Politik

Ende der Friedensverträge? Palästinenser erwägen Aus für Oslo

Ein israelischer Soldat steht an einem Checkpoint im Westjordanland demonstrierenden Palästinensern gegenüber.

Ein israelischer Soldat steht an einem Checkpoint im Westjordanland demonstrierenden Palästinensern gegenüber.

(Foto: picture alliance / dpa)

Palästinenserpräsident Abbas denkt offenbar über die Aufkündigung der mit Israel geschlossenen Verträge von Oslo nach. Ein solcher Schritt hätte gravierende Folgen sowohl für die Palästinenser als auch für die Israelis. Hintergrund ist eine schwere Wirtschaftskrise in den Autonomiegebieten.

In Ramallah wird darüber diskutiert, die Osloer Verträge aufzukündigen. Präsident Mahmud Abbas hatte diese Möglichkeit am Sonntag vor führenden Palästinensern geäußert, Chefverhandler Saeb Erekat schob am Dienstag die Rechtfertigung nach: "Israel sabotiert alle Versuche, den Friedensprozess wieder zu beleben."

Ein Mitglied des PLO-Exekutivkomitees, Jasser Abed Rabbo, sagte, die Kündigung der Verträge von Oslo würde ein  Ende des Friedensabkommens einschließen. Die Palästinenser müssten dann eine Alternative finden, um ihre Anliegen voranzubringen.

Protest in Ramallah: Diese Demonstranten fordern ein Ende der Osloer Verträge.

Protest in Ramallah: Diese Demonstranten fordern ein Ende der Osloer Verträge.

(Foto: dpa)

Hinter diesen Überlegungen stehen neben den üblichen Vorwürfen gegen Israel auch soziale Unruhen im Westjordanland wegen Preissteigerungen und einer schweren Finanzkrise der Autonomiebehörde.

Eine Aufkündigung der im September 1993 unterzeichneten Verträge sowie weiterer Abkommen würde zur Auflösung der palästinensischen Selbstverwaltung führen und Israel zwingen, wieder die volle Verantwortung als Besatzungsmacht zu übernehmen. Für beide Seiten dürfte das gravierende Folgen haben.

Autonomie in Grenzen

Die Autonomie hat den Palästinensern ermöglicht, einen Quasi-Staat zu errichten, mit eigener Regierung, Gesetzgebung, Flagge, Hymne, Polizei und Hoheitszeichen, Gefängnissen und weitreichenden Vollmachten, sich ohne israelische Einmischung selber zu verwalten. Weil es aber nur eine Autonomie und kein eigener Staat ist, werden die Außengrenzen von Israel kontrolliert.

Auch haben die Palästinenser nur die Kontrolle über das sogenannte A-Gebiet des Westjordanlandes. In den Dörfern, dem sogenannten "B"-Gebiet, obliegt den Palästinensern die zivile Verwaltung, während die Sicherheit bei Israel liegt. Konkret bedeutet das, dass palästinensische Polizisten dort nicht aktiv werden dürfen. Und schließlich gibt es noch das "C"-Gebiet, das vollständig von Israel verwaltet wird und wo die umstrittenen Siedlungen liegen. (Das A-Gebiet umfasst 18 Prozent der Fläche des Westjordanlands mit 55 Prozent der Bevölkerung, das B-Gebiet schließt 20 Prozent des Territoriums und 41 Prozent der Bevölkerung ein, und das C-Gebiet vereint die restlichen 62 Prozent des Landes mit 5,8 Prozent der Bevölkerung.)

Abbas steht unter Druck: Sein Antrag auf Vollmitgliedschaft in den UN hat den Palästinensern nichts gebracht.

Abbas steht unter Druck: Sein Antrag auf Vollmitgliedschaft in den UN hat den Palästinensern nichts gebracht.

(Foto: dpa)

Dennoch bedeutet die Autonomie auch eine quasi-staatliche Anerkennung, die ihren Ausdruck in der Präsenz von Botschaften oder diplomatischen Vertretungen findet, wobei offizielle Besucher, darunter Staatsoberhäupter,mit rotem Teppich und Ehrengarde empfangen werden.

All das würde im Falle einer Aufkündigung der Osloer Verträge hinfällig werden. Den Palästinensern blieben jedoch ihre Vertretung in der UNO und ihre Botschaften in der Welt. Denn offiziell ist da nicht die Autonomiebehörde akkreditiert, sondern die PLO, die Palästinensische Befreiungsorganisation, ein Dachverband palästinensischer Organisationen und Parteien. Die islamistische Hamas-Organisation, die seit einem Putsch 2007 den von Israel 2005 geräumten Gazastreifen beherrscht, ist freilich nicht Mitglied der PLO.

Autonomie brachte auch Terror

Für Israel hatten die Verträge den Vorteil, keine direkte Verantwortung mehr für mehr als 3 Millionen Palästinenser zu tragen. So konnten unnötige Reibungen vermieden werden, von der Gestaltung des Lehrplans in Schulen, Inhalten der Schulbücher über Krankenversorgung und bis hin zum Eintreiben von Steuern. Israelische Militärrichter müssen sich nicht mehr in innere Streitereien unter Palästinensern einmischen und israelische Soldaten müssen nicht mehr den Straßenverkehr in den palästinensischen Städten regeln.

Die Rückkehr von PLO-Chef Jassir Arafats 1994 mitsamt seinen bewaffneten Kämpfern hatte freilich auch den Nachteil, dass die israelische Zivilbevölkerung erstmals seit 1948 einem mörderischen Terror im eigenen Land ausgesetzt war. Mit Selbstmordattentaten während der 2. Intifada ab September 2000 erreichte der Terror blutige Höhepunkte. Bis heute dauert der Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen an. Dank "Sicherheitsabkommen", die wohl eher mündliche Absprachen sind, hat man dieses Problem im Westjordanland weitgehend in den Griff bekommen.

Einen Beitrag zur Beruhigung lieferte auch der von Israel ab 2002 errichtete Sperrwall, den die Palästinenser als "Mauer" bezeichnen und durch den die sich wie in ein Ghetto eingesperrt fühlen. Auch die Sicherheitsabkommen sollen nach Aussage von Erekat aufgekündigt werden, falls es tatsächlich zu einem Beschluss kommen sollte.

Die Folgen sind unklar

Für Israel käme ein Ende der Osloer Verträge teuer. Es müsste wieder einen kompletten Besatzungsapparat errichten, was wiederum unweigerlich zu Spannungen mit den inzwischen an Eigenständigkeit gewohnte Palästinenser führen würde.

Während Israel sich mit Oslo einem Teil seiner Verantwortung für die Palästinenser entledigen konnte, haben die Palästinenser im Rahmen der Selbstverwaltung fast die Selbstständigkeit gewonnen.

Es ist schwer vorherzusehen, welche Folge eine komplette Rückkehr zu israelischer Besatzung für das palästinensische Streben nach eigenem Staat und Unabhängigkeit hätte. Ebenso wenig lässt sich vorhersehen, wie die israelische Bevölkerung reagieren würde, zumal dadurch der Staatshaushalt schwer belastet würde.

Quelle: ntv.de

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