Zusagen einhalten Oxfam appelliert an G8
23.05.2007, 16:06 UhrDie Hilfsorganisation Oxfam schlägt Alarm. Erstmals seit zehn Jahren ist die Entwicklungshilfe weltweit rückläufig, die G8-Staaten stehen kurz davor, ihre Entwicklungshilfeversprechen um 30 Milliarden Dollar zu verfehlen - eine Summe, mit der sich allein fünf Millionen Menschenleben retten ließen. Oxfam-Sprecherin Mirjam Hägele appelliert daher eindringlich an die G8, ihre Zusagen einzuhalten. Die Wirtschaft fordert Oxfam auf, mehr und nachhaltig in Afrika zu investieren. Nicht nur aus humanitären Gründen - immerhin ist Afrika ein riesiger Absatzmarkt.
n-tv.de: Afrika ist Schwerpunkt der diesjährigen deutschen G8-Präsidentschaft. Was erwarten Sie von Bundeskanzlerin Angela Merkel?
Mirjam Hägele: Dass sie die anderen G8 Staaten dazu animiert, sich ganz klar und deutlich zu äußern, wie sie ihre Entwicklungshilfeversprechen einlösen wollen. Beim G8-Gipfel in Gleneagles wurde vor zwei Jahren vereinbart, dass die jährliche Entwicklungshilfe bis 2010 um 50 Milliarden US-Dollar erhöht werden soll. Oxfam hat gerade den Bericht "The World Is Still Waiting" herausgeben, der die Hilfsleistungen seit Gleneagles bewertet. Wenn man den Trend der vergangenen beiden Jahre hochrechnet, zeigt sich, dass die G8-Staaten dabei sind, ihr Versprechen zu brechen. Wenn es so weiter geht wie bisher, werden die G8-Regierungen ihr Ziel 2010 um 30 Milliarden US-Dollar verfehlen. Im Jahr 2006 war sogar erstmals seit über zehn Jahren die weltweite Entwicklungshilfe rückläufig.
Aber es gab doch Schuldenerlasse ...
Die Regierungen rechnen Schuldenerlasse für arme Länder zu Ihrer Entwicklungshilfe dazu. Damit suggerieren sie ein Leistungsniveau der Entwicklungszusammenarbeit, das so nicht gegeben ist. Tatsächlich kommt dieses Geld nicht immer und nicht vollständig der Bevölkerung dieser Länder zugute. Dem Irak wurden zum Beispiel Schulden erlassen, die er nie bedient hat. Das bedeutet, dass gar nicht wirklich neue Gelder für die Versorgung der Menschen dort zur Verfügung stehen.
Sie sprachen von einer 30-Milliarden-Dollar-Lücke in der Entwicklungshilfe. Was heißen diese Zahlen für Afrika?
Wenn man diese 30 Milliarden in Gesundheit investieren würde - in Müttergesundheit, Gesundheit für Kinder oder auch zur HIV-Bekämpfung und Behandlung - dann könnte man damit jährlich fünf Millionen Menschen retten. Das Geld wird natürlich nicht genau in diesen Sektoren investiert werden. Aber das Beispiel zeigt, was man damit alles bewirken könnte!
Vielfach gibt es die Kritik, dass Entwicklungshilfe nicht da ankommt, wo sie ankommen sollte.
In Tansania hat man ein sehr schönes Beispiel dafür, dass Entwicklungshilfe tatsächlich funktionieren kann. Dort wurden die Gebühren für die Grundschule abgeschafft, so dass jetzt 3,1 Millionen mehr Kinder in die Grundschule gehen können. Auch die Säuglingssterblichkeit konnte um fast ein Drittel reduziert werden. Solche positiven Beispiele halte ich für das allerbeste Argument für Entwicklungshilfe. Und die Hilfsleistungen müssen natürlich auch dafür eingesetzt werden, die Zivilgesellschaften der armen Länder zu unterstützen - zum Beispiel, um Korruption zu bekämpfen. Abgesehen davon ist es auch keine Lösung, die Hände in den Schoß zu legen und nichts zu tun. Afrika ist der ärmste Kontinent der Welt. Die Menschen dort brauchen unsere Unterstützung. Und bei allem Gerede über die Finanzierung sollte man sich letztendlich immer vor Augen führen, worum es wirklich geht: um die Rettung von Menschenleben. Und jedes Leben zählt.
Wo sehen Sie die größten Hindernisse für den Aufschwung Afrikas?
