Katrin Göring-Eckardt im Interview "Pädophilie gehört nicht in den Wahlkampf"
17.09.2013, 18:01 Uhr
(Foto: picture alliance / dpa)
Der Ina-Kindergarten in Berlin Moabit könnte aus einem Wahlprospekt der Grünen stammen: Vor der Hauptfassade blühen Sonnenblumen. Die Kinder heißen Leon, Zoe oder Paul und können "Bruder Jakob" in sechs Sprachen singen. Auf den Picknicktischen im Garten stehen Teller mit fleischloser Pasta – Bio selbstverständlich. Der perfekte Ort, um mit der Spitzenkandidatin der Grünen, Katrin Göring- Eckardt, über Wahlkampf zu sprechen.
n-tv.de: Seit August sind Sie auf Deutschlandtour. Der Besuch des Ina-Kindergartens ist einer von insgesamt 126 Stopps der Spitzenkandidaten. Macht das Ganze noch Spaß?
Katrin Göring-Eckardt (lacht): Das strengt schon an, aber es ist großartig. Man kommt viel in der Republik herum und spricht mit so vielen Menschen.
Was nehmen Sie von den Gesprächen heute mit?
Hier gibt es zwei Sachen: Zum einen ist das eine super gute Kita, deren Qualität aber nur so gut ist, weil sehr engagierte Erzieherinnen viel härter und länger arbeiten als sie eigentlich müssen. Deshalb brauchen wir in vielen Kitas einen besseren Betreuungsschlüssel. Zum anderen zeigt sich auch hier, dass es einfach nicht genügend Kita-Plätze gibt und deshalb für viele Eltern keine Wahlfreiheit. Die meisten wollen das Betreuungsgeld nicht, sie wollen eine gute Kita. Wenn man mit den Eltern hier spricht, dann sagen die: "Wir haben großes Glück gehabt, dass wir diesen Platz bekommen haben."
Als Spitzenkandidatin stecken Sie das erste Mal richtig drin im tobenden Wahlkampf. Und an der Wahlkampffront ist vieles Show und Inszenierung. Gerade trifft es mit dem Aufschrei über den Veggie-Day auch die Grünen. Wie gehen Sie persönlich mit Show und Inszenierung um?
Gehört dazu. Aber wenn der politische Gegner versucht, einem ein falsches Image anzuhängen, das mit Verbot zu tun hat, dann hat das nichts mit der Realität und unseren Forderungen zu tun. Wir wollen etwas ganz Anderes. Wir wollen, dass endlich Schluss ist mit Massentierhaltung. Wir wollen, dass endlich Schluss ist mit Fleisch, in dem so viel Antibiotika drin sind, dass die Krankenhäuser schon bei Menschen auf Resistenzen gegen tierisches Antibiotika prüfen müssen. Ich bin sehr für freie Wahl und freie Entscheidungen. Die sind auch nicht eingeschränkt, wenn wir Schluss machen mit der Massentierhaltung.
Mit Inszenierung und Show meine ich nicht nur Kampagnen der politischen Gegner. Seit Sie Spitzenkandidatin der Grünen sind, ist der Eindruck entstanden, dass Sie sich verbiegen. Das Thema Religion hat bei Ihren Auftritten seither keine wahrnehmbare Rolle mehr gespielt …
… auch schon bei der Urwahl nicht. Ich habe sehr bewusst gesagt, mein Kirchenamt ruht in der Wahlkampfzeit. Ich will das nicht vermischen. Dass ich evangelisch bin, das weiß man.
Als Fraktionsvorsitzende der Grünen haben Sie die Hartz-IV-Reformen noch in der Partei durchgeboxt. Jetzt nehmen Sie die Reformen wieder zurück …
Ich nehme nichts zurück. Es ging damals um Gerechtigkeit und darum geht es heute auch. Damals hatten wir über fünf Millionen Arbeitslose und viele, die in Langzeitarbeitslosigkeit waren. Wir haben damals gesagt: Wir müssen alles tun, damit die Leute wieder in Arbeit kommen. Heute schauen wir uns an, wie die Reformen gewirkt haben. Und wollen da, wo es nicht funktioniert hat, etwas ändern, zum Beispiel bei den Minijobs. Die waren für viele eben doch keine Brücke in den regulären Arbeitsmarkt, sondern eine Sackgasse mit Armuts-Risiko.
Was ist mit Leiharbeit und Mindestlohn?
Bei der Leiharbeit hätten wir gern von Anfang an gleiche Bezahlung gehabt. Das hat damals aber der schwarz-gelbe Bundesrat verhindert. Und der Mindestlohn war zu der Zeit noch gar nicht möglich, weil die Gewerkschaften nicht mitgemacht haben. Aber jetzt sind wir zehn Jahre weiter und da müssen wir sagen: Klar - jetzt brauchen wir beides: gleiche Bezahlung und den gesetzlichen Mindestlohn.
