Koalitionsstreit und neue Gewalt Pakistan ringt um seine Zukunft
19.08.2008, 18:00 UhrEinen Tag nach dem Rücktritt von Staatschef Pervez Musharraf in Pakistan hat die Regierungskoalition die Beratungen über dessen Nachfolge aufgenommen und zudem eine wichtige politische Entscheidung verschoben. Die Spitzen der Pakistanischen Volkspartei (PPP) und der Muslim-Liga (PML-N) kamen in Islambad zusammen, wie das pakistanische Fernsehen berichtete. Bei dem Treffen sollte neben der Musharraf-Nachfolge auch über die Wiedereinsetzung der entlassenen Obersten Richter sowie die allgemeine politische Lage der von islamistischer Gewalt bedrohten Atommacht beraten werden, wie ein PPP-Sprecher sagte. Denn bei einem Selbstmordanschlag in einem Krankenhaus im Nordwesten Pakistans starben mindestens 32 Menschen.
An den Beratungen über einen Musharraf-Nachfolger nahmen nach Angaben des pakistanischen Fernsehens Nawaz Sharif von der PML-N, der Witwer der ermordeten früheren Premierministerin Benazir Bhutto, Asif Ali Zardari, sowie deren Sohn Bilawal Bhutto Zardari von der PPP teil. Nach dem Rückzug Musharrafs übernahm zunächst Senatspräsident Mohammedmian Soomro kommissarisch das höchste Staatsamt. Laut Verfassung müssen die beiden Parlamentskammern und die vier Provinz-Versammlungen des Landes binnen 30 Tagen einen Nachfolger für Musharraf wählen.
Brüchige Koalition
Als mögliche Wunschkandidaten der Regierungskoalition gelten die Politiker Mehmud Khan Achakzai aus der Provinz Baluchistan und Aftab Shoban Mirani aus der Provinz Sind im Süden des Landes, wie aus Regierungskreisen verlautete. Auch weibliche Kandidaten sind demnach im Gespräch: die Präsidentin der Nationalversammlung, Fehmida Mirza, und Zardaris Schwester, Faryal Talpur. Eine Einigung auf einen Nachfolger für Musharraf wurde aber noch nicht erwartet. Die Regierungskoalition aus der PPP, der PML-N sowie kleineren Parteien gilt als äußert brüchig und wurde bislang vor allem durch das Ziel zusammengehalten, Musharraf zu entmachten.
So hat die Regierungskoalition auch die Entscheidung über eine Wiedereinsetzung von mehr als 60 entlassenen Richtern verschoben. Nach Medienberichten konnten sich die Spitzenpolitiker nicht darauf verständigen, wann die von Musharraf nach Verhängung des Ausnahmezustands im vergangenen Herbst entlassenen Juristen auf ihre Posten zurückkehren sollten.
Ultimatum zu Richtern
Kleinere Koalitionspartner müssten nun zwischen PPP-Chef Zardari und Ex-Premier Sharif von der PML-N vermitteln, berichtete der Sender DawnNews. "Wir haben 72 Stunden Zeit, in denen wir das Problem lösen müssen", erklärte Maulana Fazalur Rehman von der Partei Jamiat Ulema-e-Islam. DawnNews zitierte zudem Parteikreise der Muslim-Liga, die von einem "24-stündigem Ultimatum" Sharifs an die Volkspartei berichteten. Sollte die Richter innerhalb dieser Zeit nicht wieder im Amt sein, werde die PML-N in die Opposition gehen, hieß es. Die PPP äußerte sich bislang nicht.
Musharraf ins Exil?
Zudem wurde bei dem Treffen über die Zukunft Musharrafs spekuliert. Nach Angaben der Regierungskoalition und der Sicherheitsdienste wollte Musharraf in den kommenden Tagen zu einer Pilgerfahrt ins saudiarabische Mekka reisen. Anschließend werde er nach Großbritannien oder in die Türkei ins Exil gehen, sagte ein Regierungsvertreter, der nicht genannt werden wollte. Ein Mitarbeiter Musharrafs sagte jedoch, der Ex-Präsident werde nach Pakistan zurückkehren. Musharraf hatte am Montag angesichts eines drohenden Amtsenthebungsverfahrens seinen Rücktritt bekannt gegeben. Er war 1999 durch einen Putsch an die Macht gekommen.
32 Tote bei Anschlag
Zu den wichtigsten Aufgaben eines neuen Präsidenten wird die Bekämpfung der islamistischen Aufständischen in den Stammesgebieten im Nordwesten des Landes zählen. Bei einem Selbstmordattentat auf eine Kundgebung schiitischer Muslime vor einem Krankenhaus in der Stadt Dera Ismail Khan starben am Dienstag mindestens 32 Menschen, bis zu 20 weitere wurden verletzt. Die Polizei machte Extremisten aus den Reihen der sunnitischen Mehrheit dafür verantwortlich.
Die Schiiten demonstrierten gegen die Tötung eines ihrer Anführer, dessen Leiche in dem Krankenhaus in Dera Ismail Khan am Dienstag aufgebahrt war. Bis zu 20 Menschen seien verletzt worden. Die Stadt 280 Kilometer südwestlich von Islamabad gilt als Brennpunkt religiös-motivierter Gewalt. Die meisten der rund 160 Millionen Pakistaner sind Sunniten. Rund 15 Prozent gehören der schiitischen Glaubensrichtung an. Bei Auseinandersetzungen zwischen beiden Gruppen wurden in den vergangenen 30 Jahren Tausende Menschen getötet.
Bei schweren Kämpfen in der Stammesregion Bajaur an der Grenze zu Afghanistan töteten Sicherheitskräfte zudem mindestens 20 Islamisten. Wie ein Regierungsvertreter erklärte, griffen die Extremisten am Vorabend mehrere Kontrollposten an. Insgesamt habe das Gefecht neun Stunden gedauert. Die Gegend gilt als Rückzugsgebiet von Kämpfern der El-Kaida und der Taliban.
Quelle: ntv.de