EU als "politische und soziale Union" Paris und Berlin gehen voran
22.09.2012, 15:57 Uhr
Deutsch-französische Annäherung: Trotz gegensätzlicher Meinungen zur Eurokrise beschwören Merkel und Hollande die europäische Zukunft.
(Foto: AP)
Europa steht am Scheideweg. Das wissen auch Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Hollande. Da kommt ihnen der 50. Jahrestag von de Gaulles Rede an die deutsche Jugend gerade recht, um die Zukunft Europas zu beschwören. In Sachen Bankenaufsicht sind sich beide jedoch noch uneins.
Vor dem Hintergrund der Eurokrise haben sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef François Hollande für ein weiteres Zusammenwachsen Europas ausgesprochen. Deutschland und Frankreich hätten dabei eine "besondere Verantwortung", betonte Merkel im baden-württembergischen Ludwigsburg. Hollande forderte seinerseits den Ausbau der EU zu einer "politischen und sozialen Union".
Die Aussöhnung der beiden einstigen Erbfeinde Deutschland und Frankreich habe das Fundament für den europäischen Einigungsprozess geschaffen, sagte Merkel bei dem Festakt zum Gedenken an die historische Rede, die der damalige französische Präsident Charles de Gaulle im September 1962 in Ludwigsburg gehalten hatte. Nun stehe die EU vor "großen Herausforderungen", betonte die Kanzlerin vor hunderten Bürgern. Notwendig sei eine "nachhaltige Gesundung Europas". Daran würden Deutschland und Frankreich gemeinsam mit den anderen EU-Partnern arbeiten.
"Europa von morgen liegt in Euren Händen"
An die zahlreichen Jugendlichen im Ehrenhof des barocken Schlosses von Ludwigsburg appellierte Merkel, sich von der "Zukunftsfreude" der Gründerväter der deutsch-französischen Aussöhnung, dem damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer und de Gaulle anstecken zu lassen. "Das Europa von morgen liegt in Euren Händen". De Gaulles Rede vor einem halben Jahrhundert gilt als wichtiger Schritt auf dem Weg zum deutsch-französischen Freundschaftsvertrag, der am 22. Januar 1963 im Pariser Elysée-Palast unterzeichnet wurde. Merkel endete mit dem französischen Satz: "Vive la jeunesse franco-allemande, vive la jeunesse européenne."

Beide erinnern an die von de Gaulle (l.) und Adenauer vorangetriebene deutsch-französischen Aussöhnung.
(Foto: dpa)
Wie zuvor Merkel würdigte auch Hollande die "Weitsicht" Adenauers und de Gaulles. Sie hätten mit der deutsch-französischen Aussöhnung den Frieden in Europa für immer besiegeln wollen. Weniger als 20 Jahre nach Ende des "schrecklichsten weltweiten Konflikts" sei dazu viel "Kühnheit" notwendig gewesen, betonte der sozialistische Staatschef. Viel Kühnheit bedürfe es auch heute, wo Europa in einer "tiefen moralischen und politischen Krise" stecke.
Die Antwort auf diese Krise könne nur "Europa selbst" geben, betonte Hollande. Dazu bedürfe es einer "neuen Steuerung" in der EU. Notwendig sei der Aufbau einer haushaltspolitischen, politischen und sozialen Union sowie einer Bankenunion. Der Sozialist beendete seine Rede auf Deutsch: "Es lebe die deutsch-französische Freundschaft." De Gaulle hatte vor 50 Jahren seine gesamte Rede frei auf Deutsch gehalten.
Bankenaufsicht bleibt Streitthema
Hollande drängte zudem auf eine möglichst rasche Einführung einer europäischen Bankenaufsicht. Diese sei "ein sehr wichtiger Schritt", sagte Hollande. Die Bankenunion müsse zwar schrittweise umgesetzt werden, aber "je früher desto besser". Merkel betonte, die Bankenaufsicht bringe "mehr Verlässlichkeit und Durchgriffsmöglichkeit" im Finanzsektor. Sie wolle die Aufsicht nicht "auf die lange Bank schieben", sagte Merkel. "Aber die Qualität muss gesichert sein." Die Bankenaufsicht soll verhindern, dass durch laxe nationale Aufsicht mitverursachte Probleme den gesamten europäischen Finanzsektor ins Wanken bringen.
Die EU-Finanzminister berieten am Wochenende in Nikosia über die Pläne der EU-Kommission für eine einheitliche europäische Bankenaufsicht. Der zuständige EU-Kommissar Michel Barnier schlägt vor, dass die neue Aufsicht bei der Europäischen Zentralbank (EZB) angesiedelt wird und schon am 1. Januar ihre Arbeit aufnimmt. Die Bundesregierung hält diesen Zeitplan für zu ehrgeizig und stößt sich auch daran, alle 6000 Banken der Eurozone unter eine europäische Aufsicht zu stellen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble will, dass nur die für das gesamte Finanzsystem wichtigen Banken direkt auf europäischer Ebene überwacht werden.
Beide Seiten sprachen sich zudem für eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit in der Eurogruppe aus, um die Krise zu überwinden. Die Regierungen müssten sich regelmäßig treffen, um zu überlegen, "wie kommen wir zu mehr Wachstum", sagte Merkel. Das Ziel müsse sein, die Wettbewerbsfähigkeit in der Eurogruppe zu stärken und anzugleichen. Die Kanzlerin pochte darauf, dass die Krisenländer zu einer "strikten Erledigung der nationalen Hausaufgaben" verpflichtet seien. Hollande warb ebenfalls für eine bessere wirtschaftspolitische Abstimmung in der Eurogruppe.
Kalbshaxe und Fusionsgespräche
Merkel und Hollande setzten ihr Treffen mit einem gemeinsamen Essen in einem Hotel im nahegelegenen Asperg fortsetzen. Serviert wurden vor allem schwäbische Spezialitäten. Als Vorspeise gab es Maultaschensuppe, zu frischer Kalbshaxe Bratenjus sowie Spätzle und Kartoffelsalat. Zum Dessert aßen Merkel und Hollande Beerenfrüchte in Trollinger-Gelee.
Nach einem Essen sagte Merkel, sie beide hätten in der Frage einer noch keine Entscheidung getroffen. Hollande erklärte, Deutschland und Frankreich würden bei diesem Thema eng zusammenarbeiten.
Deutschland und Frankreich feiern mit einer Reihe von Veranstaltungen bis kommenden Sommer ihre Aussöhnung nach mehreren blutigen Kriegen. Höhepunkt der Feierlichkeiten wird am 22. Januar eine gemeinsame Sitzung der Parlamente beider Länder in Berlin sein.
Quelle: ntv.de, AFP/dpa