Bevor Sie Spitzenkandidatin wurden, galten Sie als Brückenbauerin – vor allem, wenn es um Brücken zwischen Union und Grünen ging. Jetzt verlieren Sie kein positives Wort mehr über die Union. Fällt es Ihnen nicht schwer, so mit den Kollegen von der CDU umzuspringen?
Es geht ja nicht um umspringen, sondern um eine inhaltliche Auseinandersetzung. Die müssen wir führen.
Um welche Inhalte geht es Ihnen?
Nehmen Sie die Energiewende. Da gibt es doch klare Alternativen: Machen wir eine Rolle rückwärts in Richtung Kohle und Atom, so wie diese Regierung? Oder gehen wir nach vorn, was die erneuerbaren Energien angeht? Machen wir eine Flüchtlingspolitik, indem wir Leuten die Tür zuschlagen? Oder sagen wir: Flüchtlinge aus Syrien, die müssen hier selbstverständlich Schutz finden. Asylbewerber müssen hier integriert sein und arbeiten dürfen. Die doppelte Staatsbürgerschaft ist ein weiteres Beispiel. Dass sich immer noch Leute entscheiden müssen entweder für das Land, in dem sie aufgewachsen sind oder für das Land ihrer Vorfahren, finde ich völlig absurd. Diese Unterschiede muss man deutlich machen. Dafür ist Wahlkampf da.
Und nach dem Wahlkampf? Kann man sich bei diesen Themen dann einigen?
Mit der Union? Es geht ja um die Frage, ob die Richtung stimmt. Meine Fantasie reicht nicht, mir vorzustellen, dass die CSU das Betreuungsgeld abschafft, dass die Union Weichen stellt für 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2030 oder sich auf eine humanitäre Flüchtlingspolitik besinnt.
Auf ihrem Parteitag Ende 2012 setzten die Grünen eine beeindruckende Emanzipation von der SPD in Szene. Plötzlich stand auf der Agenda der Partei die Soziale Gerechtigkeit ganz oben. Jetzt wirkt es so, als hätten die Grünen gut daran getan, sich mit mehr Leidenschaft und klaren Rollen zu einem gemeinsames Projekt Rot-Grün zu bekennen. Die Umfragewerte sind im Keller. War das ein Fehler?
Wir haben gesagt, wir stellen zwei Themen ganz nach vorne. Nämlich die Energiepolitik und die Gerechtigkeit. Beides gehört für die Grünen immer schon zusammen. Wir haben schon damals in der rot-grünen Regierung beispielsweise gesagt, die Öko-Steuer verbinden wir mit den Rentenbeiträgen. Insofern ist das nichts Neues.
Woran liegt es dann, dass die Grünen in Umfragen zuletzt auf das Niveau ihres Bundestagswahlergebnisses von 2009 gefallen sind?
Das ändert sich ja täglich, und viele Wählerinnen und Wähler sind ohnehin noch unentschlossen. Aber klar: Es gibt jetzt eine Zuspitzung – da fokussieren viele Medien auf die Union und SPD, das merken wir schon ... Für uns heißt das: Wir machen jetzt noch mehr Wahlkampf auf der Straße und im Netz.
Anfang der Woche flammte die Debatte über Befürworter von straffreiem Sex mit Kindern in der Gründungszeit der Grünen wieder auf. Unions-Politikerinnen fordern nun auch Sie in einem gemeinsamen Brief auf, sich aktiv in die Aufklärung der "Pädophilie-Verstrickungen" ihres Kollegen Jürgen Trittin einzuschalten. Befürchten Sie, dass die Debatte den Grünen so kurz vor der Wahl weitere Prozentpunkte kostet?
Ich befürchte, dass das Thema in den Wahlkampf gezogen wird, obwohl es da nicht hingehört. Klar ist: Wir nehmen die Aufarbeitung unserer Parteigeschichte sehr ernst und haben genau deshalb ja ein Forschungsteam der Universität Göttingen beauftragt, wissenschaftliche Ergebnisse vorzulegen – über die Gründungszeit der Grünen und die unsäglichen pädophilen Positionen. Diese Positionen und ihre Verfechter wurden Ende der 1980er Jahre aus der grünen Partei gedrängt – was aber davor stattfand, überlassen wir nicht nur der Erinnerung Einzelner, sondern der umfassenden Aufarbeitung durch das Forschungsteam.
Mit Katrin Göring-Eckardt sprach Issio Ehrich
Quelle: ntv.de