Unfaire Welthandelsregeln untergraben die Bemühungen afrikanischer Länder, eine wirtschaftliche Entwicklung im eigenen Land voranzutreiben. Die Liberalisierung und Öffnung ihrer Märkte wird von der EU und den USA vorangetrieben. Bei den laufenden Verhandlungen über Freihandelsabkommen - so genannte Wirtschaftspartnerschaftsabkommen - drängt die EU die afrikanischen Länder, ihre Zölle mehrheitlich abzuschaffen. Der Internationale Währungsfonds und die Weltbank machen Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung zur Auflage bei der Kreditvergabe. Gleichzeitig sind die EU und die USA selber überhaupt nicht fair, weil sie die Märkte der afrikanischen Länder mit billig subventionierten Lebensmitteln überschwemmen und Kleinbauern vom Markt verdrängen. Außerdem schotten sie ihre eigenen Märkte für bestimmte Agrarprodukte ab.
Ein Beispiel?
In Ghana ist der einheimische Markt für Tomaten zusammengebrochen, weil das Land mit billig subventioniertem europäischen Tomatenmark und Dosentomaten überschwemmt wurde. Die verarbeitende Tomaten-Industrie ist kaputt gegangen und den Tomatenbauern ist ein wichtiger Absatzmarkt weggebrochen. Auslöser hierfür sind die europäischen Agrarsubventionen in Millionenhöhe für die Tomatenverarbeitung. Milch ist ein weiteres Beispiel: Europäisches Milchpulver wird zu Dumpingpreisen auf den Märkten in Burkina Faso verkauft. Es kostet dort viel weniger als Frischmilch von einheimischen Kühen. Diese Dumping-Politik zerstört die Existenzgrundlagen von armen Bauern in Afrika. Oxfam fordert deswegen die G8-Staaten auf, den Welthandel fair zu gestalten und dem Dumping ein Ende zu setzen.
Frau Merkel rief erst jüngst zu Investitionen in Afrika auf. Wo sollte dort investiert werden?
Wir sind der Meinung, Gesundheit und Bildung sind die wichtigsten Grundbereiche, die jedem Menschen zugänglich gemacht werden sollten. Hier liegen ja auch die größten Probleme in Afrika. Weltweit fehlen 4,2 Millionen Krankenpflegekräfte, Ärzte und Ärztinnen - vor allem Afrika ist extrem unterversorgt. Und 80 Millionen Kinder weltweit können nicht zur Schule gehen, weil es zu wenig Lehrerinnen und Lehrer und keine kostenfreie Grundbildung gibt. In Afrika besuchen nur etwa 60 Prozent aller Kinder die Grundschule.
Unserer Ansicht nach sollte nachhaltig und langfristig in Afrika investiert werden. Und die Unternehmen sollten da auch vor Augen haben, dass sich ihnen ein sehr großer Markt erschließt. Afrika ist der weltweit am schnellsten wachsende Kontinent was die Einwohnerzahl angeht und insofern ist das ja potenziell auch ein riesiger Absatzmarkt.
All dies wird auch Thema in Heiligendamm sein. Sind Sie glücklich über den G8-Gipfel?
Naja, glücklich (lacht). Wir sind einfach realpolitisch orientiert, und es ist nun einmal eine Tatsache, dass auf diesem Gipfel wichtige politische Entscheidungen getroffen oder auf den Weg gebracht werden. Insofern versuchen wir, den Prozess positiv zu beeinflussen. Auch wenn wir das ganze Drumherum momentan nicht toll finden. Zurzeit bestimmt zum Beispiel die Sicherheitsdebatte die Diskussion, obwohl man eigentlich viel mehr über die Inhalte des G8-Gipfels reden sollte.
Nichtsdestotrotz sagen wir, der Gipfel ist wichtig, weil dort viele politische Entscheidungsträger zusammentreten. Und deswegen möchten wir die Gelegenheit nutzen, um auf friedliche Weise Einfluss zu nehmen. Wir veranstalten zum Beispiel am 30. Mai ein Konzert im Rahmen der "White Band Days" der Initiative "Deine Stimme Gegen Arbeit". Und wir werden an der Auftakt-Demonstration und dem G8-Alternativ-Gipfel in Rostock teilnehmen. Im Vorlauf werden wir außerdem auch noch einen Bericht über den Zusammenhang des Klimawandels und Armut herausgeben. Über die Mobilisierung von Menschen und die Verbreitung von Fakten versuchen wir auch, Druck auszuüben und Einfluss auf die politischen Entscheidungsprozesse zu nehmen. Ein ganz großer Erfolg war bereits, dass Afrika überhaupt so prominent auf die G8-Agenda gesetzt wurde. Das war ursprünglich nicht geplant und ist ein Erfolg der NGO-Szene in Deutschland.
Welchen Rat würden Sie den G8 Politikern noch mit auf den Weg geben?
Halten Sie Ihre Versprechen!
(Die Fragen stellte Gudula Hörr)
Quelle: ntv.de