Künftige Koalition schafft Mini-Bundestag Parlamentarische Puppenstube
28.11.2013, 20:05 Uhr
Norbert Lammert hat bei der Eröffnung des neu geschaffenen Hauptausschusses.
(Foto: dpa)
Deutschland braucht sein Parlament, auch wenn es noch keine Regierung gibt. Da sind sich alle einig. Trotzdem haben die Abgeordneten noch nichts zu tun. Mit dem neuen Hauptausschuss haben die Parteien zumindest schon einmal ein Thema gefunden, über das sie streiten können.
So etwas gab es im Deutschen Bundestag noch nie: Weil es zu viele praktische Probleme mit sich bringen würde, verzichtet das Parlament zunächst darauf, seine normalen Ausschüsse einzurichten. 85 Prozent der Abgeordneten haben erst einmal nichts zu tun, die Arbeit wird von einer Kernbelegschaft von 47 Parlamentariern und ihren Vertretern erledigt. Der "Hauptausschuss", in dem sie am frühen Nachmittag zusammenkamen, ist nirgendwo beschrieben – nicht im Grundgesetz und auch nicht in der Geschäftsordnung des Bundestags. Möglich gemacht haben das die Abgeordneten von CDU/CSU und SPD, die bald eine Koalition bilden wollen.
Die künftige Opposition regt sich auf: Die Linke argumentiert, das Gremium sei nicht vorgesehen und darum gesetzeswidrig. Die Grünen würden gerne richtig anfangen, zu arbeiten – also Ausschüsse bilden und Zuständigkeiten verteilen. "Wir wollen nicht länger im Standby-Modus sein", rief Fraktionsgeschäftsführerin Britta Hasselmann.
Die Situation ist tatsächlich prekär: Der Bundestag ist das wichtigste Verfassungsorgan, seit Wochen aber ist es lahmgelegt. Das Mitgliedervotum der SPD zieht die Situation weiter in die Länge. Hunderte Abgeordnete haben schlicht nichts zu tun, weil sie noch nicht wissen, welche Themenfelder sie künftig bearbeiten werden. Das liegt daran, dass die Arbeit des Bundestags vor allem in den Ausschüssen stattfindet. 22 davon gab es in der letzten Legislaturperiode. Hier werden Gesetze debattiert und Kompromisse gesucht, die später vom Plenum nur noch abgesegnet werden. Beschlüsse des Bundestags entstehen üblicherweise in einem Hin und Her zwischen Plenum und Ausschuss.
Lammert: Bundestag muss arbeiten
Doch die Ausschüsse werden üblicherweise erst gebildet, wenn die Regierung komplett ist. Derzeit wissen aber nur Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel, wer welches Ministerium besetzen wird. Es ist nicht einmal bekannt, ob einzelne Ministerien zerschlagen werden oder neue Kompetenzen bekommen. Danach richtet sich aber, wie die Fraktionen ihre Mitglieder in die Ausschüsse verteilen. Nach dem aktuellen Zeitplan sollen die Ausschüsse Mitte Januar zum ersten Mal zusammentreten.
Viele Parlamentarier machen derzeit auf eigene Faust mit den Themen weiter, die sie auch bislang betreut haben. Allerdings ist rund ein Drittel der Abgeordneten neu im Bundestag und hatte darum noch nie eine Zuständigkeit. Sie sitzen in ihren provisorisch eingerichteten Büros vor leeren Aktenschränken, ohne zu wissen, was auf sie zukommt. Noch nicht einmal alle Mitarbeiter sind eingestellt – denn ihr Personal wählen die Volksvertreter danach aus, mit welchem Thema sie sich beschäftigen.
Dass der Standby-Modus unwürdig ist, sieht auch der Bundestagspräsident Norbert Lammert so. "Selbstverständlich bedarf eine geschäftsführend amtierende Bundesregierung nicht weniger parlamentarischer Kontrolle als eine neue gewählte", hatte er vor fünf Wochen gesagt. "Niemand wird deshalb ernsthaft erwarten dürfen, dass der Bundestag seine Arbeit erst nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen aufnehmen wird."
Super-Ausschuss oder Mini-Parlament?
In der Argumentation der Union klingt es so, als wäre der Hauptausschuss die konsequente Antwort auf das Problem des blockierten Parlaments. Mit diesem Beschluss werde man "dem Wege der Vernunft folgen", sagte Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer. Durch den Hauptausschuss könnte der Bundestag seine Pflichten wahrnehmen. Zwar haben die Linken recht, dass dieses Gremium nicht vorgesehen ist. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass es rechtswidrig ist. Der Vorschlag der Grünen, alle wichtigen Ausschüsse einzurichten und dafür auf den Hauptausschuss zu verzichten, ist tatsächlich sehr aufwändig.
Ein Problem ist, dass der Hauptausschuss nicht wie eine Zusammenfassung der normalen Ausschüsse wirkt. Eher macht der den Eindruck eines Mini-Parlaments. Normale Ausschüsse wählen eines ihrer Mitglieder zum Vorsitzenden. Den Vorsitz des Hauptausschusses hat Bundestagspräsident Norbert Lammert, auch seine Stellvertreter nimmt er mit. Die inhaltliche Arbeit an den Gesetzen kann der Super-Ausschuss bei weitem nicht so gut leisten, wie es Fachausschüsse könnten. Die kleinen Fraktionen konnten nur je fünf Abgeordnete entsenden – viel zu wenig, um alle wichtigen Politikbereiche abzudecken. Im Hauptausschuss, so scheint es, ist alles wie im Bundestag – nur etwas kleiner.
Schafft der Bundestag also eine Miniatur-Version von sich selbst und stellt sein eigenes Ausschuss-System damit auf den Kopf? Die Sitzung im großen Plenum wirkte nicht so, als hätte sich viel verändert. Die Debatten um Auslandseinsätze der Bundeswehr oder Kindertagesstätten liefen, wie sie üblicherweise ablaufen. Interessant wäre gewesen, wie die Sitzung des neu geborenen Hauptausschusses ablief – doch das Gremium tagte erst einmal ohne Beobachter.
Quelle: ntv.de