestierte bei der russischen Botschaft in Tokio. Die japanischen Militärs hätten 24 Kampfflugzeuge alarmiert, um das russische Flugzeug zu warnen. Daraufhin sei dieses abgedreht.

Der Zwischenfall reiht sich ein in eine Kette von Missstimmigkeiten und Provokationen. Die Beziehungen zwischen Moskau und Washington haben sich dadurch, nach Zeichen beiderseits guten Willens, in den vergangenen Monaten deutlich verschlechtert. Russland wehrt sich unter anderem gegen die US-Pläne zur Einrichtung eines Raketenabwehrsystems in Polen und Tschechien, mit dem die USA sich und ihre Verbündeten vor Angriffen etwa aus dem Iran oder Nordkorea schützen wollen. Nach der merklichen Annäherung zwischen Washington und Warschau in der Debatte über die Stationierung des Abwehrschilds deutete Russland an, sein Alternativangebot an die USA zur gemeinsamen Nutzung von Stationen in Aserbaidschan zurückzuziehen. "Eine grundsätzliche Einigung wird nicht erzielt werden", betonte der stellvertretende Außenminister Sergej Kisljak. Allerdings sehen die USA das russische Kompromissangebot ohnehin nur als Ergänzung zu dem geplanten Abwehrsystem.

Dritter Standort für den Raketenschutzschild

US-Außenministerin Condoleezza Rice versuchte, Russlands Sorgen zu zerstreuen. Die wenigen Raketen, die in Polen stationiert werden sollen, reichten bei Weitem nicht aus, es mit dem umfangreichen russischen Atomarsenal aufzunehmen. "Es besteht auch keine Absicht, dies zu tun", sagte sie. Polen zufolge akzeptiert Russland das Recht des osteuropäischen Landes auf eine Installation von Teilen des geplanten US-Raketenschildes. Russlands Präsident Wladimir Putin sei zwar nicht enthusiastisch, sagte Ministerpräsident Donald Tusk, akzeptiere aber offensichtlich das Recht der Regierung in Warschau, über Installationen auf polnischen Boden zu entscheiden. Putin erwarte jedoch, dass sein Land überwachen könne, inwieweit der Schild gegen Russland gerichtet sein könnte.

Nun kommt neben einer möglichen Raketenstationierung in Polen und einer geplanten Radaranlage in Tschechien eine dritte Komponente ins Spiel: Kurz nach der Kampfbomber-Provokation im Pazifik werden in den USA Überlegungen der Militärs laut, das umstrittene Abwehrsystem in einem weiteren Staat zu installieren. Der Raketenschild umfasse auch ein mobiles und höchst sensibles Radar, das in einem näher am Iran gelegenen Land aufgebaut werden solle, sagte Luftwaffengeneral Henry Obering, der im US-Verteidigungsministerium für die Raketenabwehr zuständig ist. Denkbar wären die Türkei, die Kaukasus-Region oder die Gegend um das Kaspische Meer. Mit dem Radar könnten kleine Objekte im Weltraum äußerst klar erkennbar gemacht werden, so der General. Je näher das Radar am Startplatz einer Rakete aufgebaut ist, desto früher könne diese erfasst werden.

Diese Äußerungen könnten von Moskau durchaus als Drohung aufgefasst werden. Die Tür ist allerdings noch nicht ganz zu: Eine Entscheidung über ein Drittland im Raketenabwehr-Verbund müsse nicht sofort getroffen werden, wiegelte Obering ab, das Radar sei schließlich transportabel.

Moskau sieht sich bedroht

Einen Monat vor seinem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt will Putin im April am NATO-Gipfeltreffen in Bukarest teilnehmen. Die Entscheidung unterstreiche die Bereitschaft des Landes zu einem Dialog über alle Fragen, sagte Außenminister Sergej Lawrow. Putin wolle über den russischen Ausstieg aus dem Vertrag über konventionelle Streitkräfte (KSE) sowie über die umstrittenen US-Raketenabwehrpläne für Mitteleuropa sprechen.

Beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der 26 NATO- Mitglieder vom 2. bis 4. April soll es bündnisintern auch um eine mögliche Beitrittsperspektive für die Ukraine und Georgien gehen. Russland hat wiederholt bekräftigt, dass es eine Aufnahme der ehemaligen Sowjetrepubliken in das Verteidigungsbündnis als Bedrohung der eigenen Sicherheit betrachten würde. Putin selbst reagierte mit harten Worten: "In Reaktion auf eine mögliche Stationierung des Raketenschilds in der Ukraine müsste Russland seine offensiven Raketensysteme auf die Ukraine richten." Die Ukraine beruhigte inzwischen Russland und bot Putin an, auch bei einem NATO-Beitritt die Stationierung von Truppen der Allianz auf seinem Territorium abzulehnen.

Lawrow bezeichnete das Treffen in Bukarest als Gelegenheit, gemeinsam mit Europäern und Amerikanern nach einer "für alle annehmbaren Lösung" im Konflikt um die Raketenabwehr und den KSE- Vertrag zu suchen.

Quelle: ntv.de, mit dpa/rts

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